Wohnungsnot in Deutschland: Kaum noch Baugenehmigungen
Selbst ein WG-Zimmer kostet in Deutschland im Schnitt mittlerweile 489 Euro im Monat. Derweil gerät die Bauwirtschaft immer tiefer in die Krise.
„Der Boden ist damit immer noch nicht erreicht und zaghafte Stabilisierungszeichen aus den Vormonaten haben sich als trügerisch erwiesen“, kommentierte der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, diese Entwicklung. Das aktuelle Niveau der Baugenehmigungen entspreche nur rund 200.000 neu gebauten Wohnungen pro Jahr. „Das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung, dass jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen in Deutschland entstehen sollen, liegt nun für diese Legislaturperiode in unerreichbarer Ferne.“
Derzeit arbeiten noch rund 2,6 Millionen Beschäftigte im Baugewerbe. Lange Zeit ging es der Branche aufgrund niedriger Zinsen relativ gut. Als das Bruttoinlandsprodukt wegen der Coronakrise 2020 um 4,1 Prozent einbrach, legte die Bauwirtschaft noch um 4,0 zu. Die Wende kam mit steigenden Kosten und vor allem steigenden Zinsen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022. Denn die Europäische Zentralbank (EZB) bekämpfte den dadurch ausgelösten Anstieg der Inflation mit höheren Zinsen. Dies verteuerte Kredite, was sich wiederum negativ auf Immobilienpreise und Bauwirtschaft auswirkte.
Zwar hat die EZB die Zinsen zwischenzeitlich wieder leicht gesenkt. Doch ist sie laut Dullien dabei zu zögerlich. „Die Zinsen für zehnjährige Immobilienkredite hatten sich zeitweise von rund einem Prozent fast vervierfacht und liegen heute immer noch mehr als dreimal so hoch wie zum Tiefpunkt“, erklärt der Experte. „Die Wohnungsnot in den deutschen Ballungsgebieten wird damit absehbar anhalten.“
489 Euro für ein WG-Zimmer
Wie groß die Wohnungsnot derzeit ist, dürften im bald beginnenden neuen Semester auch viele Studierende merken. Mittlerweile kostet ein WG-Zimmer an einem deutschen Hochschulstandort im Schnitt 489 Euro pro Monat. Die Zimmer sind damit im Schnitt um 17 Euro teurer als im Wintersemester 2023/24, wie eine aktuelle Studie zeigt, die das Moses-Mendelssohn-Institut in Kooperation mit der Onlineplattform wg-gesucht.de erstellte. Vor dem Wintersemester 2013/2014 hat ein WG-Zimmer im Schnitt noch 324 Euro gekostet.
Für ihre Analyse werteten die Forschenden mehr als 9.000 Angebote für WG-Zimmer aus. Besonders viel müssen demnach Studierende in München berappen. In der bayerischen Landeshauptstadt kostet ein WG-Zimmer im Mittel 790 Euro im Monat. Das sind 40 Euro mehr als ein Jahr zuvor. Zweitteuerste Stadt ist Frankfurt am Main mit 680 Euro. Nummer drei ist Berlin. Hier bleibt die Miete mit 650 Euro konstant hoch.
Eine Trendwende auf dem Wohnungsmarkt wird es unterdessen so bald nicht geben. Laut Ökonom Dullien ist sie frühestens im späteren Jahresverlauf 2025 zu erwarten, „wenn die EZB die Zinsen spürbar gesenkt hat und sich diese Zinssenkungen auch auf die Baunachfrage durchschlagen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos