Sexualisierte Gewalt an der HU Berlin: Das Schweigen der Professoren
Ein Dozent der Humboldt-Universität soll Frauen mit verbaler sexualisierter Gewalt gequält haben. Als eine der Ansprechpersonen empfiehlt die Uni einen unter Studierenden umstrittenen Professor.
Anlass hierfür waren Berichte einer Vielzahl von Studierenden, in denen deutlich wurde, wie der Dozent junge Frauen behandelt haben soll: Immer wieder machte er abschätzige, sexualisierende Kommentare, sowohl in Vorlesungen und Seminaren als auch in Einzelgesprächen. Ob sich Studentinnen für ihn ausziehen würden und dass „aussagekräftige Nacktbilder“ die Noten verbessern könnten, soll er gesagt haben.
Der Dozent selbst schweigt zu diesen Vorwürfen bis heute. Doch die schiere Menge an sich ähnelnden Berichten über viele Jahrgänge von Studierenden hinweg ist erschlagend. Vor dem Arbeitsgericht Berlin einigten sich K. und die Vertreter der HU Anfang Januar auf einen Vergleich. Die Kündigung erfolgt zum Juni 2024, bis dahin wird der ehemalige Dozent freigestellt.
Die Frage ist nun, wie solche Vorfälle in Zukunft vermieden werden können und bereits Vorgefallenes aufgearbeitet werden kann. Die Kündigung des Dozenten ist zwar ein wichtiger Schritt, doch macht sie allein die Schäden nicht wieder gut, die in den vergangenen 20 Jahren entstanden sind. Die Machtstruktur, in der Täter wenig zu befürchten haben und Opfer sich zweimal überlegen, ob sie den nervenaufreibenden Weg an die Öffentlichkeit gehen, muss durchbrochen werden.
Andere Dozierende schweigen bisher
Während die Universitätsleitung von einem „gesellschaftlichen Kulturwandel“ spricht, dank dem man heute entschiedener gegen Fehlverhalten vorgehe, sieht sich die Studierendenvertretung hauptsächlich selbst in der Verantwortung, gegen Übergriffe vorzugehen.
„Aufarbeitung“ ist ein zentrales Anliegen in der deutschen Geschichte, könnte man meinen. Professor Michael Wildt, mittlerweile emeritiert, hatte an der HU bis 2022 den Lehrstuhl für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt auf die Zeit des Nationalsozialismus inne. Er ist bisher der einzige Mitarbeiter des IfG, der sich öffentlich zu den Geschehnissen äußert.
Beschämt und zornig sei er angesichts der jahrelangen sexualisierten Übergriffe am Institut, wie er auf seiner Internetseite schreibt. „Beschämt, weil ich in meiner Zeit als Professor am Institut Teil des Problems und nicht der Lösung war, indem auch ich weggeschaut und geschwiegen habe.“ Auf Nachfragen der taz über die Stellungnahme hinaus wolle Wildt sich nicht äußern. „Da ist jetzt das Institut am Zug, das den Fall transparent aufarbeiten und entsprechende Maßnahmen zum Schutz von Studierenden einleiten muss“, so der Emeritus.
Michael Wildt, Professor am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin
Wie das IfG nun auf seiner Internetseite schreibt, sei eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden. Nach einer Vollversammlung zu Beginn des Wintersemesters sei ein institutsinterner Gesprächskreis mit allen Statusgruppen entstanden, der sich regelmäßig treffen soll. Seine Aufgabe sei es, Machtmissbrauch zu thematisieren, die Geschehnisse aufzuarbeiten sowie Präventions- und Interventionsmaßnahmen zu diskutieren.
„Zudem wurde eine Fakultätskommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für die Stärkung von Prävention, Meldung und Sanktionierung von Machtmissbrauch, Diskriminierung, Mobbing sowie sexualisierter Belästigung und Gewalt gegründet“, heißt es weiter.
Ausgerechnet Baberowski als Ansprechperson
Außerdem wird auf zahlreiche Stellen an der Universität verwiesen, die bei Missbrauch und Übergriffen umgehend tätig werden würden. Eine davon ist der geschäftsführende Direktor des IfG Jörg Baberowski. Der Professor für Geschichte Osteuropas ist unter Studierenden äußerst umstritten. 2017 wurde die Kritik laut, er vertrete rechtsradikale Positionen und verharmlose beispielsweise Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Nach einem Urteil am Landgericht Köln dürfen Studierende ihn zwar „rechtsradikal“ nennen, andere strittige Äußerungen einer Studierendenvertretung über ihn blieben jedoch verboten. Ein anderes Verfahren aus dem Jahr 2020 gegen Baberowski, in dem ihm Körperverletzung vorgeworfen wurde, endete ohne Urteil. Für Studierende ist dennoch fragwürdig, ob die HU hier eine passende Ansprechperson für ihre Beschwerden ausgewählt hat.
