Kandidat mit albanischen Wurzeln: „Erwartet bitte keine Wunder“

Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl tritt auch der SPD-Kandidat Sami Musa an. Er ist der Hoffnungsträger der albanischen Community.

Ein junger Mann in weißem Hamd schaut in die Kamera

Wahlkampf in Harburg: Sami Musa Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Zwischen Männern, die Olaf heißen und Sven und Klaus, hockt Sami Musa auf einem Gehsteig in Eißendorf, am südlichen Rand Hamburgs. „Sollen wir Sami als Einleger machen?“, fragt einer. „Gib mir lieber noch ein bisschen mehr Matthias“, sagt ein anderer. Die SPD Ortsgruppe Süderelbe sortiert Flyer für den Häuserwahlkampf. Keiner hat den Überblick, aber alle was zu sagen. Umständliches Hin und Her, wer nimmt welche Route, schnell noch ein Foto für Face­book. Musa hat noch Termine, ihm dauert das alles zu lange.

Sami Musa, 35, will in die Hamburger Bürgerschaft, er steht auf Platz 54 der SPD-Landesliste – völlig aussichtslos. Eigentlich. Doch er hat einen Trumpf im Ärmel. Musa ist der einzige Kandidat mit albanischen Wurzeln – in Deutschlands Landesparlamenten gibt es bisher überhaupt keine albanischstämmigen Abgeordneten. Er hofft auf die Stimmen von rund 9.000 Hamburger Wahlberechtigten, die seine Herkunft teilen. Die meisten von ihnen haben noch nie an deutschen Wahlen teilgenommen, sagen Leute, die sich in der Community auskennen. Schlicht, weil da niemand war, von dem sie sich repräsentiert gefühlt hätten.

In Eißendorf hat Sami Musa jetzt noch eine knappe Stunde, um an Türen zu klingeln. Deshalb geht er auch nicht zu Fuß zu der Straße, die die Genossen ihm zugeteilt haben. Er steuert in eine Parkbucht auf der linken Straßenseite. Jetzt ist er so spät dran, da ist es auch egal, ob er kurz mal gegen die Fahrtrichtung parkt. Musa, das muss man wissen, hat ein richtig geiles Auto: dunkler Audi Q8, SUV-Coupé, knapp 300 PS. Er wohnt in Harburg – die Harburger Berge, klar, viel Wald, viel hoch und runter, schlechte Bahnanbindung, da braucht man so was. „Quatsch“, sagt Musa. „Es gibt eigentlich keine Ausrede, warum ich dieses Ding noch fahre.“ Er streichelt das Lenkrad. „Dabei müsste ich es eigentlich einfach genießen.“ Musa ist „immer noch jemand, der sich freut, wenn er einen Lamborghini sieht“. Die Freiheit des Aufsteigerkindes ringt mit dem Klimagewissen.

Auf den ersten Blick ist Sami Musa ein Kandidat für starke Männer. Er beherrscht den lässig-o-beinigen Schlurfgang mit viel Schulterhub, mit dem Fußballer Dominanz demonstrieren. Seine Wahlplakate hängen an Billardklubs, deren Scheiben mit Spiegelfolie verklebt sind. Auf einem Face­book-Bild hält ihn Luan Krasniqi im Arm, „der Löwe“, ehemaliger Europameister im Schwergewichtsboxen. Unter dem Bild schreibt Krasniqi, er wünsche Sami Musa Gesundheit und Erfolg, um eine „mächtige und vernünftige Stimme für Hamburg“ zu werden.

Musa Senior kam als Gastarbeiter

Wie Krasniqi kommt die Familie Musa aus dem Kosovo. „Albaner“, sagt Vater Xhelil Musa, „sind wir alle.“ Im Kosovo bilden albanischsprachige Menschen die Mehrheit, in Albanien sowieso, in Nordmazedonien und Griechenland gibt es Minderheiten. Xhelil Musa trägt ein kragenloses weißes Hemd und graues, dichtes Haar. Es dürfte kaum einen Kosovo-Albaner in Deutschland geben, der noch nicht von ihm gehört hat. Musa Senior ist ein Phänomen.

In einem Monat ist er seit fünfzig Jahren in Deutschland. Er kam als Gastarbeiter, stand an der Drehbank, fuhr Taxi, wurde Gastronom. Mit seinen Restaurants und Hotels verdiente er ein Vermögen. Als Ibrahim Rugova 1992 die Unabhängigkeit des Kosovo von Jugoslawien erklärte, wurde Xhelil Musa zu einer Art inoffiziellem Botschafter. Er beherbergte Regierungschefs, Nationalmannschaften und auch den Präsidenten Rugova selbst. Albanischer Kontakt nach Deutschland? Nicht ohne Xhelil Musa. „Ich habe alles erreicht“, sagt er. „Aber jetzt überholt mich mein Sohn.“

Xhelil ist selbst in der SPD. Ein Mandat hatte er nie, er hat sich aufs Geschäft konzentriert. Aber sein Sohn Sami saß fünf Jahre in der Bezirksversammlung Harburg. Bei den Wahlen im Mai kandidierte er nicht erneut. Er will mehr. Die Hotels, die er inzwischen von seinem Vater übernommen hat, sind verpachtet. So kann er sich ganz auf den Bürgerschaftswahlkampf konzentrieren.

Und der bringt ihn an Orte, von denen sich der Großteil der Kandidatur-Konkurrenz wenig verspricht. In einem Schnellimbiss auf der Veddel stehen Plastikflaschen mit Cola und Mineralwasser auf Tischen, deren Furnier vom Sperrholz blättert. Es riecht nach heißem Fett. Viele Männer mit Arbeitsschuhen kommen herein, ein paar in Lederjacke, zwei Schriftsteller in Karohemden, ein Arzt mit Seidenschal. Alle sprechen albanisch miteinander, rund dreißig Menschen, vier davon Frauen.

Kurz bevor Sami Musa reden soll, rollt er einen seiner Flyer zu einem dünnen Röhrchen zusammen, immer enger. Sein Vater sagt: „Sein Albanisch ist gut, aber nicht perfekt. Er ist vielleicht ein bisschen nervöser, als wenn er auf Deutsch mit den Leuten sprechen kann.“

Probleme mit der Bürokratie

Sami Musa stellt sich vor die Gäste, beginnt auf Albanisch, wechselt dann ins Deutsche. „Hier auf der Veddel haben 75 Prozent der Menschen Migrationshintergrund“, sagt er. „Ich möchte da sein für die Minderheiten, deshalb spreche ich hier heute Deutsch.“ Die Männer lachen.

Sie sind hier, weil sie Probleme haben mit der deutschen Bürokratie. Und weil da einer kommt, dem sie bereit sind zu vertrauen, weil er einer von ihnen ist. „Diese Leute sollen mich wählen“, sagt Sami Musa, „deshalb muss ich wissen, was sie sich von Deutschland wünschen.“

Die Männer im Imbiss wünschen sich vor allem Erklärungen für bürokratische Hürden: Warum wird mein kosovarischer Führerschein nicht anerkannt? Was ist mit meinem Berufsabschluss? Warum zählt mein Studium hier nichts? Viele von ihnen mussten ihren albanischen Pass abgeben, als sie Deutsche wurden. Die doppelte Staatsbürgerschaft für das Nicht-EU-Land Albanien gibt es nur in Ausnahmefällen.

„Warum muss ich zu einem Integrationskurs mit Syrern?“, fragt einer in neongelber Straßenarbeiterjacke. „Ich weiß, dass man Schwule und Lesben respektiert.“ Während Sami Musa solche Sorgen sammelt, legt sich seine Stirn in Falten. „Erwartet bitte keine Wunder“, sagt er irgendwann. Er wird erklären müssen, dass vieles, was die Männer von ihm fordern, Bundespolitik ist, außerhalb seiner Reichweite.

Auch bei der Deutsch-Albanischen Freundschaftsgesellschaft ist Sami Musa ein Thema. Für viele Menschen mit albanischen Wurzeln sei dessen Kandidatur zum ersten Mal ein Grund, sich mit deutscher Politik zu beschäftigen, sagt Michael Schmidt-Neke, Albanologe und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft. Diese Menschen hätten sich bisher gefragt: „Was interessiert mich, ob Müller oder Schulze in der Bürgerschaft sitzt, was soll ich mich da einmischen?“

Jetzt erkundigen sich Albanerinnen und Albaner aus München, Bielefeld und Köln, wie sie Musa unterstützen können – ihren Kandidaten. Mramori Behram ist extra aus der Nähe von Hannover in den Imbiss auf der Veddel gekommen. „Endlich ein Kandidat, der beide Seiten versteht“, sagt er, „die Deutschen und die Albaner. Er kann vermitteln.“ Als Behram hört, dass nur Hamburger Sami Musa wählen können, ist er enttäuscht. Musa sagt: „Wenn ihr hier nicht wählen dürft, ruft eure Familien im Norden an, sagt Freunden Bescheid.“

Fünf Stimmen für den Kandidaten

Sein Erfolg hängt davon ab, ob er die Menschen mobilisieren kann – und davon, dass der Wahlprozess niemanden abschreckt. Auch bei Parlamentswahlen im Kosovo wird mit fünf Stimmen gewählt, die allerdings dürfen nicht bei einzelnen Kandidierenden angehäuft werden. „Ich muss echt aufpassen, dass mir die Leute alle fünf und nicht nur eine Stimme geben“, sagt Musa.

Ein schillernder Hotelerbe, der sich in den graubrotigen SPD-Wahlkampf kniet – warum tut er sich das an? Die großen Erwartungen der albanischen Community, die Ungewissheit wegen des schlechten Listenplatzes? „Ich will hin zu einer Gesellschaft der Liebe“, sagt Musa. Er meint das so groß, wie es klingt. Auf dem Fußballplatz, sagt er, sei es so: „Wenn mich da einer anpöbelt, öffne ich die Arme und sag ihm: Komm wir kuscheln mal.“ Sami Musa wünscht sich weniger Druck in den Schulen, so wie in Dänemark und Schweden: weniger Mathe, mehr Respekt.

Am Ende des Abends im Imbiss auf der Veddel wollen alle Anwesenden ein Foto mit Sami Musa. Sein Team ist guter Dinge: Wen sie hier überzeugt haben, der wird auch seine Familie zur Wahl bewegen. Der Wahlkampf ist auf Kurs. Kürzlich lief ein zehnminütiges Porträt über Sami im öffentlich-rechtlichen kosovarischen Fernsehen. „Beste Werbung“, sagt Musa, „das läuft in allen Wohnzimmern.“

Er ist ein bisschen müde, der Abend war lang, er musste viel reden. Auf dem Heimweg sitzt er am Steuer, sein Vater auf der Rückbank hat richtig gute Laune. „Vor fünfzig Jahren auf dem Bahnsteig in München habe ich die Banane nicht gegessen, weil ich dachte, das wäre Schweinefleisch“, sagt Xhelil und wirft lachend den Kopf zurück. „Jetzt will mein Sohn ins Parlament.“ Der Sohn lächelt, fährt und schweigt.

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