Israel gegen UN-Palästinenserhilfswerk: Nach dem Ende der UNRWA
Das UN-Palästinenserhilfswerk darf nicht mehr in Israel operieren, auch in Gaza und dem Westjordanland steht sie vor Hürden. Wie geht es nun weiter?
1. Warum will Israel UNRWA verbieten?
Das UN-Palästinenserhilfswerk steht dort seit Jahrzehnten in der Kritik. An UNRWA-Schulen sollen antijüdische und antiisraelische Inhalte gelehrt werden. Die israelische Nichtregierungsorganisation Impact-SE hat mehrfach in UNRWA-Schulen genutzte Schulbücher kritisiert. Manche Karten zeigten demnach das Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer als rein palästinensischen Staat. Andernorts würden Palästinenser heroisiert, die für Terroranschläge auf Israelis verantwortlich waren.
Untersuchungen kommen zu unterschiedlichen Schlüssen: Der Schweizer Bundesrat berichtete nach einer Anfrage des Schweizer Parlaments im Jahr 2021, dass die genannten Texte „einen winzigen Teil des Schulmaterials“ ausmachen und zudem teils durch UNRWA Kontrollmechanismen entfernt worden seien. Eine UN-interne Untersuchung aus dem vergangenen April hingegen stellte fest, dass „neutralitätsbezogene Probleme fortbestehen“, darunter Schulbücher mit „problematischen Inhalten“. Inwiefern UNRWA verantwortlich ist, ist zudem umstritten: Häufig nutzen deren Schulen Lehrpläne und -bücher der Gastländer.
Darüber hinaus beschuldigen viele in Israel die Organisation, den Konflikt durch eine Weitergabe des Flüchtlingsstatus an die folgenden Generationen zu verlängern. Waren ursprünglich bis zu 850.000 Palästinenser aus dem heutigen Israel vertrieben worden, sind heute rund sechs Millionen Menschen bei UNRWA registriert. Kritiker sehen dieses Argument jedoch eher als Nebelkerze. Die Betroffenen seien andernfalls Staatenlose, das zugrunde liegende Problem, warum die Organisation auch Jahrzehnte nach ihrer Gründung noch existiere, sei der ungelöste Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.
2. Nach dem 7. Oktober warf Israel der UNRWA vor, dass sich zwölf Angestellte an dem Massaker beteiligt hätten. Was ist dazu bekannt?
Im Laufe des vergangenen Jahres wurden weitere Anschuldigungen erhoben. Außerdem soll die UNRWA insgesamt 190 Mitglieder der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihads beschäftigt haben. Das beträfe gut jeden 200.-sten UNRWA-Mitarbeiter.
Die Vereinten Nationen haben seither mit einer externen und einer internen Untersuchung reagiert und zehn Angestellte entlassen. Darüber hinaus habe eine Prüfung „die Vorwürfe anhand der von Israel zur Verfügung gestellten Belege nicht unabhängig bestätigen können“, hieß es in einem Bericht des Oios-Büros, der höchsten internen Prüfinstanz der Vereinten Nationen im August. Für eine weitläufige Unterwanderung der Organisation hat Israel bisher keine Beweise vorgelegt. UNRWA hat in der Vergangenheit regelmäßig Listen seiner Mitarbeiter israelischen Behörden zur Prüfung vorgelegt.
3. Welche Folgen hat das Verbot der UNRWA?
Jonathan Fowler, UNRWA-Sprecher
Die UNRWA könnte auch im Westjordanland und im Gazastreifen ihre Arbeit einstellen müssen. „Die Koordinierung mit israelischen Behörden ist von entscheidender Bedeutung für die Beschaffung von Visa oder die Absprache mit der Armee für die Bereitstellung von humanitärer Hilfe“, sagt Suhad Bishara von der israelischen Menschenrechtsorganisation Adalah.
Bedroht sei neben der Arbeit in Gaza auch der Betrieb von 43 Gesundheitszentren und 96 Schulen im besetzten Westjordanland, an denen rund 343.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet würden. Das hätte auch Folgen für Israel: „Als Besatzungsmacht ist es rechtlich verpflichtet, diese wesentlichen Dienste zur Verfügung zu stellen“, so Bishara.
4. Welche weiteren Folgen hat das für Israel?
Auch außenpolitisch drohen Konsequenzen: Der scheidende US-Präsident Joe Biden hatte Regierungschef Benjamin Netanjahu Mitte Oktober eine Frist von 30 Tagen gesetzt, um die humanitäre Situation im Gazastreifen deutlich zu verbessern. Andernfalls könnten die US-Waffenlieferungen an den Verbündeten gestoppt werden. Bisher hat sich die Lage besonders im Norden Gazas jedoch kaum verbessert. Ein Ende von UNRWA, darin sind sich die meisten Beobachter einig, würde die bereits jetzt katastrophale Situation massiv erschweren.
Die Beziehungen zwischen Israel und den Vereinten Nationen erreichen außerdem einen neuen Tiefpunkt. Anfang Oktober hatte das Land UN-Generalsekretär Guterres die Einreise verweigert. Israels UN-Botschafter schredderte im Mai auf dem Rednerpult der Generalversammlung die UN-Charta. Seit Kriegsbeginn wurden mehr als 200 UN-Angestellte getötet, mehr als in jedem anderen Konflikt seit der Gründung der UNO.
Im schlimmsten Fall droht Israel ein Ausschluss aus den UN. Ein solcher Schritt wäre auf Grundlage der UN-Charta möglich, wenn ein Mitgliedstaat deren Grundsätze beharrlich verletzt. In der UN-Geschichte wäre das ein Novum. Die USA würden einen solchen Schritt aber fast sicher durch ein Veto verhindern.
5. Wer übernimmt UNRWAs Rolle?
Die von der Knesset beschlossenen Gesetze sehen keine Alternative vor. Netanjahus Büro teilte noch am Abend mit, Israel sei bereit, mit internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, um humanitäre Hilfe für Zivilisten in Gaza zu ermöglichen. Wie das funktionieren soll, ist völlig unklar. „Ohne UNRWA käme die Versorgung, die Betreuung von Unterkünften und der Betrieb von Gesundheitseinrichtungen für den Großteil der Menschen in Gaza zum Erliegen“, sagte UNRWA-Sprecher Jonathan Fowler am Dienstag.
Israelische Organisationen oder die Armee kommen kaum als Ersatz in Frage, da sie kein Vertrauen in der Bevölkerung genießen und angesichts noch immer operierender Hamas-Zellen leicht zu Zielen von Angriffen werden könnten. Andere internationale Organisationen dürften kaum binnen weniger Wochen ihr Personal ausreichend aufbauen können, um rund 13.000 UNRWA-Angestellte zu ersetzen. Andere UN-Organe, etwa die Weltgesundheitsorganisation WHO oder das Welternährungsprogramm WFP, könnte ehemalige UNRWA-Beschäftigte übernehmen. Das aber würde der israelischen Sicht widersprechen, die UNRWA als von der Hamas betrachtet.
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