Oppositionsdemo in Polen: Protest vor leeren Rängen

In Warschau versammelten sich Zehntausende Anhänger der oppositionellen PiS-Partei. Doch kurz vor Demobeginn gingen ihnen die Argumente aus.

Der Vorsitzende der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit, Jaroslaw Kaczynski.

Jaroslaw Kaczynski (PIS) spricht am 11. Januar 2024 in Warschau zu Anhängern seiner Partei Foto: Aleksandra Szmigiel/reuters

WARSCHAU taz | Jaroslaw Kaczynski, der Parteichef der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS), war wütend. Denn kurz vor der PiS-Großdemo am Donnerstagabend in Warschau hatten sich die Protestgründe weitgehend in Luft aufgelöst. Das Parlament, vor dem sich Zehntausende PiS-Anhänger versammelt hatten, war fast leer. Der Sejm-Marschall Szymon Holownia, der seit gut einem Monat die Sitzungen des polnischen Abgeordnetenhauses leitet, hatte kurz vor der Demo die Sejm-Sitzung um drei Tage verschoben.

So wetterte Kaczynski zwar gegen die neue Mehrheit im Parlament, die angeblich zwei PiS-Abgeordnete als „politische Gefangene“ genommen habe, doch selbst die PiS-Anhänger auf der Demo wirkten enttäuscht. Auch Kaczynskis flammende Verschwörungsrede gegen die neue Mitte-Links-Regierung, die angeblich im Auftrag der EU Polens Souveränität liquidieren will, zündete nicht richtig.

Ein dick eingemummter Demonstrant brachte es auf den Punkt: „Ich bin extra aus Ostpolen angereist, weil ich gegen die neue Macht anschreien wollte. Aber wer soll mich denn jetzt hören? Da ist ja niemand im Parlament!“

Immerhin – auf Zuruf von der Bühne skandierten die Demonstranten mehrfach und sehr laut „Zwyciezymy“ –„Wir werden siegen!“, aber schon der Satz „Hier ist Polen, nicht Belarus“, klang etwas dünn. Kaczynski hatte in seiner Rede mit keinem Wort erwähnt, dass Polens Präsident Andrzej Duda nun doch zwei rechtskräftig wegen Amtsmissbrauch verurteilte und seit zwei Tagen hinter Gitter sitzende PiS-Politiker begnadigen wolle. Aber wie die meisten Polen verfolgen auch die PiS-Anhänger das aktuelle politische Geschehen in sozialen Medien wie TikTok, Youtube oder X im Internet.

Verurteilte Minister werden begnadigt

Die Nachricht von der Kehrtwende Dudas verbreitete sich wie ein Lauffeuer: bislang hatte Duda behauptet, dass seine erste Begnadigung der PiS-Politiker Mariusz Kaminski und Maciej Wasik, die 2015 als Chefs der zentralen Antikorruptionsbehörde (CBA) wegen Dokumentenfälschung und Amtsmissbrauchs verurteilt worden waren, nach wie vor gültig sei. Doch die meisten Juristen hatten ihm widersprochen.

Dudas damalige Begnadigung sei nicht rechtswirksam geworden, da das Berufungsverfahren in zweiter Instanz noch ausstand, so dass die Angeklagten formal noch „unschuldig“ waren. Unschuldige aber könne der Präsident nicht begnadigen. So klang die PiS-Propaganda von den „politischen Gefangenen“, die die neue Mitte-Links-Regierung unter dem liberalkonservativen Premier Donald Tusk hinter Gittern gebracht habe, selbst in den Ohren der Pis-Anhänger wenig überzeugend. Duda war umgeschwenkt, als ihn die Ehefrauen von Kaminski und Wasik um eine erneute Begnadigung ihrer Männer baten.

Abgeschaltete TV-Sender senden wieder

Auch ein weiterer Grund für die PiS-Großdemo „Freie Polen verteidigen freie Medien“ hatte sich kurz vor der Demo in Luft aufgelöst. Denn die von der PiS in Parteipropagandaschleudern verwandelten Sender TVP, TVP Info und Polskie Radio waren zwar von der neuen Regierung abgeschaltet worden, sendeten aber längst wieder – zum Teil noch etwas provisorisch, aber erkennbar im Sinne eines in der polnischen Verfassung verankerten Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Statt Anti-EU-Hetze und Deutschen-Bashing sowie der ständigen Wiederholung von Uralt-Konserven mit Donald Tusk, Angela Merkel und Wladimir Putin gibt es nun wieder tagesaktuelle Nachrichten.

Millionengehälter für PiS-Propagandisten

Wenige Tage vor der Demo war dann auch noch herausgekommen, dass die schärfsten PiS-Propagandisten in den Sendern astronomische Gehälter in zum Teil Millionen-Zloty-Höhe eingestrichen hatten.

Die PiS-Parteiführung änderte daher am Donnerstagabend die Demo-Strecke ab: statt zum TVP-Sender am Platz der Aufständischen marschierten die Demonstranten zum Sitz des neuen Premierministers Donald Tusk. Doch auch da hatten alle schon Feierabend gemacht und das Gebäude verlassen. Die Fenster blieben dunkel.

Bislang hat die neue Regierung aus liberalkonservativer Bürgerkoalition (KO), christlich-agrarischem Dritten Weg und der Neuen Linken, die die Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 mit überwältigender Mehrheit gewonnen hat, die vielen Schwierigkeiten gut bewältigt. Aber das muss nicht so bleiben.

PiS als schlagkräftige Opposition

Sie hat mit der PiS eine schlagkräftige Oppositionspartei gegen sich, die in den letzten acht Jahren, als sie selbst an der Macht war, alle Schlüsselpositionen im Lande mit eigenen Leuten besetzt hat. Zudem prägt sie noch immer den öffentlichen Diskurs. So hetzt die PiS (Abkürzung für Prawo i Sprawiedliwość, was wie zum Hohn „Recht und Gerechtigkeit“ heißt), ununterbrochen gegen die neue Regierung und unterstellt ihr, einen „Staatsstreich“ verübt zu haben, „Rechtsanarchie“ zu verbreiten, „in Interesse der Deutschen gegen Polen“ zu handeln und „von Rache getrieben“ gegen die „wahren Polen“ zu agieren.

Ohne eine bessere Kommunikation der neuen Regierung kann das Projekt „Wiederaufbau der Demokratie in Polen“ noch scheitern.

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