Deutsche Kolonialvergangenheit: Verschleppte Versöhnung

Die aktuelle Ausgabe der „Maro-Hefte“ analysiert die juristischen Auseinandersetzungen der Ovaherero und der Nama mit der Bundesrepublik.

Ein Denkmal, das in Stein gehauene Figuren zeigt. Einen bewaffneten Soldaten und einen Mann und eine Frau, die mit einem Strick gehängt wurden

Das Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama, steht im Zentrum von Winhoek in Namibia Foto: Jürgen Bätz/picture alliance

„Unser Ziel war und ist, einen gemeinsamen Weg zu echter Versöhnung im Angedenken der Opfer zu finden. Dazu gehört, dass wir die Ereignisse der deutschen Kolonialzeit im heutigen Namibia und insbesondere die Gräueltaten der Zeit 1904 bis 1908 […] auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord.“

Auf den ersten Blick dürfte die Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes von Mai 2021 als Fortschritt in der Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit erscheinen. Doch entscheidend ist die Formulierung „aus heutiger Perspektive“. Die zugrundeliegende Argumentation: Weil das aktuelle Völkerrecht damals noch nicht galt, könne die Bundesrepublik für die systematischen Ermordung Zehntausender Menschen in „Deutsch-Südwestafrika“ juristisch nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Die Nachkommen der Ermordeten hingegen vertreten seit Jahrzehnten klare Forderungen: die formaljuristische Anerkennung des Genozids, die Zahlung von Reparationen sowie eine offizielle Entschuldigung. Gehör finden sie hierfür kaum. Am Zustandekommen des „Versöhnungsabkommens“ zwischen der deutschen und der namibischen Regierung wurden die Ovaherero und Nama nicht einmal beteiligt.

Nach dem Scheitern des „Abkommens“ im namibischen Parlament verweigerte die Bundesregierung Nachverhandlungen und stufte das Papier zu einer „Gemeinsamen Erklärung“ herab. Passiert ist seitdem nichts mehr. In dieser ohnehin seit Langem festgefahrenen Situation wählten die Ovaherero und Nama immer wieder den Rechtsweg: erstmals 1999 vor dem Internationalen Gerichtshof und anschließend über mehrere Sammelklagen. Bislang allesamt erfolglos.

Christiane Bürger, Sahra Rausch: „Der Prozess. Wie der deutsche Völkermord an den OvaHerero und Nama nicht vor Gericht kam“. Maro-Verlag, Augsburg 2024, 36 S., 16 Euro

Ovaherero und Nama

Die juristischen Auseinandersetzungen der Ovaherero und Nama mit der Bundesrepublik sind Thema eines neuen Essays aus der Reihe „Maro-Hefte“. Christiane Bürger und Sahra Rausch skizzieren darin die Grenzen der juristischen Aufarbeitung im Rahmen des geltenden Völkerrechts und geben Ausblicke, was über Entschädigungszahlungen hinaus Teil einer umfassenden „reparativen Gerechtigkeit“ in Bezug auf Kolonialverbrechen und Sklavenhandel sein könnte.

„Der Prozess“ ist ein kurz gehaltener, einführender Essay. Illustriert wird das Heft, dem auch eine englische Übersetzung beigelegt ist, durch eine Arbeit der namibischen Künstlerin Tuaovisiua Betty Katuuo. Die eigens für die Publikationen gezeichnete Serie trägt den passenden Titel „We are still waiting“. Wie üblich in der Reihe, ist die Gestaltung bibliophil.

Die „Maro-Hefte“ werden seit 2020 vierteljährlich von Kolja Burmester und Sarah Käsmayr herausgegeben. Die Reihe behandelt poetische und politische Themen, die vom Denken der Neuen Rechten und Verschwörungstheorien hin zum Alleine-Ausgehen als Frau reichen. Auch „Der Prozess“ ist eine äußerst lesenswerte Ausgabe. Sie zeigt nicht nur, wie es der Bundesrepublik ein weiteres Mal gelingt, Forderungen der Nachkommen von Ermordeten abzuweisen. Sondern auch, wie gewinnbringend eine postkoloniale Perspektive sein kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.