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Berliner Clubkultur und NachhaltigkeitDie Heinzelmännchen der Clubszene

Das Projekt Clubtopia berät Kulturbetriebe in Sachen Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit. Ein Besuch im Kreuzberger SO36.

Auch im SO36 gilt: Das Bier muss kalt und die Musik laut sein Foto: Steve Braun

Berlin taz | Das verrostete Metallgitter klemmt und knarzt, als Matti Zickrow am Dienstagmorgen die Tore des SO36 aufsperrt. Die Sonne prallt auf den Asphalt, ihre Strahlen spiegeln sich in der Discokugel über dem Eingang. Auf der Kreuzberger Oranienstraße herrscht schon Trubel, während der Club allmählich erwacht.

Es ist nicht der klassische Beratertermin, der am Dienstag im SO36 stattfindet. Die üblicherweise im Anzug auftretenden Be­ra­te­r*in­nen erscheinen in Sneakers mit Flammenmotiv und Jeanswesten. Anstatt steriler Büroräume dient das Raucher-Café des Clubs als Beratungsort. Es riecht nach kaltem Rauch, die Wände sind mit Antifa-Stickern und Graffiti übersät, ein dunkler Raum.

Auf den Barhockern sitzen Mariangela Saracino, Matthias Krümmel und Volker Stahl. Saracino ist Koordinatorin des Projekts Clubtopia, Krümmel Referent für Klimapolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Volker Stahl freiberuflicher Energieberater. Heute beraten sie Matti Zickrow und Daniel Schiller vom SO36, wie die ihren Clubbetrieb nachhaltiger und klimafreundlicher gestalten können.

„An einem Wochenende verbraucht ein mittelgroßer Club im Durchschnitt so viel Strom wie ein Singlehaushalt im ganzen Jahr“, berichtet Katharina Wolf, Projektleiterin bei Clubtopia im Vorfeld der Beratung der taz. Um Clubs auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit zu unterstützen, bietet Clubtopia kostenlose Energieberatungen an. Entstanden ist das Kooperationsprojekt von BUND und dem Verein Clubliebe im Jahr 2019. Gefördert wird es von der Senatsumweltverwaltung.

Knallen soll es trotzdem

„Nachhaltig heißt ja nicht, dass es nicht knallen soll“, sagt BUND-Referent Krümmel: „Das Bier muss kalt und die Musik laut sein.“ Aber wie kalt und wie laut, das wollen die Be­ra­te­r*in­nen genau unter die Lupe nehmen. „Am liebsten fangen wir mit den Rechnungen an“, sagt er: Strom, Abfall, Wasser, Gas – die Bereiche, die klimatechnisch am wichtigsten sind.

Akribisch wird jedes Gebiet durchgegangen. So auch beim SO36. Der Club hat 330 Veranstaltungstage jährlich, eine Spielzeit von 2.000 Stunden. Mariangela Saracino will wissen, wie es um Lüftung, Heizung und Dämmung steht. Wie hoch sind Wasser- und Stromverbrauch? Wird der Müll getrennt oder nicht? Ist das Catering vegan oder mit Fleisch? Greift man auf Bioreinigungsmittel oder auf Chemiekeulen zurück? Kein Detail wird ausgespart. Saracino notiert sich alles fein säuberlich auf einem Klemmbrett.

Dann geht’s ans Eingemachte. In Teams schwirren die Be­ra­te­r*in­nen aus und widmen sich den CO2-Hauptverursachern: Lüftung, Heizung, Kühlung, Toiletten, Beleuchtung, Soundtechnik. Ein langer dunkler Gang führt zur Halle, dem Hauptveranstaltungsraum. Der Geruch von Bier liegt in der Luft, Bühnenarbeiter sind fleißig am Werkeln, es wird geschweißt, am Nachmittag sollen die Deckenlichter entstaubt werden.

Saracino und Krümmel überprüfen den Stromverbrauch aller Geräte hinter der Bar, stecken Thermometer in die Kühlkisten und fotografieren Plaketten ab. In der Kühlkammer misst Krümmel 7 Grad. „Da können wir ja gar nicht rummosern“, sagt er.

Stromfresser Getränkekühlung

SO36-Vorstand Daniel Schiller sieht in der Getränkekühlung jedoch eines der größten Einsparpotenziale. „Das Aggregat der Kühlkammer ist schon 30 Jahre alt und undicht und verballert total viel Energie. Das Ding ist eigentlich tot, aber super teuer, deshalb müssen wir damit auskommen“, sagt Schiller. Weil die Kühlung schwierig an- und auszuschalten sei, laufe sie ununterbrochen, auch wenn keine Veranstaltungen stattfinden.

Schiller würde gern auf dem Dach eine Photovoltaikanlage installieren und die daraus gewonnene Energie für die Getränkekühlung nutzen. Ein solcher Wechsel zu einem nachhaltigen Stromanbieter sei der „einfachste und größte Schritt“, um CO2 zu reduzieren, erklärt Katharina Wolf. „Wenn der Strom aus ausschließlich erneuerbaren Energien kommt, kann man bis zu 80 Prozent CO2 einsparen.“

Für eine entsprechende Anlage auf dem Dach fehle dem SO36 jedoch das Geld, sagt Schiller. Die letzten Förderprogramme, die der Club während der Pandemie erhalten habe, seien in neue Klos gesteckt worden. Wegen der hohen Lärmemission habe das SO36 im vergangenen Jahr zudem in einen Anbau investiert, der als Schallschutz fungiert. Nun ist das Geld erst einmal aus.

Der Kostenfaktor ist eine Hürde auf dem Weg in Richtung Nachhaltigkeit. „Häufig muss man aber auch keine großen Investitionen tätigen“, sagt Wolf. „Verhaltensänderungen machen extrem viel aus.“ Etwa das Ausschalten der Kühlschränke an veranstaltungsfreien Tagen oder die Erhöhung der Kühlschranktemperatur um ein Grad. „Allein dadurch werden sechs Prozent weniger Strom verbraucht.“

Schulungsbedarf auch für die Mit­ar­bei­te­r*in­nen

Wolf sagt, vor Ort versuchten sie ja bereits zu erkennen, wo der Club durch Verhaltensänderungen direkt Energie einsparen könnte. Und tatsächlich sind sich Matti Zickrow und Daniel Schiller dessen bewusst. Sie sehen großen Optimierungsbedarf, auch und vor allem im Verhalten der Mitarbeiter*innen.

Ein Bereich, in dem sie geschult werden müssten, sei die Luftzufuhr. „Bei einer Lesung mit 50 Leuten braucht man eine andere Luftzufuhr als bei einer Veranstaltung mit 500 feiernden, schwitzenden Gästen“, sagt Schiller. Viele Mit­ar­bei­te­r*in­nen seien damit jedoch nicht vertraut und verbrauchten zu viel Energie durch übermäßige Luftzufuhr. Energieberater Volker Stahl platziert deshalb neben der Bar ein Messgerät, dass die kommenden zwei Wochen die Luftqualität in der Halle messen soll.

Auf den Toiletten werden derweil Wassermassen und Druckverhältnisse überprüft. „Drei, zwei, eins …“: Krümmel betätigt den Wasserhahn, darunter hält er eine Plastiktüte. Saracino stoppt die Zeit. Das Ergebnis: unter sechs Liter pro Minute. „Fantastisch“, sagt Krümmel. Meistens käme bei Clubs ein Wert von zwölf Liter pro Minute raus.

Die berühmte Westberliner Kultinstitution ist in Sachen Nachhaltigkeit vergleichsweise gut aufgestellt. „Aber wir finden immer was“, sagt Krümmel. Saracinos Liste mit Einsparpotenzialen ist nach dem Rundgang dann auch lang: Der Club könnte Biomüll trennen, die Händetrockner („Keimschleudern“ und „Stromfresser“) durch eine andere Marke ersetzen, „die sogar eine besser Ökobilanz haben als Papier“, auch könnte das SO36 wasserlose Urinale einbauen.

