Bezahlkarte für Geflüchtete: Ein bisschen Bargeld für Flüchtlinge
Am Freitag will die Ampel im Bundestag die Bezahlkarte für Asylsuchende beschließen. Bei der Umsetzung könnten noch Gerichte mitreden.
„Schon wieder! Grüne blockieren Bezahlkarte“, hatte das Boulevard-Blatt Anfang März getitelt – gefolgt von einer Reihe wenig schmeichelhafter Texte. „Bezahlkarten-Blockade: Machen die Grünen so die AfD noch stärker?“, „Wegen Grünen-Blockade: Union reißt bei Bezahlkarte der Geduldsfaden“, oder: „Bezahlkarte kommt! Grüne knicken ein“.
Richtig sind diese Schlagzeilen nur zum Teil. Am 1. März hatte sich das Bundeskabinett auf eine von den Ländern geforderte Gesetzesänderung verständigt: Die Ampel sollte rechtlich eindeutig festschreiben, dass sie Leistungen für Asylbewerber*innen statt in bar auch auf Bezahlkarten auszahlen dürfen. Je nach Ausgestaltung können solche Karten nur für Einkäufe in Geschäften genutzt werden, nicht aber zum Geldabheben oder für Überweisungen. Die Begründung: Den Behörden entstehe weniger Aufwand, Geflüchtete könnten kein Geld an ihre Schlepper abdrücken und Deutschland werde als Fluchtziel unattraktiver.
Vor allem die FDP drängte auf eine schnelle Verabschiedung der Gesetzesänderung. Die grüne Bundestagsfraktion hatte aber mehr Verhandlungsbedarf als ihre Minister*innen. Sie forderte ein, das Vorhaben im Parlament in Ruhe zu beraten – so, wie es in Gesetzgebungsverfahren die Regel ist. Zumal schon der Kabinettsbeschluss mit einem Prüfauftrag versehen war – also einem Vermerk, dass sich die Ampel in den Details noch nicht einig war.
ProAsyl fürchtet Ausgrenzung
Strittig war vor allem, für welche Gruppen die Bezahlkarte genau in Frage kommt. Konsens war das für Geflüchtete, die relativ neu im Land sind und noch in staatlichen Unterkünften leben. Schon das bisherige Gesetz sieht vor, dass die Behörden sie komplett mit Sachleistungen statt mit Bargeld versorgen dürfen.
Anders sieht das bei Geflüchteten aus, die schon lange genug in Deutschland leben, um Sozialleistungen analog zum Bürgergeld zu erhalten. Bisher war das nach 18 Monaten der Fall. Die Ampel hat die Frist kürzlich auf 36 Monate erhöht. Für sie hatten Geldleistungen bislang Vorrang vor Sachleistungen. Laut den Kabinettsplänen sollen Länder und Kommunen aber auch bei ihnen auf Bezahlkarten umschwenken dürfen. Die Grünen wollten zumindest einen Teil dieser Gruppe von der Neuregelung ausnehmen – insbesondere Erwerbstätige, Auszubildende und Studierende. Das haben sie nicht geschafft.
Falsch ist aber auch, dass der Bundestag die Kabinettspläne jetzt „ohne inhaltliche Änderungen“ umsetzen wird, wie FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler zuletzt betonte. Stattdessen müssen Betroffene zumindest über einen Teil der Leistungen auch zukünftig in bar verfügen können.
Laut dem finalen Gesetzentwurf muss sichergestellt sein, dass die Bezieher*innen von Analogleistungen „Bedarfe des monatlichen Regelbedarfs“ auch wirklich bezahlen können. Hinter dieser Formulierung verbergen sich Punkte wie Vereinsmitgliedschaften, Bustickets oder Kleingeld für Schulausflüge. Ausgaben also, für die eine Geldkarte ohne Überweisungs- oder Auszahlungsfunktion nicht praktikabel ist. Für Geflüchtete, die zwar noch keine 36 Monate im Land sind, aber schon in eigenen Wohnungen leben, sieht der Entwurf eine ähnliche Ausnahme vor.
Teilhabe verhindert
Nicht im Gesetz steht, wie viel Geld genau in bar verfügbar sein muss. Die Ausgestaltung ist Sache der Länder und Kommunen. Am einen Ende der möglichen Skala stehen Modelle wie das von Hannover, wo es unter dem grünen Oberbürgermeister Belit Onay schon länger Bezahlkarten gibt: Dort können die Betroffenen den kompletten Betrag abheben. Ziel war es nur, den Aufwand für Geflüchtete wie auch die Verwaltung zu reduzieren.
Im Gegensatz dazu fordert die CDU etwa in Brandenburg und Bremen, Auszahlungen auf höchstens 50 Euro zu begrenzen. Ob das ausreichen würde, um die Anforderungen der neuen Rechtslage zu erfüllen, ist fraglich. Entscheiden müssen das in Zukunft aber wohl Gerichte.
Mit der Bezahlkarte würden geflüchtete Menschen vielerorts „noch stärker ausgegrenzt und selbst in kleinsten Alltagsentscheidungen eingeschränkt“, kritisiert Wiebke Judith von Pro Asyl. Von der „Flucht vor Verfolgung oder Krieg“ aber werde die Karte niemanden abhalten.
Ganz ähnlich sieht es der Ökonom und Migrationswissenschaftler Herbert Brücker. „Die Einführung der Bezahlkarte wird sehr wahrscheinlich negative Auswirkungen auf die Integration und Teilhabe haben, nicht zu vernachlässigende Kosten für den Staat verursachen und ihr Ziel, die Reduzierung der Fluchtmigration, verfehlen“, erklärt er in einer Stellungnahme für das Dezim-Institut. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) prognostiziert eine „Vielzahl von Widerspruchs-, Eil- und Klageverfahren“. Zu erwarten sei eine „erhebliche Mehrbelastung der Verwaltung und der Justiz“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden