#WirFahrenZusammen: Klima- und Arbeitskampf vereint
In Berlin streiken zum ersten Mal Klimaaktivist:innen und Bus- und Bahnfahrer:innen gemeinsam. Nicht alle sind mit dem Bündnis zufrieden.
Eine Stunde später sieht der Invalidenpark deutlich bunter aus. Immer mehr Plakate, genauer: Fridays-for-Future-Plakate ragen aus der Menge heraus. Immer mehr Transparente, die eine Verkehrswende und die Einhaltung von 1,5 Grad fordern, werden herausgeholt und aufgehängt. Bunte Seifenblasen wabern über die Menge.
Es ist Klimastreiktag und hier der Höhepunkt der Kampagne #WirFahrenZusammen: Klimaaktivist:innen und Verdi-Gewerkschafter:innen schließen sich zusammen. Im Invalidenpark geht es dann auch um Klima- und Arbeitskampf gleichermaßen.
Ohne bessere Arbeitsbedingungen für Bus- und Bahnfahrer:innen wird es keine Verkehrswende geben – das ist zumindest die These von Fridays for Future und Verdi. Gemeinsam fordern sie den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. „Um eine gerechte Verkehrswende zu schaffen, muss jetzt in den ÖPNV investiert werden“, heißt es in dem Aufruf zum Klimastreik. „Notwendig sind 100 Milliarden bis 2030.“
Die Beschäftigten der BVG streiken zum zweiten Mal in dieser Verhandlungsrunde. Am 2. Februar bekamen sie an den Streikposten Unterstützung von Fridays-for-Future-Aktivist:innen – diesmal zeigen sich die Bus- und Bahnfahrer:innen solidarisch mit dem Klimastreik.
„Die Klimaaktivisten dürfen uns unterstützen“
Doch nicht alle freuen sich über die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen. Martina arbeitet seit 1983 bei der BVG und ist ebenso lange Mitglied bei Verdi. Ihren Nachnamen will sie, wie die anderen BVG-Mitarbeiter:innen auch, nicht in der Zeitung lesen. Martina sagt, sie könne nicht mehr zählen, an wie vielen Streiks sie in ihrem Leben schon teilgenommen hat. Zum ersten Mal in ihrer Laufbahn bei der BVG findet der Streik nicht an einem der Betriebsbahnhöfe statt, sondern im Invalidenpark. „Wir streiken als BVG-Mitarbeiter vor dem Verkehrsministerium, unserem Arbeitgeber“, sagt sie der taz. „Die Klimaaktivisten dürfen uns unterstützen. Nicht andersherum.“
Sie macht sich Sorgen, „dass der Streik politisch wird“ – und nicht mehr als Kampf für Arbeitnehmer:innen-Rechte gesehen wird. Tatsächlich ist es in Deutschland nicht erlaubt, die Arbeit niederzulegen, um politische Forderungen durchzusetzen. Auch ihre Kollegin Manuela hat Bauchschmerzen mit der Kampagne #WirFahrenZusammen. „Unsere Forderungen rücken in den Hintergrund, weil es jetzt nur noch um den Klimastreik geht“, sagt sie. „Ich will nicht mit deren Forderungen gemein gemacht werden.“
Andere BVG-Mitarbeiter:innen sehen das Bündnis weitaus positiver. „Viele BVG-Beschäftigte streiken nur, damit sie ihr Geld bekommen“, sagt etwa Michael, der seit 20 Jahren in der technischen Abteilung der BVG arbeitet. Ebenfalls seit 20 Jahren ist er Mitglied bei Verdi und versteht die Zusammenarbeit mit den Klimaaktivist:innen als Chance. „Die Fridays-for-Future-Leute streiken, damit es uns allen besser geht.“
Genau deshalb sind auch Jakob, Lillya und Julia mit ihren Klassenkamerad:innen hier. „Wir brauchen einen gut ausgebauten ÖPNV“, sagt Lillya zur taz. „Und das geht nicht ohne bessere Arbeitsbedingungen für Bus- und Bahnfahrer:innen.“ Sie ist in der 9. Klasse und hat die Schule geschwänzt. „Heute ist Streiktag“, sagen sie alle gemeinsam. Sie tragen ein Schild mit der Aufschrift „Futur II gibt es nur im Deutschunterricht“.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Neuntklässler:innen an einem Klimastreik teilnehmen. Für sie ist es schon lange Realität, für klimagerechte Politik auf die Straße zu gehen. Das Interesse an dem Streik scheint aber längst nicht mehr so verbreitet zu sein, wie es zu Beginn der Fridays-for-Future-Zeit mal war. Die Organisation selbst spricht von tausenden Demonstrant:innen am Freitag. Nach Angaben der Polizei waren es rund 600 Teilnehmer:innen. Beim letzten Klimastreik im September 2023 sprach die Polizei noch von 12.500 Demonstrant:innen.
Doch das irritiert die Klimaaktivist:innen nicht. „Viele Menschen sind heute zum ersten Mal dabei, vor allem viele ÖPNV-Beschäftigte“, sagt Darya Sotoodeh, Sprecherin von Fridays for Future. „Der Fokus liegt heute darauf, Menschen zu motivieren, für die sozial gerechte Verkehrswende aktiv zu werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution