Brandenburger Flüchtlingsrat: „Symbolpolitik statt Problemlösung“

Die Migrations- und Flüchtlingspolitik in Brandenburg sei getrieben von populistischem Aktivismus, sagt Vincent da Silva vom Flüchtlingsrat.

Ein Polizist neben Geflüchteten an der Grenze zu Polen.

Für Geflüchtete führt kein Weg daran vorbei: Um nach Deutschland zu gelangen, müssen sie die Grenze illegal übertreten Foto: Markus Schreiber/picture alliance

taz: Herr da Silva, gerade hat die Bundesregierung neue Verschärfungen für Flüchtlinge angekündigt. Was halten Sie davon?

Vincent da Silva: Was die Bundesregierung vorschlägt, ist haarsträubend. Es ist letztlich nichts anderes als ein Mittel, um sich hoch offiziell von rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Grundprinzipien verabschieden zu können: Schnellverfahren an der Grenze, Haft für Asylsuchende oder gar Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen sollen nun im Hauruckverfahren politisch durchgeboxt werden. Es ist der geradezu panische Versuch, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Dass aber ein solch grobschlächtiger Aktionismus nicht selten vor allem den rechten Kräften in die Hände spielt, hat sich schon mehrfach gezeigt – hier scheint offenbar nicht wirklich aus Erfahrung gelernt worden zu sein.

taz: Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte ja vor Monaten mit als Erster nach Grenzkontrollen gerufen. Jetzt liest man überall, es kämen tatsächlich weniger Flüchtlinge nach Brandenburg. Stimmt das nicht?

Vincent da Silva

55, ist einer von acht Mitarbeitenden des Brandenburger Flüchtlingsrats. Er ist studierter Medienwirt, beim Flüchtlingsrat arbeitet er vor allem in einem Projekt zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen von schutzsuchenden Menschen.

da Silva: Das Thema Grenzkon­trollen ist ein gutes Beispiel für den aktuellen Fokus auf Symbolpolitik. Es wird demonstriert, dass man im Sinne von Abschottung agiert – aber tatsächlich kann nicht belegt werden, ob das überhaupt funktioniert. Eine Studie der Universität Frankfurt/Oder hat kürzlich aufgezeigt, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Grenzkontrollen und gesunkenen Flüchtlingszahlen nachgewiesen werden kann. Uns macht aber noch ein weiter Aspekt Sorgen: Auf der einen Seite wird betont, dass die Zahl der sogenannten illegalen Einreisen – ein Begriff, den wir sowieso höchst fragwürdig finden – steigt. Was natürlich auf der Hand liegt, wenn man vermehrt Grenzkon­trollen macht. Auf der anderen Seite wird von angeblich sinkenden Zahlen von Asylanträgen berichtet. Da stellt sich schon die Frage, inwiefern hier auch Pushbacks im Spiel sind.

taz: Wie meinen Sie das?

da Silva: Eigentlich müssen ja Menschen, die an der Grenze aufgegriffen werden und „Asyl“ sagen, direkt in die Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt gebracht und ein Asylverfahren eingeleitet werden. Aber uns erreichen immer wieder Berichte von lokalen Ak­ti­vis­t*in­nen und Gruppen im Grenzgebiet, dass Menschen an der Grenze abgewiesen und nach Polen zurückgeschickt werden. Wenn Menschen tatsächlich vermehrt rechtswidrig einfach an der Grenze zurückgewiesen werden, führt dies natürlich auch zu sinkenden Asylanträgen.

taz: Was haben Sie denn gegen den Begriff „illegale Einreise“?

da Silva: Er ist einfach irreführend, weil eine legale Einreise für ganz viele geflüchtete Menschen schlicht nicht möglich ist. Die Staatsangehörigen fast aller Länder brauchen dafür ein Visum, müssten also im Herkunftsland Zugang zur deutschen Botschaft haben, was viele nicht haben. Und selbst wenn, würden die meisten kein Visum bekommen. Die Leute sind also gezwungen, sich „illegal“ auf den Weg zu machen. Das zeigt die ganze Absurdität des Systems: Einerseits gibt es die rechtlich verbriefte Regelung, das man mit dem Aussprechen des Worts „Asyl“ das Recht auf ein Asylverfahren hat. Aber um überhaupt so weit zu kommen, muss man die Grenze illegal übertreten. Hier fängt die Stigmatisierung von geflüchteten Menschen an, die sich durch das gesamte weitere Verfahren zieht.

Was ist Ihre größte Befürchtung, sollte die AfD tatsächlich auch in Brandenburg stärkste Fraktion werden?

da Silva: Vor allem befürchten wir, dass es durch die anzunehmenden Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung zu noch mehr politischem Hickhack kommen wird. Schon in den letzten Monaten gab es ja eine Verschiebung im politischen Diskurs: weg von fachspezifischen Inhalten hin zu immer mehr Symbolpolitik und einem Überbietungswettbewerb mit populistischen Äußerungen. Dadurch ist die Auseinandersetzung mit den eigentlichen Problemen in den Hintergrund getreten.

taz: Was sind die eigentlichen Probleme?

da Silva: Es gibt Probleme auf vielen Ebenen. Es beginnt, wenn Geflüchtete in Brandenburg ankommen, denn sie müssen oft viel zu lange in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben. Dort herrschen denkbar schlechte Bedingungen, um ein eigenständiges Leben zu beginnen. Es gibt zum Beispiel viel zu wenig Behörden und unabhängige Beratung für Flüchtlinge, wo sie Orientierung bekommen, wie es weiter gehen kann. Und wenn die Flüchtlinge irgendwann auf die Landkreise verteilt werden, landen sie in aller Regel wieder in Sammelunterkünften, wo sie keine Hilfe bekommen, um sich ein eigenständiges Leben aufzubauen.

taz: Zumal die Heime nicht selten im Nirgendwo liegen, wo die Menschen auch räumlich von allem abgeschnitten sind.

da Silva: Viele Unterkünfte sind tatsächlich infrastrukturell ungenügend und zum Teil denkbar schlecht angebunden. Eigentlich müsste Landespolitik hier zweierlei tun: mehr privaten Wohnraum schaffen, auch wenn das natürlich nicht einfach ist – und parallel die Infrastruktur ausbauen, besonders im ländlichen Raum. Wir alle brauchen mehr öffentlichen Verkehr, mehr Schulen, mehr Kitaplätze und und und. Im politischen Diskurs wird das aber oft falsch zugespitzt, um Deutsche und Flüchtlinge zu spalten. Das sind keine Probleme, die nur Geflüchtete betreffen, geschweige denn von ihnen verursacht würden. Fehlende In­frastruktur und Wohnungen geht uns alle an.

taz: Wie steht es um die Integration in den Arbeitsmarkt?

da Silva: Auch hier besteht in Brandenburg Aufholbedarf, sowohl was Ausbildungsmöglichkeiten anbelangt als auch die Möglichkeit, schnell in Arbeit zu kommen. Wir bekommen immer wieder Berichte von Geflüchteten, die sagen, dass sie eine Stelle gefunden hätten, aber sich die Prozesse in den Behörden dermaßen verschleppen, dass es doch nicht zur Anstellung gekommen ist.

taz: Kommen wir zu konkreten Projekten der Landesregierung. Wie steht es um das Abschiebezentrum am BER, das offiziell Behördenzentrum heißt?

da Silva: Die Geschichte hat zwei Seiten. Zum einen geht es um das geplante Abschiebezentrum, ein zugegeben zugespitzter Begriff, den wir aber sehr passend finden, denn darum geht es letztendlich. Der Bau ist seit Langem im Gange, dafür werden massiv Gelder veranschlagt – und nach unserer Ansicht auch verschleudert. Es gibt zum Beispiel einen Pachtvertrag mit einem dubiosen Geschäftsmann, der die Landesregierung für 25 Jahre knebeln wird. Vor Kurzem sind dann auch noch vergaberechtliche Ungereimtheiten aufgetreten, die das ganze Projekt eigentlich infrage stellen müssten. Aber natürlich juckt das SPD und CDU nicht, und die Grünen hatten nie den politischen Mut, in dieser Sache ordentlich Krach zu machen.

taz: Es gibt ja auch schon ein Abschiebezentrum am BER. Was für Erfahrungen machen Sie damit?

da Silva: Die „Ausreisesammelstelle“ besteht schon lange, hier kann man sehen, was passiert, wenn Geflüchtete isoliert von der Öffentlichkeit kaserniert werden. Menschen werden unter sehr fragwürdigen rechtlichen Bedingungen in Gewahrsam genommen. Asylanträge im sogenannten Flughafenverfahren sehr schnell zurückgewiesen, zumeist, ohne dass die Menschen darauf angemessen vorbereitet waren. So haben sie zum Beispiel das Recht auf eine unabhängige anwaltliche Beratung zum Asylverfahren, die müsste das Land proaktiv anbieten. Aber das passiert de facto nicht beziehungsweise nur sehr unzureichend.

taz: Hat die Zivilgesellschaft keinen Zugang zu den Gefangenen?

da Silva: Nein, das ist das Problem, es findet alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auch die seelsorgerische Betreuung, der Zugang zu Sozialarbeitern oder psychologischer Hilfe läuft nur gefiltert über die Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Gewahrsams. Letztlich heißt dies, dass Leute, die keine Qualifikation haben, darüber entscheiden, wann und ob eine untergebrachte Person medizinische oder psychologische Betreuung bekommt. Auch die aktuelle Gewahrsamsordnung ist trotz mehrfacher Anfragen nicht öffentlich einzusehen. Dadurch bleiben die ganzen Praktiken weitgehend im Dunkeln und wir erfahren quasi immer nur von Einzelfällen.

taz: Das Prinzip, Geflüchtete zu isolieren, hat ja Konjunktur. Brandenburgs Innenminister will zum Beispiel große „Ausreisezentren“ bauen, etwa auf einer kleinen Oder-Insel. Was würde das bedeuten?

da Silva: Es gab immer wieder Pläne, Leute ohne Bleibeperspektive vorzeitig anders unterzubringen, um sie quasi „griffbereit“ zu haben für eine schnelle, reibungslose Abschiebung. Sie sollen so zudem isoliert werden von Teilhabemöglichkeiten, die geflüchteten Menschen zustehen. Dass solche Pläne jetzt wieder hervorgeholt werden, ist natürlich Ausdruck der aktuellen Stimmung, die nur an Abschottung und Abschreckung denkt. Anstatt, dass man versucht, Bleiberechtsmöglichkeiten auszuloten – und sei es auch nur aus pragmatischen Gründen, etwa weil das Land Arbeitskräfte braucht –, herrscht zunehmend der Wille vor, Bleiberecht zu verhindern, wo es geht.

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