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Fraktionslose in Hamburger BürgerschaftRot-Grün kürzt die Redezeit

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Weil es nun sechs fraktionslose Abgeordnete gibt, reduzieren SPD und Grüne deren Zeit für aktuelle Reden. Die Begründung dafür ist unglaubwürdig.

Wer bekommt wie viel Redezeit? Aktuelle Stunde in der Hamburger Bürgerschaft Foto: Christian Charisius/dpa

E s ist fast lustig: Als letzte Woche bekannt wurde, dass mit Martin Dolzer ein dritter ehemaliger Linken-Politiker als Fraktionsloser in die Hamburgische Bürgerschaft einzieht, gaben SPD und Grüne bekannt, dass sie die Geschäftsordnung ändern. Statt bisher fünf Minuten sollen Fraktionslose nur noch drei Minuten in der „Aktuellen Stunde“ sprechen, in der meist medienwirksam ein aktuelles Thema diskutiert wird.

Die Redezeitverteilung sei „aus dem Ruder gelaufen“, seit es immer mehr fraktionslose Abgeordnete gibt, argumentieren SPD und Grüne. Zu Beginn der Legislatur war es nur Elisabeth von Treuenfels-Frohwein, die als Spitzenkandidatin der FDP zwar die Fünf-Prozent-Hürde verfehlte, aber über Stimmen für ihre Person den Sprung ins Parlament schaffte.

Mit dem einstigen SPD-Abgeordneten Sami Musa, der zur FDP wechselte, wurden es zwei. Mit Detlef Ehlebracht, der die AfD-Fraktion verließ, drei. Seit mit Mehmet Yildiz im Februar 2022 ein Linker seine Fraktion verließ, sind es vier. Da ihm im November sein ehemaliger Parteikollege Metin Kaya folgte, fünf. Die AfD-Fraktion nahm Ehlebracht inzwischen wieder auf, schloss dafür ihre Abgeordnete Olga Petersen aus. Damit sind es immer noch fünf.

Und fünf mal fünf Minuten, so der Taschenrechner bei Rot-Grün, ergibt 25 Minuten. Da aber die „Aktuelle Stunde“ nur 75 Minuten dauere, sei das ungerecht, so SPD-Mann Ole Thorben Buschhüter. Denn den übrigen 118 Abgeordneten blieben nur 50 Minuten Redezeit.

Gestraffte Abläufe

Die Idee, die Redezeit insgesamt zu verlängern, wurde von Rot-Grün verworfen. Die Abläufe wurden ja erheblich gestrafft, um die Politik familienfreundlicher zu machen. Ging es früher oft bis spät in die Nacht, endet die Sitzung heute oft noch vor 19 Uhr.

Nun, da ab Juli Martin Dolzer dazukommen wird, sahen sich die Mehrheitsfraktionen, die hier auch von der CDU unterstützt werden, bestärkt darin, den Fraktionslosen die Redezeit zu kürzen. Die Sache habe kurz vor der Ende der Wahlperiode einen „undemokratischen Beigeschmack“, findet nicht nur von Treuenfels-Frohwein. Mehmet Yildiz spricht gar von dem Versuch, unliebige Meinungen zu verdrängen. Er werde oft gemobbt, wenn er rede. Und man fragt sich ja wirklich: Wie geht das weiter, sollte es noch mehr Fraktionslose geben. Wird dann die Redezeit immer kürzer?

Ein Blick in die Protokolle relativiert die Argumentation der Redezeit-Verkürzer. Denn die Fraktionslosen reden gar nicht immer. Am häufigsten meldet sich die FDP-Frau zu Wort. Im Schnitt sprechen nur zwei, das macht zehn Minuten. Die Kürzung brächte also vier kleinkarierte Minuten Zeitersparnis. Es geht wohl nicht um gewonnene Minuten, sondern um Aufmerksamkeit.

Die FDP-Frau will es sportlich nehmen und in drei Minuten ihre Rede halten. Mehmet Yildiz, Metin Kaya und der gefürchtete Dolzer sagen, dass sie sich politisch nahestehen. Sie könnten nach Auskunft der Bürgerschaftskanzlei zu dritt eine Gruppe bilden, was ihnen auch mehr Rederechte verleihen würde.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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