Freiwillige Selbstverpflichtung

Dabei hat sich in dem Club seit dem letzten Beratungsbesuch Krümmels vor 13 Monaten schon einiges getan. Die Lichter wurden auf LED umgestellt, an den Heizungen wurden regelbare Thermostate angebracht. Trotzdem ist noch viel zu tun. Nachhaltigkeit, heißt es, ist nun mal ein andauernder Prozess.

Nach dem Ende der Besichtigung geht die Arbeit für Clubtopia erst richtig los. „Wir berechnen dann die Verbräuche der Geräte und stellen einen Energiebericht zusammen, in dem Strom-, Heiz- und Müllkosten detailliert aufgelistet werden“, erklärt Wolf.

Anschließend stellen sie den Clubs vor, in welchen Bereichen sie CO2-Einsparungspotenziale sehen. „Danach begleiten wir die Clubs weiter und verbinden sie bei Bedarf mit Ex­per­t*in­nen aus unserem Netzwerk.“ Nach rund einem Jahr wird der Erfolg der Energieberatung ausgewertet. „Der Prozess dauert am Ende mehrere Monate bis ein Jahr“, sagt Wolf.

Es ist 13 Uhr, Saracino und Krümmel haben jeden Winkel des Ladens inspiziert. Zum krönenden Abschluss unterzeichnet Matti den „Code of Conduct“ von Clubtopia, eine freiwillige Selbstverpflichtung für Kulturbetriebe, um möglichst klimaschonend zu wirtschaften. Bereits unterzeichnet haben den bereits Clubs wie das Schwuz und das Yaam, im vergangenen Jahr hat Clubtopia den „Code of Conduct“ für Festivals erweitert.

Giffey fremdelt mit Clubkultur

„Wir organisieren auch Nachhaltigkeitsworkshops und Netzwerkveranstaltungen, um einen Austausch und Wissenstransfer in der Szene herzustellen“, berichtet Wolf. Denn viele Clubs haben die gleichen Probleme, daher sollten sie sich vernetzen und unterstützen. Seit April dieses Jahres kooperieren etwa das SO36 und das Yaam, nachdem der Club am Ostbahnhof in finanzielle Schieflage geraten war. Eine Zusammenarbeit, die die Be­ra­te­r*in­nen schätzen.

„Die Clubkultur ist Berlins Tafelsilber“, sagt BUND-Referent Matthias Krümmel. Das werde von der Landespolitik längst nicht in ausreichendem Maß gewürdigt, auch nicht hinsichtlich der Unterstützung von Nachhaltigkeitskonzepten. Nicht zuletzt Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) fremdele bislang mit der Clubkultur.

Die von der Clubcommission im Auftrag der Wirtschaftsverwaltung erarbeitete „Nighttime Strategy“ für die Nachtökonomie würdigt Krümmel gleichwohl als einen guten ersten Ansatz: „Sie muss aber nachschärfen in puncto Nachhaltigkeit.“ Wenn es um die Umsetzung geht, brauche es zudem nicht nur Impulse aus der Wirtschaft, sondern auch aus der Kultur.

Krümmel sagt: „Technisch sind alle Lösungen längst da, die Umsetzung ist trocken Brot.“ Es geht um Technik und Energie, Wassersparen und Mülltrennung. Viele Clubs könnten die Lösungen jedoch nicht umsetzen. Daher brauche es Menschen mit Sachverständnis, die das anleiten. Krümmels Forderung: Es brauche Förderprogramme für Lehrgänge im Bereich Nachhaltigkeit. „Die Clubs sollen nicht nur nachhaltig glitzern, es muss auch umgesetzt werden.“

Beim Verlassen des SO36 tanzen die Sonnenstrahlen noch immer in der Discokugel über dem Eingang. Immerhin, es glitzert schon mal.

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1 Kommentar

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  • „An einem Wochenende verbraucht ein mittelgroßer Club im Durchschnitt so viel Strom wie ein Singlehaushalt im ganzen Jahr“ ... und ein Supermarkt zwei-, dreimal so viel - pro Tag. Was sagt uns das - nicht viel, zumindest aber, dass wir womöglich ganz andere Probleme haben als ein 30 Jahre alter Kühlschrank in 'ner Disco. Aber nichts für ungut!