Warnstreik im Nahverkehr: Der Bus kommt nicht

Die Beschäftigten im ÖPNV fordern bessere Arbeitsbedingungen. Im Bündnis mit „Wir fahren zusammen“ finden die Streikenden bei der Politik Gehör.

Ein Schild mit der Aufschrift "Warnstreik" prangt an einem Gitter. Dahinter steht ein Bus.

In Berlin blieben die Busse am Freitag bis 10 Uhr im Depot, anderorts sogar den ganzen Tag Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

BERLIN taz | Früh um halb 6 ist der Betriebshof der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) hell erleuchtet, doch die Busse stehen still. Zumindest bis 10 Uhr. So lange wird die BVG diesen Freitag bestreikt. Um die 100 Personen stehen in den früheren Morgenstunden mit gelben Warnwesten und Bannern vor dem Streikposten im Wedding.

„Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag“, rufen die Beschäftigten. Unterstützt werden sie von vielen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen aus dem Bündnis „Wir fahren zusammen“, die sich gemeinsam mit ihnen vor den Toren versammelt haben. Auch Pflegekräfte und Ak­ti­vis­t*in­nen der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ sind gekommen.

Es ist der erste Warnstreik der Beschäftigten in der Tarifrunde im öffenlichen Nahverkehr 2024. Für diesen Freitag hat die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di in fast allen Bundesländern zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Mit Ausnahme von Bayern, wo es noch einen aktuellen Tarifvertrag gibt, verhandelt die Gewerkschaft derzeit parallel mit den jeweiligen Arbeitgeberverbänden über neue Tarifverträge für die Beschäftigten im ÖPNV.

Laut Ver.di sind von der Tarifrunde mehr als 130 kommunale Verkehrsunternehmen in Städten und Landkreisen mit insgesamt 90.000 Beschäftigten betroffen. In der ersten Verhandlungsrunde in der vergangenen Woche war in keiner Region eine Lösung gefunden worden.

So stehen U-Bahnen, Busse und Trams am Freitag in weiten Teilen Deutschlands still. Bis auf Hamburg und Eberswalde, wo ein Notbetrieb läuft, hat Ver.di von überall Meldungen erhalten, dass die Betriebe vollständig bestreikt würden. In weiten Teilen Deutschlands wollen die Beschäftigten ihre Arbeit über den ganzen Freitag niederlegen. Die Bus­fah­re­r*in­nen in Schleswig-Holstein wollen sogar bis Sonntag in die frühen Morgenstunden streiken.

Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen

Als Bus­fah­re­r*in­nen begegnet den Beschäftigten immer wieder viel Hass. „Fo***, ich stehe hier eine Stunde und warte“, solche Sätze würden ihr an den Kopf geworfen, berichtet eine Busfahrerin. Frust bei Verspätungen bekämen sie und ihre Kol­le­g*in­nen immer wieder ab. „Es brennt – das könnten wir auch an unsere Busse schreiben“, ruft sie ihren Mitstreikenden zu. Bei den Arbeitsbedingungen müsse sich endlich was ändern. Angefangen bei ausreichend Ruhezeiten, um sich zu regenerieren.

„Es muss sich etwas an ihren Arbeitsbedingungen und an der Personalsituation ändern, damit die Beschäftigten entlastet werden und der ÖPNV nicht gegen die Wand gefahren wird“, sagt die stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Christine Behle. Zwar unterscheiden sich die Forderungen von Land zu Land, aber im Kern sind sie sich einig: Es geht um bessere Arbeitsbedingungen, die in den sogenannten Manteltarifverträgen verhandelt werden.

So fordert Ver.di in mehreren Bundesländern etwa eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs, zusätzliche Entlastungstage für Schicht- und Nachtarbeit sowie eine Begrenzung von geteilten Diensten und unbezahlten Zeiten im Fahrdienst. Über den Lohn und die Gehälter verhandeln die Beschäftigten zudem in Brandenburg, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

„Wir haben einen dramatischen Mangel an Arbeitskräften im ÖPNV und einen unglaublichen Druck auf die Beschäftigten“, sagt Behle. 2022 habe mindestens die Hälfte der Unternehmen ihren Verkehr mangels Personals zeitweise eingeschränkt.

