Kamala Harris' Programm: Jetzt kann sie auch noch Spagat!

Die demokratische Kandidatin hat in der ersten TV-Debatte gegen Trump gewonnen, ihr Höhenflug geht erst mal weiter. Aber was hat sie eigentlich vor?

Haare wehen im Wind

Hat den Wind im US-Wahlkampf gedreht: Kamala Harris am 12.9. in North Carolina Foto: Jonathan Drake

Weniger als zwei Monate vor dem US-Wahltermin am 5. November hat Kamala Harris eine weitere Hürde genommen. Die erste – und wohl auch einzige – TV-Debatte gegen Donald Trump hat sie mit Bravour gewonnen. Ihre rasante Wahlkampagne seit dem Rückzug Joe Bidens von der Kandidatur behält damit zunächst das Momentum.

Dabei praktiziert Harris einen schwierigen Spagat. Rund 60 Prozent der US-Amerikaner*innen zeigen sich in Umfragen unzufrieden mit dem Zustand des Landes und wünschen sich Veränderung. Als amtierende Vizepräsidentin kann Harris jedoch kaum glaubwürdig als diejenige auftreten, die politisch für den Wechsel steht. Einer der wenigen guten Momente Donald Trumps in der TV-Debatte war denn auch sein einstudiertes Abschlussstatement, in dem er fragte, warum Kamala Harris all das Tolle, das sie verspricht, nicht schon längst umgesetzt habe, schließlich säße sie doch seit dreieinhalb Jahren im Weißen Haus.

Insofern scheint Harris, die in den letzten Wochen erst nach und nach konkrete Vorschläge lanciert hat, eine Doppelstrategie zu verfolgen: Als Person ist sie inzwischen klar aus dem Schatten Joe Bidens herausgetreten und hat mit ihrer genialen Wahl von Tim Walz als Vizekandidaten einen Energieschub ohnegleichen in die Demokratische Partei gebracht. Politisch baut sie auf der Biden-Politik auf, bringt aber einige wenige neue Vorschläge ein – Steuersenkungen für Geringverdienende, Erleichterungen für junge Familien und höhere Abschreibungsmöglichkeiten für kleine Unternehmensgründungen – die sie in einen Diversitätsdiskurs rahmt: gleiche Chancen für alle, unabhängig von Status und Herkunft. Das nennt sie recht bombastisch „Opportunity Economy“ und „New Way Forward“. So neu ist der Weg nicht – der Anstrich schon.

All das ist inzwischen auf ihrer Kampagnenseite nachzulesen. Wie immer bei solchen Wahlprogrammen steht da vieles, was schwer durch den Kongress zu bringen wäre – aber diese insgesamt knapp 10 DIN-A4-Seiten haben auch nicht den Zweck, ein Regierungsprogramm für vier Jahre zu formulieren, sondern die Kandidatin zu definieren.

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Das große Thema Inflation

Das scheint auch immer noch dringend nötig: In Umfragen sagte kurz vor der TV-Debatte rund ein Viertel der Befragten, ihnen sei nicht klar, wofür Kamala Harris eigentlich stehe. Und danach gaben in Medienbefragungen etliche unentschiedene Wäh­le­r*in­nen an, sie hätten nicht verstanden, was Harris tatsächlich unternehmen wolle, um die Inflation und die damit verbundenen hohen Lebenshaltungskosten zu senken. Neben Migration ist dies das Topthema der Trump-Kampagne und tatsächlich eine der Hauptsorgen der US-Amerikaner*innen. Zwar erklärt auch Donald Trump nicht, warum mit ihm die Inflation sinken sollte. Aber als er Präsident war, war sie niedriger – das reicht ihm als Argument.

Seit dem Wechsel von Joe Biden zu Kamala Harris ist die Wahl wieder offen. Hatte kaum ein Analyst Biden auch nur eine theoretische Chance gegeben, ausreichend Bundesstaaten zu gewinnen, um die benötigten 270 Stimmen im Electoral College, dem Wahlleutegremium, zu erreichen, so liegen Trump und Harris jetzt praktisch gleichauf.

In den letzten Wochen bis zur Wahl wird es darauf ankommen, das eigene Wäh­le­r*in­nen­po­ten­zi­al in den Swing States, jenen sieben bis acht Bundesstaaten, in denen das Rennen noch offen ist, maximal zu mobilisieren. Für die De­mo­kra­t*in­nen heißt das auch: Der progressive Flügel, der 2016 zu Hause blieb, weil Hillary Clinton für Linke nicht wählbar schien, muss zur Wahl gehen. 2020 reichte dafür die Drohung einer zweiten Amtszeit Donald Trumps aus.

Kamala Harris fährt dabei eine mehrgleisige Strategie. Einerseits halten ihre Programmpunkte eine ganze Menge progressiver Inhalte bereit. Am stärksten ist hierbei sicherlich die Verteidigung reproduktiver Rechte, denn diese sind nach der Abschaffung des landesweiten Rechts auf Abtreibung durch den Supreme Court 2022 allein schon ein Mobilisierungspunkt. Aber auch in den Themenbereichen Bildung, Krankenversicherung und soziale Absicherung bleibt Harris ausreichend fortschrittlich, um keinen Linken abzuschrecken – und gleichzeitig vage genug, um die Ängste der Mitte vor einem „Kommunismus“ gering zu halten.

Fracking soll erlaubt bleiben

Zugleich verweist Harris auf ihrer Kampagnenseite hinter jedem Abschnitt auf das konservative „Project 2025“. Das unter der Regie der Heritage Foundation ausgearbeitete 900-Seiten-Programm würde den Trumpismus institutionell verankern – und taugt als Gruselbild, um Harris die Stimme zu geben, so das Kalkül.

Mit Sorge schauen jedoch Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen auf einige von Harris’ Positionen, die auch in der TV-Debatte deutlich wurden. Hier erklärte sie, keinesfalls auf ein Verbot von Fracking hinzusteuern, einem im bedeutenden Swing State Pennsylvania nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftszweig. Wie beim Thema Grenzschutz und Migration scheint Harris hier einem Trump-Narrativ hinterherzulaufen: Wer gegen Fracking sei, sei für die Menschen in Pennsylvania nicht wählbar. Das stimmt zwar so nicht, denn angesichts der massiven Umweltschäden durch Fracking ist rund die Hälfte der Wäh­le­r*in­nen des Bundesstaates einem Verbot nicht abgeneigt. Doch für Harris gilt hier: besser keine Angriffsfläche bieten!

In der Außen- und Sicherheitspolitik und beim Thema Israel und Palästina bleibt sie bei der derzeitigen Biden-Linie. Insbesondere ihre Israel-Unterstützung, unterlegt mit den gleichen zahnlosen Aufrufen, doch bitte das Leben der Zivilbevölkerung in Gaza zu schonen, kommt bei jenen, die schon Biden während der Vorwahlen einen Denkzettel verpasst hatten, nicht gut an. Wenn aber etwa die vielen pro-palästinensischen und arabischstämmigen Wäh­le­r*in­nen im Swing State Michigan zu Hause bleiben, kann auch das Harris die Wahl kosten.

Harris wird sich in den kommenden Wochen politisch weiter erklären müssen, angreifbare Festlegungen wird sie aber weiter vermeiden. Vermutlich eine richtige Strategie – zumindest um erst einmal die Wahl zu gewinnen. Regieren kann sie dann ja immer noch.

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