Bäume fällen, Klima schützen?

Zahlenspiele und merkwürdige Abholzaktionen: Was auf Costa Rica angeblich alles gegen den Treibhauseffekt unternommen wird  ■ Aus San José Peter Korneffel

Eine gelbbraune Schlammpiste im tropischen Regenwald. Mühsam kommt der Wagen voran; nach einigen hundert Metern im Matsch versagt auch der Allradantrieb. Froylan Castaneda, Förster in Costa Rica, steigt aus und zeigt auf einen Stapel gefällter Bäume: Tropenholz. Seine Mitarbeiter haben die Urwaldriesen abgesägt, erzählt er lässig: „Pro Hektar haben wir vier der fünfzehn ältesten Bäume herausgeholt.“ Keine Spur von Bedauern liegt in seiner Stimme, eher ein bißchen Stolz – der Mann fühlt sich wie jemand, der etwas gegen den Treibhauseffekt unternimmt. Denn es ist eine Umweltgruppe namens „Fundecor“, die Castaneda und einen Trupp Waldarbeiter beschäftigt. Sie sind in einem 12.000 Hektar großen Gebiet unterwegs und fällen immer nur die ältesten Bäume.

Gerechtfertigt wird die Aktion mit einem Rechentrick, den nachzuvollziehen schon einige Mühe erfordert: Ausgangspunkt der Überlegung ist die Tatsache, daß jedes Wachstum von Bäumen CO2 bindet, also die Konzentration des Treibhausgases in der Atmosphäre verringert. Weil aber gerade die alten Urwaldriesen kaum noch wachsen, sägt man kurzerhand einen Teil davon ab. Auf neuen Lichtungen wachsen neue Bäume, freut sich Castaneda: „Das ist viel dynamischer, und der Wald kann jetzt mehr Kohlendioxid binden.“

In Castanedas Technokratensprache heißt dieser beschädigte Urwald dann „intervenierter Primärwald“. Castanedas Projekt ist nicht etwa die verquere Aktion eines abgedrehten Einzelgängers. Hinter ihm und seiner Umweltgruppe steht die Regierung von Costa Rica, die erst kürzlich den Export von unverarbeitetem Tropenholz erlaubt hat. Und vor allem die USA haben ein Interesse an der Arbeit von Castaneda und seinen Kollegen – weniger des Tropenholzes als vielmehr des versprochenen Klimaschutzeffektes wegen. So hat die „US-Initiative für gemeinsame Umsetzung“ auf die Tonne genau berechnet, wieviel CO2 der Atmosphäre durch Castanedas Projekte entzogen wird. Und die US-Regierung ist grundsätzlich sogar bereit, diese Spielart des Klimaschutzes zu finanzieren, sofern ihr das in der US- Klimabilanz gutgeschrieben wird.

„Joint implementation“ („gemeinsame Umsetzung“) heißt dieses Prinzip im Jargon der Klimaexperten, das nach einem Beschluß des Berliner Klimagipfels in den nächsten Jahren erprobt werden soll.

Der Hintergedanke ist zumindest wirtschaftlich reizvoll: Industriestaaten finanzieren Klimaschutz dort, wo er am billigsten ist. Statt mit 100 Millionen Dollar ein amerikanisches Kraftwerk effizienter zu machen, werden mit dem gleichen Betrag mehrere Kraftwerke in Rußland oder der Ukraine modernisiert.

Oder – und damit wären wir wieder in Costa Rica – die USA bezahlen mit den Klimaschutz-Millionen die Aufforstung von Wäldern in ärmeren Staaten und schreiben sich die CO2-Ersparnis in ihren nationalen Klimabilanzen gut. Doch so charmant das ökonomische Konzept klingt, in der Praxis wird die Joint Implementation zu einem anderen Rechentrick degenerieren, den Froylan Castanedas Initiative ebenfalls als Klima Zehn Dollar für eine Tonne Kohlendioxid weniger

schutz verkauft. Ort der Handlung diesmal: der Nationalpark im Vulkangebirge von Costa Rica. Hier werden stündlich fast 50 Hektar Tropenwald illegal gefällt; das Tropenholz exportieren die kriminellen Händler mit großem Profit. Castaneda verspricht nun, 71.000 Hektar des Nationalparks „garantiert, kontinuierlich und total“ zu schützen. Auch das sei ein Beitrag zum Klimaschutz, meint er. Denn die Bäume werden in ihrem Wachstum nicht gehindert und absorbieren auch weiterhin CO2. Klimaschutz durch bloße Versprechen – ein Rezept, das kaum überprüfbar, aber beliebig auszuweiten ist.

Trotz dieser Abholzaktionen hat das Joint-Implementation-Projekt in Costa Rica auch einen seriösen Kern. Denn Froylan Castaneda versucht, Viehzüchter und private Landbesitzer für normale Aufforstung zu gewinnen. Wenn sie auf Rinderhaltung verzichten und statt dessen Plantagen mit einheimischen Bäumen pflanzen, bekommen sie von Castaneda Geld – und zwar pro absorbierte Tonne CO2 genau zehn Dollar. Doch diese Form von Joint Implementation, bei der der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre tatsächlich verringert würde, ist bisher nahezu erfolglos geblieben: Castaneda hat kaum Bauern gefunden, die zu diesem Tauschgeschäft bereit sind. Ganze 1.000 Hektar Weideland werden insgesamt zu Waldflächen umgewandelt – magere ein Prozent der Fläche, die Castanedas Projekte insgesamt umfassen.