Die Probleme in den kommunalen Verkehrsbetrieben könnten sich in den kommenden Jahren zunehmend verschärfen. Denn die Bus- und Stra­ßen­bahn­fah­re­r*in­nen in Deutschland sind überaltert, ein Großteil ist dem Statistischen Bundesamt zufolge älter als 55. Nachwuchs wird dringend gesucht. Aber genau deshalb fordert Ver.di, wie auch schon die Lok­füh­re­r*in­nen­ge­werk­schaft GDL bei der Deutschen Bahn, eine spürbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Fridays unterstützen mit Musik und Snacks

Unter der Prämisse, dass die Verkehrswende nur gemeinsam mit den Beschäftigten gelingen kann, hatten Fridays for Future und Ver.di im vergangenen Jahr das Bündnis Wir fahren zusammen aufgebaut. In einer Petition fordert das Bündnis schon länger Investitionen von jährlich 16 Milliarden Euro für eine sozial gerechte Verkehrswende, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal im ÖPNV.

„Wir alle brauchen einen verlässlichen Nahverkehr“, sagt Daryah Sotoodeh, eine Sprecherin des Bündnisses. Zusammen streike man nun, damit die Beschäftigten „bessere Arbeitsbedingungen haben und unser Nahverkehr eine Zukunft hat“. An den Streikposten haben die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen Snacks, Musik und Lautsprecher mitgebracht.

Bei dem Bündnis „Wir fahren zusammen“ gehe es um eine große politische Idee von Mobilität und Verkehrswende, sagt Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter bei Ver.di, der taz. „Wir können in Tarifrunden gut streiken und verhandeln. Aber das ist nur wirksam, wenn nachhaltig Geld ins System kommt.“ Es brauche eine bundesweite Lösung, wie der ÖPNV künftig geregelt wird. Das müssten Bund und Länder zusammen machen.

Die Unterstützung von Fridays for Future kommt bei den Beschäftigten gut an. „Dieses Mal war einfach eine andere Atmosphäre mit Musik und Reden“, bewertet Sievert den Streik. Das habe Spaß gemacht. „Ich war am Anfang skeptisch, aber bin mittlerweile hellauf begeistert. Dass die jungen Leute sich da so engagieren und mit uns streiken, finde ich toll.“ Und es mache einen Unterschied, die Aufmerksamkeit für ihren Protest sei dieses Mal größer und erreiche auch die Politik.

Politik soll Geld liefern

Am Streikposten im Berliner Wedding kommt Katharina Dröge, Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, vereinzelt mit Beschäftigten ins Gespräch. Sie sei gekommen, um den Beschäftigten zuzuhören, und versprach ihnen, sich für ihre Belange einzusetzen. Der Hebel der Bundesregierung liege im Geld, das ist sich die Fraktionsvorsitzende bewusst.

Zunächst hätten sie für die Deutsche Bahn gekämpft, so Dröge. Aber sie gäben auch über die Regionalisierungmittel an die Länder mehr Geld, damit Städte wie Berlin in bessere Tarifabschlüsse und den ÖPNV-Ausbau investieren könnten. Zu den Streikenden sagt sie: „Wenn ihr mich fragt: Reicht das? – Dann sage ich euch ganz ehrlich: Nein.“ Aber die Bundesregierung sei sich nicht immer einig, weshalb weniger Geld, als die Grünen sich wünschen würden, zur Verfügung stünde.

Etwa zur gleichen Zeit trifft zudem Annika Klose (SPD) auf dem Betriebshof ein, die derzeit in Berlin-Mitte um Stimmen für den Erhalt ihres SPD-Bundestagsmandats bei der Wahlwiederholung in einigen Berliner Stimmkreisen am 11. Februar wirbt. 2021 kam sie über die Landesliste ins Parlament.

Ebenfalls im Wahlkampf befindet sich Carola Rackete. Die Klimaaktivistin ist Linken-Spitzenkandidatin für die Europawahl im Juni. Bereits Tage zuvor hat sie sich mit dem Bündnis und den Beschäftigten solidarisiert. „Ich hoffe, wir sehen uns am Streikposten“, sagte sie am Mittwoch bei einer Versammlung von „Wir fahren zusammen“ an der Berliner Humboldt-Universität. Rackete sieht diese Allianz, die Gewerkschaften und Klimabewegung zusammenführt, nur als ersten Schritt für ein viel größeres Ziel: öffentlichen Luxus für alle.

Wenn auch der Verkehr in Berlin wieder anrollt und in den allermeisten Städten spätestens wieder am Samstag alles seinen gewohnten Gang nimmt, könnte das noch nicht der letzte Streik in den Tarifauseinandersetzungen gewesen sein. Am 1. März, ihrem nächsten bundesweiten „Klimastreik“-Tag, wollen die Fridays for Future gemeinsam mit Ver.di eine Petition an die Bundesregierung mit ihren Forderungen nach mehr Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit übergeben.

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