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Rechtsruck in PortugalEs bleibt Ratlosigkeit

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Die Niederlage der Sozialisten in Portugal hat mit Logik wenig zu tun. Sie liegt aber auch an eigenen Versäumnissen.

An­hän­ge­r:in­nen der rechten Chega-Partei feiern die Ergebnisse am Wahlabend Foto: Joao Henriques/ap

A us der Traum von der Insel ohne nennenswerten rechtsextremen Einfluss. Bei den Wahlen am Sonntag in Portugal wurde die ultrarechte Chega („Genug“) zur drittstärksten und alles entscheidenden Kraft. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten für eine stabile Regierung im äußersten Südwesten der Europäischen Union: Entweder eine große Koalition – die die Sozialisten strikt ablehnen – oder eine Rechtskoalition der konservativen Demokratischen Allianz mit Chega, mit allen Folgen, die im benachbarten Spanien in mehreren Regionen und vielen Gemeinden zu sehen ist.

Wenige Wochen vor dem 50. Jahrestag der Nelkenrevolution, die einst Portugal aus der Diktatur in die Demokratie führte, haben die extrem Rechten, die ewig gestrigen Verehrer jenes autoritären Regimes, wieder eine Schlüsselstellung in Portugal.

Wie kann es sein, dass die Sozialisten, die das Land aus der Austerität zurück ins Wachstum und in den Sozialstaat führten, so haushoch verlieren? Immerhin regierten sie seit 2022 mit absoluter Mehrheit. Jetzt haben sie erhebliche Stimmenverluste nach ganz rechts zu verdauen. Sicher haben sie nicht alle Versprechen einhalten können. Trotz Gesetzesreformen ist der Wohnungsmarkt außer Kontrolle geraten. Trotz Erhöhung der Mindestlöhne wird es für viele am Monatsende finanziell knapp. Doch Stimmenverluste hin zu denen, die mehr regulieren wollten, gab es keine. Die Wählerschaft wanderte nach rechts ab.

Gegen die eigenen Interessen

In Portugal lässt sich – leider – einmal mehr ein Phänomen beobachten, das mit Logik nur wenig zu tun hat. Ein nicht unerheblicher Teil der Wählerschaft gibt seine Stimme einer Rechtsaußen-Formation, deren autoritär-wirtschaftsliberales Programm gegen die eigenen Interessen verstößt.

Trump, Milei, Meloni, Le Pen, AfD, Vox in Spanien und jetzt Portugal – „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, war einmal. Heute kommt hasserfüllte Ideologie zuerst. Feministinnen, LGBTIQ, Ökos, Einwanderer – alle haben Schuld, nur die wahren Schuldigen nicht: diejenigen, die von der neoliberalen Politik profitieren, die Gewinner der sich immer weiter öffnenden sozialen Schere. Nach solchen Wahlergebnissen bleibt nur Ratlosigkeit.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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11 Kommentare

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  • Nicht Ratlosigkeit, sondern Ursachenforschung. Vielleicht hiermit: Gleich mehrere Korruptionsskandale bei Lithium- und Wasserstoff-Projekten und der Staatslinie TAP führten zu vorgezogenen Neuwahlen. Dazu Wohnungsnot, Inflation und Streikwellen. Jetzt Wählerinnen und Wähler zu beschimpfen ist zu billig.

  • Vielleicht, nur vielleicht hat es in Portugal etwas mit dem Korruptionsskandal bei den Sozialisten zu tun...

  • Ich bin überzeugt, dass der weltweite Rechtsruck fast überall nur noch sehr wenig mit konkreten Inhalten zu tun hat, sondern viel mehr mit geschickt erzeugten Gefühlen.

    Wenn ich so um mich herumschaue bei Verwandtschaft und Bekannten, dann sehe ich mit großer Sorge, wie stark rechte Propaganda verfängt und wie leicht der absurdeste Blödsinn geglaubt wird. Offensichtlich sind "soziale Medien" weltweit Brandbeschleuniger. Es reicht Bilder (gerne auch sinnentstellend und in Umkehr der eigentlich abgebildeten Situation) mit wenigen Worten zusammenzuführen um starke Botschaften zu vermitteln und heftige emotionale Reaktionen auszulösen – die Verzerrung der Boulevardmedien ist mit Memes auf die Spitze getrieben. Und außerordentlich effektiv.

    Die rechte arbeitet sehr wirksam mit Unterstellungen von Motiven und Zielen, während man geschickt versteht, die eigenen Motive und Ziele im Hintergrund zu lassen: Wie beim Brexit ist es das Beste, gar nicht ins Detail zu gehen. "Brexit means Brexit" ist überall Methode geworden.

    Ich hoffe inständig, dass es irgendwann mal gute Ideen gibt, der Flut an Desinformation etwas entgegenzusetzen. Denn die kommt ja aus vielen Quellen: PR Agenturen im Dienst von Konzernen und Superreichen, den psychologischen Kriegsführern aus Russland, China und Konsorten usw. usf.

    • @Helmut Fuchs:

      Ihren Ausführungen kann man nur zustimmen!

  • Es bleibt Ratlosigkeit.



    Genau das trifft doch den Kern der Sache.



    Ratlos durch die politische Landschaft. Ohren zu und durch, völlig egal wie es der normal verdienenden Bevölkerung geht. Diese können die Mieten nicht mehr zshlen usw.usw.



    Da die Hoffnung zuletzt stirbt wird rechts gewählt.



    Es könnte so einfach seim!

  • Ratlosigkeit ist auch der Grund warum die rechten so stark werden.

  • Überall nur noch rechte Parteien in Europa. Was soll das?

  • Wahlergebnisse sind nicht einfach eine Funktion der Entwicklung des Wohlstandsniveaus. Insbesondere dann nicht, wenn ein annehmbares Grundniveau erreicht ist.

    Viele wünschen sich ja auch in Ostdeutschland die DDR zurück, obwohl jeder heutige Bürgergeldempfänger ein höheres materielles Wohlstandsniveau hat als es der durchschnittliche DDR-Bürger je hatte...

  • Europa...wohin gehst du (wieder)?

  • Das ist doch kein neuer Trend, dass es bei Wahlen einen Rechtsruck gibt.

    Die Reaktion darauf sollte inzwischen nicht mehr Ratlosigkeit sein. Sondern linke Parteien sollten Lösungen finden, wie man die Wähler wieder an sich bindet und gegebenenfalls das eigene Programm und die Prioritäten anpassen.

    Sich nach Wahlen hinzustellen und sich zu fragen, warum man schon wieder nicht gewählt wurde, obwohl man doch der Logik nach so einen guten Job macht, ist nicht zielführend.

    • @gyakusou:

      "Sich nach Wahlen hinzustellen und sich zu fragen, warum man schon wieder nicht gewählt wurde, obwohl man doch der Logik nach so einen guten Job macht, ist nicht zielführend."



      Nicht zielführend, aber typisch.