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Überpüftes Palästinenserhilfswerk UNRWAMehr Fakten, weniger Kampagne

Jannis Hagmann
Kommentar von Jannis Hagmann

Auch wenn es bei UNRWA Probleme gibt, die Strategie der diffusen Vorwürfe muss aufhören. Konkrete Beweise würden helfen.

Verwirrung statt konkrete Information: Worauf basieren die Anschuldigungen gegen 16 Prozent der UNRWA-Angestellten? Foto: Mohammed Salem/reuters

D ie Auseinandersetzung über das UN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) nimmt absurde Züge an. Der nun veröffentlichte Abschlussbericht einer Prüfkommission stellt fest, Israel habe immer noch keine Beweise vorgelegt für den weitgehendsten seiner Vorwürfe: dass ganze 16 Prozent der UNRWA-Angestellten in Gaza Mitglieder von Terrororganisationen seien.

Die Desinformationspolitik von Israels Regierung legt leider den Verdacht nahe, dass Missstände ausgeschlachtet werden, um Kampagne zu machen.

Es zeigt sich ein Muster: Statt konkrete Informationen zugänglich zu machen, stiftet die Führung in Jerusalem Verwirrung und desinformiert. Es werden Inhalte von „Geheimdienstdossiers“ an Medien durchgestochen, während die UNRWA selbst nichts Offizielles erhält. Selbst die Namen der zwölf Angestellten, die den frühen Angaben zufolge aktiv am Massaker vom 7. Oktober beteiligt waren, hat der UNRWA-Chef nur mündlich diktiert bekommen.

Fakt ist: Es gibt Probleme bei der UNRWA. Das zeigt auch der Bericht. Fakt ist aber auch, dass Israel das Hilfswerk in Gänze in Misskredit ziehen will. Netanjahu hat erklärt, die Arbeit der UNRWA zumindest in Gaza beenden zu wollen. Hintergrund der Kritik ist einerseits der nicht ganz unbegründete Unmut darüber, dass die UNRWA das palästinensische Flüchtlingsproblem zementiert. Andererseits aber auch, dass die UNRWA daran erinnert, dass es eine politische Lösung statt eines militärischen Managements des Nahostkonflikts braucht.

Doch die Strategie der diffusen Vorwürfe muss aufhören. Fakten müssen her, Unstimmigkeiten ausgeräumt werden. Worauf basieren die Anschuldigungen gegen 16 Prozent der Angestellten? Einst war von einer Computerdatei mit einer Hamas-Mitgliederliste die Rede, die mit der Liste der UNRWA-Angestellten abgeglichen wurde. Ist das die Basis der Berechnung? Warum lassen sich daraus keine konkreten Beweise generieren?

Die Vorwürfe gegen die UNRWA sind schwer, die Arbeit des Hilfswerks ist aber wichtig. Stimmen die Anschuldigungen, dann – und nur dann – müssen Geberländer Konsequenzen ziehen. Die Desinformationspolitik von Israels Regierung legt leider den Verdacht nahe, dass Missstände ausgeschlachtet werden, um Kampagne zu machen.

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Jannis Hagmann
Redakteur Nahost
ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann
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6 Kommentare

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  • Das Grundproblem ist doch, dass dieses Hilfswerk zwar eine UNO-Organisation ist, aber die Mitarbeiter nicht wirklich weltweit rekrutiert werden, sondern zu weit über 90% direkt aus den Palästinensern. Die UNO hat fast 200 Mitgliedsstaaten weltweit. Warum können diese nicht die Mehrheit der Mitarbeiter stellen? Dann wäre das mit der Neutralität sicher überhaupt kein Problem. Mitarbeiter aus Thailand, Fidschi oder Chile hätten ganz sicher keinen Bezug zur Hamas.

  • Es zeigt sich ein Muster: die Informationen über Hamas-Verbindungen der UNRWA können noch so konkret sein, sie reichen irgendwie nicht aus, um in dem UN-Bericht einer „unabhängigen“ UN-Kommission zu landen, ganz zu schweigen von einem Artikel in der taz.



    Es wurden Tunneleingänge in und neben UNRWA-Gebäuden gefunden, es wurde sogar ein ganzes unterirdisches Datenzentrum der Hamas unter einem UNRWA-Gebäude gefunden. Es gibt ein Video von einem UNRWA-Mitarbeiter, der am 7. Oktober nach dem Massaker in dem Kibbuz Be’eri die Leiche eines getöteten Israelis in seinen SUV verlädt.



    All das kommt in dem Bericht der Kommission nicht vor und es wurde sogar von vornherein kategorisch ausgeschlossen, dass solche Informationen verarbeitet werden würden. Kein Witz: exklusiv von Massenmedien verbreitete Informationen durften nicht berücksichtigt werden. Trotzdem verwendet man jetzt diesen Report, der den Standards einer vorbehaltlosen Untersuchung hohnspricht, um die UNRWA als exkulpiert zu betrachten.



    Allerdings betreffen all die zuvor genannten Punkte gar nicht mal das Hauptproblem, nämlich „dass die UNRWA das palästinensische Flüchtlingsproblem zementiert“ und in UNRWA-Schulen der „Traum von der Rückkehr“ fester Bestandteil des Lehrplans ist. Gerade damit steht das UNRWA-Hilfswerk einer „politischen Lösung“ aber leider im Weg.



    Es ist gar nicht dazu gedacht etwa den in Jordanien lebenden palästinensischen Flüchtlingen die Integration zu ermöglichen, sondern perpetuiert die Bedingungen, die den Konflikt aufrechterhalten. Trotz der wichtigen Sozialleistungen, die das Hilfswerk erbringt, ist es Teil des Problems und nicht der Lösung.

  • Man muss ja nicht den nützlichen I. Netanyahus geben, in dem man vage Vorwürfe auch noch lautsprechert. Sondern journalistisch sauber prüfen und dann wieder auf Völkerrecht und Menschenrecht schauen. Hamas und die Netanyahu-Regierung mahnen, das schließt einander übrigens nicht aus.

  • Danke für diese klaren Worte!

  • Evtl. hätte der Autor den Artikel hier bei der taz lesen sollen, dass der erste Bericht sich nur mit der Neutralität des UNRWA beschäftigt hat, der zweite Bericht zu den Vorwürfen Israels erst noch folgen soll. Also noch ist gar nichts geklärt. Und der Abschluss des Kommentars, dass Missstände ausgeschlachtet werden, um Kampagne zu machen, ist wahrlich ein besonderer Schluss.

  • Danke für den Bericht. Und ich stimme Ihnen zu: mehr Fakten. Man kann so eine Anschuldigung nicht machen und dann nach fast drei Monaten immer noch keine Beweise vorlegen, gerade wegen der erheblichen Konsequenzen die die Anschuldigungen mit sich brachten.



    Israel hat jedes Jahr eine Liste der Mitarbeiter von UNRWA bekommen, so wie auch die anderen Länder in denen das Hilfswerk tätig ist, und konnte die Namen somit jedezeit überprüfen. Und ich nehme mal schwer an, das der israelische Geheimdienst oder wer auch immer da zuständig ist, dies auch getan hat. Und seit 2011 soll es von Israels Seite keine Bedenken wegen irgendeinem Mitarbeiter gegeben haben. Wenn die Berichte über die verwendete AI (Artikel auch hier in der taz) stimmen, dann dürften die Israelis technisch in der Lage sein an belastende Informationen zu gelangen, wenn sie existieren. Es ist in meinen Augen ihre Pflicht eventuelle Beweise zu teilen, da es sich nicht um eine lokale Hilfsorganisation handelt, sondern eine Organisation mit UN Mandat und damit eine Aufklärung im Interesse der Staatengemeinschaft liegt.