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Forscher über CO₂-Zertifikate„Eine Tonne CO₂ ist eine Tonne CO₂“

Firmen können Zertifikate kaufen, um „naturneutral“ zu werden. Sophus zu Ermgassen von der Uni Oxford warnt vor Greenwashing – sieht aber auch Potenzial.

Schon vor 30 Jahren halfen Finanzinstrumente dem Regenwald von Costa Rica. Hier eine bergig-neblige Sicht in Talamanca Foto: imago
Interview von Christian Mihatsch

taz: Schon lange gibt es Märkte für CO₂-Kompensation, bei denen man Unternehmen für Klimaschutz bezahlen kann, um seinen eigenen CO₂-Fußabdruck auszugleichen. Jetzt gibt es einen neuen Hype: Biodiversitätskompensationen. Wo kommt das her?

Sophus zu Ermgassen: Man muss zwischen Biodiversitätskompensationen und -gutschriften unterscheiden. Kompensationen sollen einen Schaden kompensieren, der woanders entstanden ist, ähnlich wie bei CO₂-Kompensationen. Diese sind meist Teil nationaler Politik und verpflichtend. In den USA gibt es zum Beispiel den Markt für Feuchtgebiete und in Deutschland, Frankreich und neuerdings Großbritannien haben wir ganz ähnliche Märkte …

Privat
Im Interview: Sophus zu Ermgassen

ist Umweltökonom an der britischen Oxford Universität und spezialisiert in Biodiversitätsfinanzierung. Er ist zudem Berater der britischen Regierung in gleich drei verschiedenen Kommissionen.

Wer in Deutschland zum Beispiel für eine neue Straße natürlichen Lebensraum vernichtet, muss ihn woanders wiederaufbauen. So schreibt es das Bundesnaturschutzgesetz vor, das es schon seit 1976 gibt.

Genau, beim aktuellen Hype geht es aber um freiwillige Gutschriften. Diesen steht kein Schaden gegenüber und sie müssen auch nicht unbedingt national gedacht werden. Dazu wurde beim Finanzgipfel letztes Jahr in Paris eine französisch-britische Initiative lanciert, die ich wissenschaftlich berate. Letztlich sind aber sowohl Kompensationen als auch Gutschriften handelbare Papiere, also Finanzmarktinstrumente.

Warum werden die Gutschriften gegenüber den Kompensationen relevanter?

Die Öffentlichkeit ist sich des Naturverlusts stärker bewusst. Daher gibt es nun Initiativen wie die Taskforce zur Offenlegung finanzieller Risiken mit Bezug zur Natur (TNFD), die von den G20-Staaten ins Leben gerufen wurde. Die Idee ist, dass Firmen über die Folgen ihrer Tätigkeit auf die Natur berichten und über die Risiken, die das mit sich bringt. Dann können Investoren diese Risiken mitberücksichtigen. Und jetzt kommen die Biodiversitätsgutschriften ins Spiel: Diese sollen es Firmen ermöglichen, in den Erhalt der Natur zu investieren, um zu zeigen, dass sie etwas gegen die Risiken tun. Ein zweiter Faktor ist der Glaube, es gäbe nicht genug öffentliche Mittel für den Naturschutz und daher sei privates Geld erforderlich. Um privates Geld zu mobilisieren, braucht es aber eine Art standardisiertes Finanzmarktpapier, mit dem Investoren eine Rendite erzielen können und die Biodiversitätsgutschriften gelten hier als der vielversprechendste Ansatz. Daher kommt der Hype.

Das macht doch auch Sinn: Es gibt zu wenige Investitionen in den Naturschutz und daher haben zusätzliche Mittel einen hohen Grenznutzen, sie sind besonders wirksam. Gleichzeitig gibt es Firmen, die ein Interesse haben dürften, zu zeigen, dass sie das Thema ernst nehmen. Das ist doch die perfekte Kombination, oder?

Wenn Firmen den Eindruck hätten, dass es wirtschaftlich interessant ist, in die Natur zu investieren, warum tun sie das nicht schon jetzt? Naturschutzprojekte gibt es schon seit Jahrhunderten. Wenn Firmen wirklich daran interessiert wären, etwas gegen die Folgen ihrer Tätigkeit auf die Artenvielfalt zu tun, warum braucht es dazu erst ein Finanzmarktinstrument? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das einen großen Unterschied im Verhalten der Firmen machen würde.

