Die Rückkehr der Langstreckenwaffen

Angesichts der russischen Bedrohung wollen die USA erstmals wieder weitreichende Waffen in Deutschland stationieren. Der Ukraine sagen die Nato-Staaten weitere Hilfen zu

„Wir sind stärker als je zuvor“, sagte US-Präsident Biden zum 75. Nato-Geburtstag (hier mit Kanzler Scholz und Generalsekretär Stoltenberg in Washington, v. l.) Foto: Kay Nietfeld/dpa

Aus Washington Hansjürgen Mai

Erstmals seit Ende des Kalten Krieges wollen die USA wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. Von 2026 an sollen unter anderem Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit deutlich mehr als 2.000 Kilometern Reichweite auf deutschem Boden stationiert werden. Das gaben das Weiße Haus und die Bundesregierung am Mittwoch am Rande des Nato-Gipfels in Washington bekannt.

Diskussionen über eine Ausweitung der militärischen Kapazitäten soll es demnach bereits im Vorfeld des Gipfels zwischen den beiden Regierungen gegeben haben. Laut einer gemeinsamen Erklärung werden die USA die neuen Waffensysteme zunächst nur als Teil einer sogenannten „Multi Domain Task Force“ in der Bundesrepublik stationieren. Dies sei jedoch nur eine vorübergehende Maßnahme, da der Plan letztlich eine dauerhafte Stationierung der Waffensysteme vorsieht.

Neben den Tomahawk gehören zu den Waffensystemen auch der Langstrecken-Typ SM-6 sowie in der Entwicklung befindliche Hyperschallwaffen. Erstere haben, je nach Variante und Abschusssystem, eine Reichweite von 240 bis 2.400 Kilometern und damit eine „deutlich größere Reichweite als die derzeitigen landgestützten Systeme in Europa“, hieß es in der Stellungnahme.

Mit der Stationierung dieser fortschrittlichen Waffensysteme in Deutschland wollen die Vereinigten Staaten ihr Bekenntnis zur Nato und zur europäischen Sicherheit unter Beweis stellen. Die Stationierung der Waffensysteme auf deutschem Boden ist nicht nur eine Reaktion auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, sondern auch ein Zeichen dafür, dass sich die USA unter Präsident Joe Biden für den Fortbestand des transatlantischen Bündnisses einsetzen wollen.

Die Zukunft der Nato dürfte vor allem bei einer möglichen zweiten Amtszeit von Donald Trump zur Debatte stehen. Beim Gipfeltreffen am Mittwoch und Donnerstag, bei dem das 75-jährige Bestehen der Allianz gefeiert wurde, ging es daher auch darum, den Fortbestand der Nato zu sichern. „Wir sind stärker als je zuvor. Seit meinem Amtsantritt haben wir die Zahl der Gefechtsverbände an der Ostflanke der Nato verdoppelt. Finnland und Schweden sind der Allianz beigetreten und die Zahl der Bündnispartner, die mindestens zwei Prozent für Verteidigung ausgeben, ist von 9 auf 23 gestiegen“, erklärte Biden im Vorfeld einer Arbeitssitzung der Verbündeten.

Neben der Stationierung von US-Waffensystemen in Deutschland in den kommenden Jahren haben sich die Bündnispartner in Washington darauf verständigt, der Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland langfristig zu helfen. Die 32 Nato-Partner werden im kommenden Jahr Kyjiw mit mindestens 40 Milliarden US-Dollar unterstützen. Diese Summe ist jedoch nur ein Gradmesser und könnte je nach Situation aufgestockt werden.

Gleichzeitig haben die USA, Dänemark und die Niederlande angekündigt, dass Kampfflugzeuge vom Typ F-16 noch in diesem Sommer für den Einsatz in der Ukraine zur Verfügung stehen werden. „Die dänische und die niederländische Regierung, mit Unterstützung der Vereinigten Staaten, sind gerade dabei, in den USA hergestellte F-16-Kampfflugzeuge an die Ukraine zu spenden“, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung der drei Länder nach dem ersten Gipfeltag. Zuvor hatten bereits Belgien und Norwegen angekündigt, der Ukraine weitere F-16 zur Verfügung zu stellen.

Der Weg der Ukraine in die Nato sei „unumkehrbar“, so die Militärallianz

Bereits am Dienstag verkündeten die USA, Deutschland und eine Reihe von anderen Nato-Mitgliedern, dass sie Luftabwehrsysteme, unter anderem die von Kyjiw geforderten Patriot-Systeme, in den kommenden Monaten bereitstellen würden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der auch in Washington war, bedankte sich für die Unterstützung der Nato-Partner. Selenskyj traf sich mit Mitgliedern des US-Kongresses sowie einer nationalen Delegation, um seinen Anliegen und Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Die Nato erklärte in einer am Mittwoch veröffentlichten gemeinsamen Erklärung, dass sich die Ukraine auf einem „unumkehrbaren Weg“ zur vollen Mitgliedschaft in der Allianz befinde. Der scheidende Generalsekretär Jens Stoltenberg machte allerdings klar, dass die Ukraine dem Bündnis erst nach dem Ende des Kriegs mit Russland beitreten werde. Trotz aller Lippenbekenntnisse: Die versprochenen Ukrainehilfen beinhalten keine von Selenskyj geforderten Angriffswaffen, um Russland zu besiegen.

Gleichwohl hat der Kreml die Nato-Beschlüsse zur Ukraine als Bedrohung der eigenen Sicherheit bezeichnet. Die Entscheidung, die Ukraine früher oder später in die Allianz aufzunehmen, verdeutliche das Hauptziel des Bündnisses, Russland kleinzuhalten und dem Land eine strategische Niederlage zuzufügen, sagte Kreml­sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag. „Das ist eine sehr ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit unseres Landes“, fügte er vor Journalisten in Moskau an – und kündigte Gegenmaß­nahmen an.