Der Referent:innenrat, die studentische Vertretung an der HU und ein Äquivalent zum AStA, kritisiert mangelnde Selbstreflexion derjenigen, die lange über die Vorwürfe Bescheid wussten: „Wir vermissen jegliche Schuld- und Verantwortungseingeständnisse der zuständigen Stellen, die in den vergangenen Jahren Studierende in dem allgemeinen Klima des Machtmissbrauchs und des Schweigens darüber alleingelassen haben. Jede Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch und strukturellen Hierarchien an der Universität muss unbedingt mit einem Eingeständnis über die in der Vergangenheit nicht übernommene Verantwortung einhergehen“, teilt Referentin Hanna schriftlich mit.
Machtmissbrauch sei aber nicht nur ein personelles, sondern ein strukturelles Problem, das langfristig nur durch ein Ändern von universitären Strukturen und Machtverhältnissen angegangen werden könne. „Wir sehen noch nicht, dass das IfG dies bisher sinnvoll angeht“, so die Referatssprecherin.
Anlaufstellen hilflos
Der aktuelle Fall lässt vermuten, dass bestehende Anlaufstellen machtlos waren, obwohl sie seit Jahren von den Vorwürfen gegen den Dozenten wussten. Die zentrale Frauenbeauftragte der HU, Ursula Fuhrich-Grubert, und die damalige dezentrale Frauenbeauftragte am IfG, Professorin Birgit Aschmann, erklärten gegenüber der taz, sie seien den „Beschwerden über das Fehlverhalten des ehemaligen Dozenten der HU als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte konsequent nachgegangen“.
Der Dozent sei daraufhin mehrfach wegen verbaler sexualisierter Übergriffe sanktioniert worden, habe sein Verhalten aber nicht geändert. Fuhrich-Grubert schreibt, K. sei im August 2023 gekündigt worden, nachdem er sich der Auflage widersetzt hatte, keine Gespräche unter vier Augen mit Studentinnen zu führen.
Tatsache ist jedoch, dass erst die Presseberichte ab Juli 2023 den Stein ins Rollen brachten, der schlussendlich zur Kündigung führte. Mindestens zweimal beschäftigte sich die Universitätsleitung – 2014 unter Präsident Jan-Hendrik Olbertz und 2022 unter Präsidentin Julia von Blumenthal – mit dem Fall, ohne dass es nennenswerte arbeitsrechtliche Konsequenzen gab. Auf die Frage an Aschmann, wie sie auf die Forderung ihres Kollegen Wildt reagiere, der von den Professor:innen eine transparente Aufarbeitung fordert, gab es keine Antwort.
Alleingelassen statt beschützt
Wenn die Frauenbeauftragten „alle Möglichkeiten unseres Mandates zum Schutz der Betroffenen genutzt“ haben, wie Fuhrich-Grubert schreibt, aber sich dennoch mehr als 20 Jahre lang eine beträchtliche Zahl an Frauen angesammelt hat, die sich nicht geschützt, sondern alleingelassen gefühlt haben, sind diese Möglichkeiten nicht ausreichend gewesen.
Die Frauenbeauftragte weist darauf hin, dass die Humboldt-Universität die etablierten Prozesse und Maßnahmen bei Fehlverhalten weiter ausbauen werde. „Sie wird Meldewege und Prozesse künftig proaktiver kommunizieren, mit dem Antidiskriminierungs- und Diversitätsbüro eine neue Beratungsstelle einrichten und mehr Aufklärung und Weiterbildung betreiben“, erklärt Fuhrich-Grubert.
Nach dem aktuellen Fall seien dem RefRat weitere Fälle von machtmissbräuchlichen Dozierenden bekannt geworden. Mit diesen Fällen verantwortungsvoll umzugehen, Studierende möglichst gut zu beraten und entschieden zu vertreten, werde für die Studierendenvertreter die wichtigste Aufgabe in den kommenden Monaten sein.
Eine langfristige Lösung sei dies jedoch nicht: „Wir im RefRat machen parteiische Peer-to-Peer-Beratung und sehen dies nach wie vor als unseren Aufgabenbereich an. Es kann aber nicht sein, dass es konstante Aufgabe der Studierendenschaft bleibt, Studis vor übergriffigen Dozierenden zu schützen“, so Referentin Hanna. Sie und ihre Kolleg:innen hoffen, dass die universitären Stellen den vielbeschworenen Kulturwandel nun Praxis werden lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Jeff Bezos und die Pressefreiheit
Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen!
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“
Krieg in Nordgaza
Die Hungersnot wächst