Mensch bedroht Meeressäuger: Gefahr für die Wal-Highways

Wale wandern tausende Kilometer – auch im Mittelmeer. Dort bedroht der Mensch ihre Zugrouten – durch Fischerei, Industrie, Schifffahrt oder Militär.

Ein Buckelwal springt aus dem Wasser.

Kampf ums Überleben: Wale legen auf ihren Reisen durch die Meere tausende Kilometer zurück Foto: dpa

MITTELMEER, KATAMARAN „WAKA“ taz | Das Mittelmeer gilt als eines der am stärksten befahrenen Meere der Welt. Fähren, Kreuzfahrt- und Handelsschiffe verbinden Festland und Inseln teils im Minutentakt. Und mittendrin: Die zweitgrößten Säugetiere der Erde.

Finn- und Pottwale sind die häufigsten Walarten im Mittelmeer. Ihre Migrationsrouten, die blauen Korridore, sind für ihr Überleben entscheidend. Wale müssen wandern, weil ihre Lebensräume zur Paarung und Nahrungsaufnahme weit voneinander entfernt liegen. Den Rekord hält der Buckelwal mit einer Wanderroute von bis zu 9.000 Kilometern.

Der Mensch bedroht die blauen Korridore und macht die Wanderungen immer mehr zu einem lebensgefährlichen Unterfangen für die Meeressäuger. Seit 1999 gibt es das Walschutzgebiet Pelagos zwischen Frankreich, Italien und Monaco. Dennoch verenden laut der Umweltorganisation WWF im Mittelmeer bis zu 40 Finnwale pro Jahr alleine durch Kollisionen mit Schiffen. Weltweit sterben jährlich zudem bis zu 300.000 Wale durch die Folgen von Fischerei.

2022 veröffentlichte der WWF erstmals eine Weltkarte der blauen Korridore. Sie ist das Ergebnis einer Auswertung hunderter Satellitendaten und macht deutlich: Sämtliche Ozeane sind durchzogen von Migrationsrouten der Meeressäuger, regelrechten Wal-Highways.

Auf einer Weltkarte sind die Wanderrouten der Wale eingezeichnet.

Mit den Wal-Highways bereisen die Meeressäuger die ganze Welt Infografik: wwf

Es fehlen Daten zu blauen Korridoren im Mittelmeer

Walarten wie der Finn- oder der Pottwal legen im Atlantik tausende Kilometer zurück, um im Sommer und Herbst zum Fressen in arktische Gewässer und zur Paarung und Aufzucht ihrer Jungen in warme Breitengrade zu kommen. Inzwischen gehen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen davon aus, dass beide Spezies im Mittelmeer jeweils eine eigene Population gebildet haben. Wie genau sie allerdings innerhalb des Mittelmeeres wandern, ist bisher wenig erforscht.

„Damals, als der Bericht herausgekommen ist, haben wir auch einen Fokus auf das Mittelmeer gesetzt. Dabei mussten wir feststellen, dass es kein typischer Migrationsweg der Finnwale ist, aus dem Mittelmeer hinaus in die Arktis zu schwimmen, wie es Arten aus anderen Regionen machen“, sagt die WWF-Meeresbiologin Heike Zidowitz. Häufige Wanderrouten von Finn- und Pottwalen werden zwischen dem Pelagos-Gebiet und der Straße von Sizilien vermutet.

„Das Problem ist, wenn man weiß, wo der eine Wal entlang geschwommen ist, heißt das noch so gut wie gar nichts über die anderen Wale“, sagt Fabian Ritter, Meeresbiologe des Berliner Umweltvereins M.E.E.R. Das Verhalten einzelner Individuen sei viel zu dynamisch und zu unterschiedlich, um zuverlässige Aussagen über konstante Walrouten treffen zu können. Krill- oder Fischbestände könnten gemessen und auf Basis dessen Rückschlüsse auf blaue Korridore gezogen werden – so weit sei man aber noch nicht, sagt Ritter.

Eine Grafik auf der die Wanderwege der Wale durch das Mittelmeer zu sehen sind.

Auf den Wanderrouten durch das Mittelmeer ist viel los Infografik: wwf

Die Crew des Katamarans Waka Okeanos, die für die Darmstädter Okeanos-Stiftung auf dem Mittelmeer unterwegs ist, dokumentiert seit zwei Jahren Walsichtungen und die Laute der Meeressäuger. Diese Daten leiten sie weiter an die Forschungsgruppe des Programms Marres der Universität Côte d’Azur in Nizza, die sich mit Biodiversität und dem Schutz des Mittelmeeres beschäftigt. Doch es brauche noch viel mehr solcher Daten, sagt Crew-Mitglied und Meeresbiologin Elle Gibson.

Fluke gibt Hinweise auf Walgröße

Um die hochmobile Art zu erforschen und Regelmäßigkeiten in ihren Bewegungen zu erkennen, braucht es Auswertungen von Sichtungsdaten mehrerer Jahre. Eine der gängigsten Methoden hierbei ist die klassische Fotografie. For­sche­r:in­nen katalogisieren Einzelsichtungen, vergleichen sie mit früheren Aufnahmen und identifizieren die Tiere, um Rückschlüsse auf ihr Sozialverhalten und ihre Bewegungsmuster zu ziehen.

So kann zudem aus den individuellen Fotografien der Wale ihre Morphologie abgeleitet werden. Beispielsweise gibt das Foto einer Fluke Hinweise auf die Körpergröße eines Wals. Seit Jahren greifen For­sche­r:in­nen zudem auf Tracking-Daten von Satelliten zurück. Bisher seien jedoch zu wenig Mittelmeerwale mit Satellitensendern versehen worden, bedauert WWF-Expertin Zidowitz.

Mitglieder der gemeinnützigen italienischen Forschungsorganisation Tethys haben Daten von Satelliten und Sichtungen aus 15 Jahren ausgewertet und dabei entdeckt, dass es ähnlich wie im Atlantik eine Nord-Süd-Migrationsroute des Finnwals im Mittelmeer gibt.

Von Februar bis März ist der Finnwal im südöstlichen Teil, von Juli bis September im nordwestlichen Bereich des Mittelmeeres zum Fressen unterwegs. Zur Sommerzeit halten sich hier bis zu 70 Prozent der gesamten Finnwal-Population des Mittelmeeres auf – also etwa 1.200 Tiere.

Größte Bedrohung im Mittelmeer ist der Schiffsverkehr

Wis­sen­schaft­le­r:in­nen sind sich einig, dass vor allem das Zusammenspiel unterschiedlicher menschlicher Aktivitäten tödliche Folgen für Wale hat. „Das Mittelmeer ist von teilweise hochindustrialisierten Ländern mit verbauten Küsten umgeben, dann die Schifffahrt und die Verschmutzung, da haben Wale und Delfine kein einfaches Leben“, sagt Meeresbiologe Fabian Ritter.

Geräusche durch Schifffahrt, Militärübungen an der Küste, Offshore-Anlagen und seismische Messungen unter Wasser stören Wale bei ihrer Navigation und Kommunikation. Im schlimmsten Fall erleiden die Tiere einen kompletten Gehörverlust oder stranden. Hinzu kommt die Verschmutzung der Meere durch Mikroplastik und chemische Stoffe. Und nicht zuletzt: Der Klimawandel, durch den die Wassertemperaturen steigen und sich Verbreitungsmuster von Krill und Fischen verändern.

Eine Infografik zeigt die Lärmbelästigung auf die Wale in den verschiedenen Meeresschichten.

Die Geräuschkulisse im Meer stresst die Wale. Im schlimmsten Fall werden sie verletzt oder sterben Foto: Esther Gonstalla

Als eine globale Bedrohung von Walen und Delfinen durch den Menschen benennt Ritter die Fischerei. Die kommerzielle Ausbeutung der Ozeane entziehe den Meeressäugern entweder ihre direkte Nahrungsgrundlage oder bringe das Meeresökosystem durch Überfischung aus dem Gleichgewicht. Auch verenden viele Tiere als Beifang in Fischernetzen oder in im Meer treibenden „Geisternetzen“, die nicht mehr benutzt werden.

Im Mittelmeerraum sei vor allem die Schifffahrt die größte Gefahr für die Wale, so der Meeresbiologe. Besonders viele Kollisionen verortet er in den Gewässern um die griechische Insel Kreta, dem hellenischen Graben. Hier stoßen eine besonders hohe Populationsdichte von wandernden Finn- und Pottwalen und ein starker Schiffsverkehr aufeinander.

Das Mittelmeer als Sackgasse

Besonders gefährlich sind schnelle und große Passagierschiffe sowie Frachter. Wale, die nach langen Tauchgängen zur Erholung an die Wasseroberfläche kommen, sind den Schiffen besonders leicht ausgesetzt. Für die Meeressäuger enden Kollisionen oft tödlich oder führen zu lebenslangen Verletzungen.

Erste Forschungen zeigen, dass Wale im Atlantik ihre Bewegungsmuster aufgrund der zunehmenden Gefahren ändern. Das ist im viel kleineren Mittelmeer allerdings nur begrenzt möglich. „Das Problem ist, dass es eine riesige Sackgasse ist. In den Norden und Süden kann man nur in gewissem Maße ausweichen“, sagt Ritter.

Fehlende Daten und die sich wandelnden Migrationswege erschweren es, passende Schutzzonen einzurichten. Nichtsdestotrotz steht für Ritter die Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen an erster Stelle: „Wir wissen ziemlich viel über die Bewegungen von zumindest einzelnen Walen, wir wissen, wo der Krill vorkommt und dass große, schnelle Schiffe und Fischerei das Problem sind – also wie viel braucht es noch, um sinnvolle Maßnahmen ergreifen zu können?“

WWF-Meeresbiologin Zidowitz spricht sich sogar für Schutzgebiet-Netze aus, also der flexiblen Verbindung von Schutzzonen je nach Dringlichkeit. Letzten Endes liegt der größte Handlungsbedarf aber darin, die Gefahrenursachen zu reduzieren. „Solange wir die Naturräume weiterhin so exzessiv nutzen und damit degradieren, werden wir mit der Bildung von Schutzgebieten nie ganz fertig werden“, sagt Zidowitz.

Dieser Text entstand im Rahmen eines Recherchestipendiums der Okeanos Stiftung für das Meer.

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