Vielleicht sind Firmen einfach mit Finanzmarktinstrumenten vertraut.

Ja, das ist sicher ein Argument. Vielleicht glauben sie auch wirklich, dass diese Instrumente ihren Zugang zu Kapital verbessern und ihre öffentliche Akzeptanz erhöhen. Es gibt vernünftige Argumente, um in diese naturbezogenen Instrumente zu investieren. Aber die gleichen Argumente könnten auch für direkte Investitionen der Firmen gemacht werden.

Sie haben gesagt, es gebe den Glauben, dass es an öffentlichen Mitteln mangelt. Ist das nicht eher eine Tatsache?

Wir geben extrem wenig Geld für den Naturschutz aus. In Großbritannien sind das nur 0,031 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wenn man das verdoppelt, ist das immer noch ein winziger Teil der öffentlichen Ausgaben. Man könnte die öffentlichen Ausgaben für die Natur also dramatisch erhöhen, ohne dass der Haushalt in Schieflage gerät.

Für Firmen müsste es interessant sein, sagen zu können: Wir sind „naturneutral“. Dazu müssten sie erst „klimaneutral“ werden und dann auch noch alle anderen Folgen für die Natur ausgleichen. Gibt es Firmen, die daran interessiert sind?

Es gibt viele Firmen, die Interesse signalisieren, aber wenige, die heute schon investieren. Aber es ist eigentlich noch zu früh, um wirklich etwas dazu zu sagen. Es gab immer wieder einen Hype um das eine oder andere Finanzinstrument für den Naturschutz. Vor gut 30 Jahren hat etwa der US-Pharmakonzern Merck mit Costa Rica einen Vertrag zur Nutzung des genetischen Materials in den Urwäldern Costa Ricas geschlossen. Damals dachten alle, solche Verträge kämen jetzt in großer Zahl, aber das ist nicht passiert. Selbst die freiwilligen CO₂-Kompensationen sind immer noch ein winziger Markt. Wir wissen also nicht, welchen Weg die Biodiversitätsgutschriften nehmen. Wird sich ein riesiger Markt für dieses Instrument entwickeln oder lässt es sich nicht skalieren wie andere zuvor? Es gibt viele Gründe, warum die früheren Instrumente nie durchgestartet sind.

Ein Problem könnte sein, dass Biodiversität naturgemäß divers ist, während Investoren ein standardisiertes Instrument bevorzugen.

Das ist die größte Herausforderung. Wenn man den freiwilligen CO₂-Markt betrachtet, dann ist eine Tonne CO₂ eine Tonne CO₂. Hier haben wir ein global akzeptiertes Maß, und das haben wir für Biodiversität nicht. Um einen Markt zu skalieren, ist es wünschenswert, ein solches Maß zu haben, aber bei der Artenvielfalt macht das keinen Sinn. Wie misst man Artenvielfalt? Geht es um die Fläche? Geht es um die Gefährdung bestimmter Arten oder geht es um die Zahl der Tiere? Damit bekommt man ganz unterschiedliche Resultate. Zudem muss man die Artenvielfalt regional betrachten. So etwas rund um die Welt zu handeln, funktioniert ökologisch gesehen nicht. Man würde Dinge handeln, die nicht vergleichbar sind, etwa Naturverlust in Australien gegen ein Waldprojekt im Kongo.

Vielleicht ist das globale Maß Geld. Ein Dollar ist ein Dollar. Nestlé müsste einfach einen Betrag X pro Hektar bezahlen, um behaupten zu können, „naturneutral“ zu sein. Und dieses Geld würde dann irgendwo auf der Welt in die besten Projekte investiert.

Dieses System haben wir schon beim freiwilligen CO₂-Markt, und dort haben wir gesehen, dass viele Projekte nicht die behauptete Klimawirkung haben. Das muss man überprüfen können, wenn darauf eine Behauptung beruht, wie „klimaneutral“ oder eben „naturneutral“ zu sein. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin ein großer Befürworter von mehr privaten Investitionen in den Naturschutz. Ich denke, Firmen sollten in die Natur investieren, aber man muss vorsichtig sein, welche Behauptungen sie daraus ableiten. Sonst bekommt man Greenwashing. Wir wissen also nicht, welchen Weg die Biodiversitätsgutschriften nehmen.

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