Fragwürdiger Impfstoff-Deal: Pfizergate vor Gericht
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen soll per SMS einen Impfstoff-Deal eingefädelt haben. Am Freitag verhandelt ein belgisches Gericht über den Fall.
Brüssel | taz | Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Gericht über EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verhandelt. Doch nun ist es so weit: Am Freitag muss sich die mächtige deutsche Politikerin vor dem „Tribunal de première instance“ in Lüttich in Belgien verantworten.
Es geht um den sogenannten Pfizergate-Skandal – und um die Frage, wie es mit der juristischen Aufarbeitung weitergeht. Die Europäische Staatsanwaltschaft EPPO hatte im Oktober 2022 bestätigt, dass Ermittlungen eingeleitet wurden. Zuvor hatte es mehrere Klagen gegeben.
Sie drehen sich um den Verdacht, dass von der Leyen Anfang 2021 eigenmächtig und widerrechtlich 1,8 Milliarden Covid-19-Impfdosen beim US-Pharmakonzern Pfizer bestellt haben könnte. Nach einem Bericht der New York Times soll sie den Deal persönlich bei Pfizer-Chef Albert Bourla eingefädelt haben – per SMS von ihrem Handy.
Die Bestellung hatte einen Rekordwert von schätzungsweise 35 Milliarden Euro – noch nie hat die EU einen so großen Auftrag erteilt. Später stellte sich heraus, dass Pfizer einen zu hohen Preis verlangt hatte und dass viel zu viele Impfdosen bestellt worden waren. Mehrere EU-Staaten haben daher Rückerstattung beantragt.
Wie ein Staatsgeheimnis
Doch die Details wurden nie offengelegt, die gesamte Affäre wurde wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Nachfragen und Rügen der EU-Bürgerbeauftragten und des Europäischen Gerichtshofs blieben ergebnislos, auch die Klagen sind bisher im Sande verlaufen. Die Europäische Staatsanwaltschaft ermittle immer noch, hieß es.
Bewegung kam erst in die Sache, als der bei der EU akkreditierte belgische Lobbyist Frédéric Baldan eine Klage vor dem Gericht in Lüttich einreichte. Er beschuldigt von der Leyen der „Anmaßung von Ämtern und Titeln“, der „Vernichtung öffentlicher Dokumente“ und der „unrechtmäßigen Bereicherung und Korruption“.
Die Chancen für Aufklärung stehen schlecht
Mehrere Organisationen, Einzelpersonen und sogar Staaten wie Ungarn und Polen (unter der vorherigen PiS-geführten Regierung) haben sich seiner Klage angeschlossen. Das zeigt, wie hoch das öffentliche Interesse ist. Allerdings sieht es nicht so aus, als könne der jahrelang verschleppte Skandal nun endlich aufgeklärt werden.
Bei der Verhandlung am Freitag geht es zunächst nur um die Frage, wer zuständig ist: die belgische Justiz oder die europäische Staatsanwaltschaft. Sie will eine Anklageschrift vorlegen und begründen, warum sie die Ermittlungen leiten sollte. Die belgische Justiz will dagegenhalten und versuchen, den Fall an sich zu ziehen.
Politischer Sprengstoff vor der Europawahl
Der zuständige Untersuchungsrichter Frédéric Frenay ist für seine Hartnäckigkeit bekannt. Er hat in Belgien schon einige brisante Finanzdossiers bearbeitet. Ihm wird zugetraut, die Ermittlungen gegen von der Leyen energisch voranzutreiben – was vor dem Hintergrund der Europawahl am 9. Juni enormen politischen Sprengstoff birgt.
Schließlich bewirbt sich von der Leyen um eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin. Laufende Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht wären damit kaum zu vereinbaren. Die Karriere der CDU-Politikerin könnte bei einer Fortsetzung des Verfahrens abrupt enden.
Ganz anders sieht das bei einer Übernahme durch die europäische Staatsanwaltschaft aus. Dann könnte der Fall weiter in die Länge gezogen und am Ende sogar eingestellt werden. Bis zur Europawahl am 9. Juni wäre nach Meinung von Prozessbeobachtern kein Urteil mehr zu erwarten – von der Leyen könnte sich beruhigt zurücklehnen.
Die Verhandlung in Lüttich findet hinter geschlossenen Türen statt, von der Leyen dürfte nicht daran teilnehmen. Sie will sich von ihren Anwälten vertreten lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund