Ambros Waibel Das bisschen Haushalt
: Bis der Erste dann das Licht aus macht

Foto: Isabel Lott

Was nun das Judenproblem angeht, so sehen Sie das ganz falsch. Denken Sie einmal, unter den Berliner Ärzten waren 85 % Juden, den Rechtsanwälten 75 %. Es ist doch vollkommen selbstverständlich, daß dieser Zustand eines Tages als unmöglich angesehen wurde.“ In einer Gegenwart, die von der Sorge um zu wenig Zuwanderung ins gar nicht mehr so spitzendolle Tschörmany geprägt sein müsste, kennt dieses Land keine Parteien mehr, sondern hat sich „vollkommen selbstverständlich“ auf ein Gebilde in den geistig-moralischen Grenzen von 1933 geeinigt, für das obiges Zitat aus einem Brief Gottfried Benns einstehen kann. Es ist absolut absehbar, dass auf den derzeitigen national-sozialen Taumel ein krachendes 1945 folgen wird, insbesondere deswegen, weil rationale Forderungen wie ein AfD-Verbot fast nur noch von Outcasts wie dem FDP-Ortsverein Kreuzberg erhoben werden höchst ehrenwerte Leute, gewiss, die aber die heroische Minderheitsposition zur Lebensmaxime erhoben haben.

Nach Heroismus ist mir nun überhaupt nicht. Die Zwischenzeit zwischen niederträchtiger Entgrenzung und notwendig folgendem Großkater muss ich nicht live miterleben. Wenn sich die immer noch klare Mehrheit einfach nicht gegen die – zweifellos weiter wachsende – Minderheit der mit dem mörderischen Putinschen Mafiastaat verbündeten Gebilde AfD und BSW durchsetzen möchte, dann geht es mir wie der großartigen Schriftstellerin Vicki Baum, deren Autobiographie ich gerade gelesen habe: „Ich bin nicht nur nicht in dieser Zeit zu Hause, dieser Gegenwart, sondern fühle mich auch ständig verärgert und gereizt, nicht gewillt weiter mitzumachen, ja in wütender Opposition. Für eine Schriftstellerin ist das eine kleine Tragödie, weil das den Nervus sympathicus lähmt, der alles Fühlen, Denken und Schaffen in Bewegung setzt.“

Es war dieser noch funktionierende Nervus sympathicus, der Vicki Baum schon 1932 auf die richtige Spur setzte, ihren Lebensmittelpunkt zügig zu verlegen. Sie schreibt, quasi vorausschauend zum Duell Woidke vs. Brandenburger AfD-Nazi oder MerzScholz vs. Höcke: „Wenn der Sieg eines müden, senilen, nicht übermäßig gescheiten alten Soldaten wie Hindenburg über einen widerlichen, hysterischen Emporkömmling das beste ist, was wir erreichen können – dann, Deutschland, gute Nacht!“

Und was haben solche, gerade auch für die meisten in meinem eigenen, noch demokratischen Lager – das ist immer das niederschmetterndste – abseitigen historischen Bezüge in einer Haushaltskolumne verloren? Nun, ein Haushalt mit den in ihm Lebenden ist konkret. Wenn ich zu konzisen Analysen oder flammenden Appellen nicht mehr in der Lage bin, weil mir der Adressat abhanden gekommen ist, und ich also meinen Beruf sozusagen nur noch auf Sparflamme ausüben kann, dann muss dennoch das Essen gekocht, die Windel gewechselt und die Wäsche gewaschen werden; dann trage ich weiterhin Verantwortung in meiner Familie.

Die Zeit zwischen niederträchtiger Entgrenzung und Großkater muss ich nicht live miterleben

Die heimelige Routine inmitten einer täglich gemeiner werdenden Umgebung hat etwas Freundliches, aber sie lullt auch ein. Wenn mich ein Brief erreicht wie der oben zitierte von Benn, dann möchte ich meine Liebsten gern außerhalb des Zugriffsbereichs von Nazis und ihrem toleriert-toleranten Anhang wissen. Einen Haushalt führen – das heißt in diesen Zeiten: sich auf die Haushaltsauflösung vorbereiten.