Humboldt-Universität: Übergriffe als Normalfall?

Nach massiven Beschwerden laufen in Berlin Verfahren gegen zwei Dozenten. Der Vorwurf: Die Strukturen an den Unis begünstigen übergriffiges Verhalten.

Eingang der Humboldt-Universität mit Humboldt-Denkmal

Allzu häufig schweigen die Opfer sexualisierter Gewalt an der Uni: „Da hängen Karrieren dran“ Foto: Wolfgang Kumm/dpa

BERLIN taz | Blieben Vorwürfe von sexuell übergriffigem Verhalten an der Humboldt-Universität über mehr als 20 Jahre ungehört? Das werfen die Initiative „Keine Uni für Täter“ und der Re­fe­ren­t*in­nen­rat der HU vor. Studentinnen hatten einen Dozenten der Alten Geschichte wiederholt übergriffigen Verhaltens beschuldigt. Kaum wurde der Dozent Anfang August freigestellt, wurde bekannt, dass an der HU gegen einen weiteren Geschichtsdozenten, einen Professor, ein Disziplinarverfahren läuft. Grund dafür sind ebenfalls Vorwürfe von sexuell übergriffigem Verhalten.

Öffentlich wurden die Vorwürfe gegen den Professor durch eine ehemalige HU-Mitarbeiterin. In einem Beitrag in einem Sammelband, der im Mai veröffentlicht wurde, beschreibt sie, wie ein namentlich nicht genannter Vorgesetzter sie bei einer Betriebsfeier in sein Büro gebeten und dort gegen ihren Willen geküsst und an den Brüsten berührt haben soll.

Aus Angst, ihren Job zu verlieren, habe sie niemandem von dem Vorfall erzählt, heißt es in dem Essay. Insbesondere da sie als politisch verfolgte Migrantin Angst hatte, abgeschoben zu werden, wenn sie ihren Arbeitsplatz verliert.

Aus den Ort- und Zeitangaben in dem Beitrag sei schnell klar geworden, von wem die Rede ist, sagt eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der HU, die anonym bleiben möchte, der taz. Der Masterstudiengang Global History, in dem der Mann in den vergangenen Jahren Gastvorträge hielt, hat alle institutionellen Verbindungen zum Professor gekappt. Das geht aus einer internen Mail des Studiengangs an die Stu­den­t*in­nen hervor, die der taz vorliegt.

Beschuldigter hüllt sich in Schweigen

Die Professorenstelle an der HU hat der Beschuldigte nicht verloren. Aktuelle Informatio­nen zum Stand des Disziplinarverfahrens möchte die Universität auf taz-Anfrage nicht mitteilen. Auch der Professor will sich nicht öffentlich dazu äußern.

Im Gegensatz zum beschuldigten Professor wurde der Dozent für Alte Geschichte, der sich ebenfalls sexuell übergriffig verhalten haben soll, bereits freigestellt. Claudia Roesch hat von 2003 bis 2009 an der HU Geschichte studiert. Auf einem Sommerfest des Instituts sei der Dozent aus dem Nichts auf sie zugekommen. „Ob ich mich denn heute noch für ihn ausziehen würde“, habe er sie gefragt, erzählt sie der taz.

Ein Seminar hatte sie nie bei ihm belegt. Und das sei kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung gewesen. Jede ihrer Freundinnen habe eine Situation schildern können, in der der Dozent sie belästigt habe, sagt Roesch. Eine weitere ehemalige Studentin, Anna Hájková, berichtet der taz von einer Sprechstunde, in der sie Ende der 90er Jahre bei dem Dozenten war: „Er machte mir Komplimente über meinen Hintern.“

Dozent soll auch körperlich übergriffig gewesen sein

Strafrechtlich relevant sind Roeschs und Hájkovás Erfahrungen nicht. Es handelt sich dabei weder um körperliche sexuelle Belästigung nach Paragraf 184 Strafgesetzbuch noch um Beleidigungen nach Paragraf 185. Laut dem Kollektiv „Keine Uni für Täter“ soll der Dozent für Alte Geschichte auch körperlich übergriffig gewesen sein. Genauere Angaben möchten sie aus Gründen des Betroffenenschutzes aber nicht machen. Der Dozent will sich auf taz-Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern.

Die Universitätsleitung bittet Betroffene, sich zu melden, damit gegebenenfalls rechtliche Maßnahmen ergriffen werden können. Den Vorwurf, seit Jahrzehnten von den Anschuldigungen gewusst und viel zu spät gehandelt zu haben, weist sie zurück.

Vielmehr sei man Vorwürfen gegen den Dozenten für Alte Geschichte wegen „verbaler sexualisierter Übergriffe“ in der Vergangenheit „in jedem Einzelfall nachgegangen“. Wie genau und seit wann sie von den Vorwürfen weiß, möchte die Universitätsleitung auf taz-Anfrage jedoch nicht beantworten.

„Es ist sehr schwer, diese Reaktion jetzt richtig zu nennen, wenn sie über 20 Jahre zu spät kommt“, sagt Sophia Hohmann vom Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft über die Freistellung des Dozenten. „Es passiert erst dann etwas, wenn es schlechte Presse gibt“, kritisiert sie.

Anlaufstellen relativieren Erfahrungen

In ihrer Arbeit ist Hohmann viel mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt in Kontakt. „Die Menschen, die sich an uns wenden, haben sich in der Regel schon an alle Anlaufstellen in der Universität gewandt“, berichtet sie. „Sie erleben dort häufig, dass ihre Erfahrungen relativiert und nicht ernst genommen werden.“

Es ginge ihr nicht darum, einzelne Personen wie die Frauenbeauftragte anzugreifen, betont Hohmann. „Das Problem ist, dass die Strukturen entmachtet sind.“ Die Frauenbeauftragten seien häufig lediglich in einer unterstützenden und beratenden Position. Über konkrete Maßnahmen könnten sie aber nicht entscheiden, sagt Hohmann. Weitere Strukturen für Betroffene sexualisierter Gewalt gibt es laut Re­fe­ren­t*in­nen­rat vonseiten der Uni nicht.

Doch wie ist es möglich, dass Vorwürfe übergriffigen Verhaltens an der Universität jahrzehntelang kursierten und der Dozent trotzdem weiter unterrichten durfte? „Sexualisierte Gewalt an Universitäten ist sehr normalisiert. Dadurch wird auch vermittelt, dass sich nichts ändern wird“, sagt Hohmann. Dazu kämen personelle Abhängigkeiten und Machtverhältnisse. „Da hängen Karrieren dran. Deshalb schweigen Personen oft oder handeln nicht.“

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