Attentat auf Trump: Suche nach Schuldigen
Wer hat das Attentat auf Trump am Wochenende zu verantworten? Biden? Oder war es gar eine False-Flag-Aktion? Die Verschwörungsmythen sprudeln.
Noch ist vollkommen unklar, was den mutmaßlichen Schützen, den 20-jährigen Thomas Matthew Crooks aus Pennsylvania, dazu gebracht hat, mit einem Sturmgewehr auf den früheren Präsidenten und aktuellen Kandidaten Donald Trump zu schießen. Crooks selbst kann dazu nichts mehr sagen: Er wurde noch am Tatort erschossen. Aber es wäre nicht 2024, wenn in Medien, unter Politiker*innen und in sozialen Netzwerken nicht längst jede denkbare Art von Interpretationen und Schuldzuweisungen kursieren würden.
Der republikanische Senator J. D. Vance aus Ohio, der von den meisten Analysten als heißester Anwärter als möglicher Vizepräsident unter Trump gehandelt wird, machte auf X unmittelbar den demokratischen Präsidenten Joe Biden verantwortlich: „Die zentrale Prämisse der Biden-Kampagne ist, dass Präsident Donald Trump ein autoritärer Faschist ist, der um jeden Preis gestoppt werden muss. Diese Rhetorik führte direkt zum Attentat auf Präsident Trump.“ Ein Zitat Bidens vom Ende vergangener Woche, das er über sein Wahlkampfteam hatte verbreiten lassen, dient dieser Denkrichtung als Beweis: Es sei jetzt genug, über seine schlechte Performance bei der TV-Debatte zu sprechen, es sei an der Zeit, „Trump zur Zielscheibe“ zu machen, hatte Biden gesagt.
Kritik an dieser Art von Rhetorik ist auch der Gegenseite nicht fremd: Als 2011 die demokratische Kongressabgeordnete Gabby Giffords in Arizona angeschossen wurde, machten viele dafür Sarah Palin verantwortlich, damals ein prominenter Star der rechten Tea-Party-Bewegung. Deren Political Action Comittee hatte 16 politisch anzugreifende Demokrat*innen, darunter Giffords, auf einer Landkarte mit stilisierten Fadenkreuzen markiert. Dass der Schütze davon überhaupt nichts wusste und das Attentat ganz andere Gründe hatte, spielte im aufgeheizten Diskurs zunächst keine Rolle. Palin trage Verantwortung, schrieb sogar die New York Times.
Es kann zum jetzigen Zeitpunkt zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Schütze tatsächlich als eine Art US-amerikanischer Georg Elser sah, der 1939 im Münchener Bürgerbräukeller ein Attentat auf Adolf Hitler verübte.
Denn zu Recht haben in den vergangenen Wochen viele US-Medien auf die zutiefst antidemokratischen Zielsetzungen hingewiesen, die das für eine zweite Trump-Präsidentschaft entworfene „Project 2025“ enthält – und nicht wenige haben Vergleiche dazu gezogen, wie einst die Nazis eine Demokratie von innen heraus in eine Diktatur verwandelten. Ob sich aber der registrierte Republikaner Crooks wirklich als derjenige empfand, der angesichts eines schwächelnden Kandidaten Biden zur Gewalt greifen wollte, weiß niemand.
Manche Republikaner*innen sehen in dem Attentat die Gelegenheit, den Sturm von Trump-Anhänger*innen aufs Kapitol zu relativieren: Der Abgeordnete Mike Collins aus Georgia etwa schrieb auf Twitter: „Joe Biden hat das angeordnet“ und müsse dafür angeklagt werden, „einen Mordversuch angestachelt“ zu haben – ein Spiegel der Anklage gegen Trump wegen seiner Rolle beim Kapitolsturm. Wieder andere, darunter neben Trump-freundlichen Influencern auch republikanische Abgeordnete, nehmen gar nicht erst den Umweg der Rhetorik-Kritik.
Es sei nicht gelungen, Trump durch die Strafverfahren zum Schweigen zu bringen, dann würden „sie“ eben versuchen, ihn umzubringen, geht dieses Narrativ. Die offene Frage nach den Gründen des ungewöhnlichen Sicherheitsversagens, das nahe gelegene Dach nicht gesichert zu haben, von dem Crooks die Schüsse abgeben konnte, spielt diesem Narrativ eines „inside job“ in die Hände. Ähnlich argumentiert auch Argentiniens rechts-neoliberaler Präsident Javier Milei: Er beschuldigt die „internationale Linke“, hinter dem Mordversuch zu stecken. „In ihrer Panik, bei den Wahlen zu verlieren, greifen sie zum Terrorismus“, schrieb Milei auf X.
In den sozialen Netzwerken gibt es nicht wenige, die an einen False-Flag-Anschlag glauben, der genau jene ikonischen Bilder vom blutverschmierten, die Faust ballenden Trump produzieren sollte, die noch in Jahrzehnten in den Geschichtsbüchern zu finden sein dürften. Ohne jeden Beweis bezweifeln Anhänger*innen dieser Theorie, dass die Trump umringenden Sicherheitsleute, die beim Herausführen des früheren Präsidenten mehrmals Pausen zuließen, damit Trump sich der „USA! USA!“ skandierenden Menge zuwenden konnte, wirklich vom Secret Service waren.
Welche konkreten Auswirkungen das Attentat auf den Wahlausgang im November haben wird, dürfte von vielen Faktoren abhängen. Welches Framing aber Trump und die Republikaner*innen dem Ereignis zuschreiben, wird in den kommenden Tagen beim republikanischen Parteitag in Milwaukee deutlich werden. Geballte Fäuste garantiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei