Frauen müssen für Frauenhäuser zahlen: Wer Schutz sucht, zahlt drauf

Von häuslicher Gewalt Betroffene müssen für Schutz oft selbst bezahlen. Die Bundesregierung verfehlt ihr Versprechen einer „verlässlichen Finanzierung“.

Kinderspielzeug

Frauenhäuser sind je nach Bundesland und Kommune unterschiedlich finanziert: Spielecke in einem Frauenhaus in Oberhausen Foto: Gerd Wallhorn/Funke Foto Services/imago

MÜNCHEN taz | Ohne ihre älteste Tochter würden Ema Gremel und ihre drei Kinder wohl immer noch bei dem Mann wohnen, der sie verprügelte. „Das war jeden Tag Terror“, sagt Gremel. Schon wegen Kleinigkeiten wurde er handgreiflich. „Eine ins Gesicht für jedes kleinste Wort“, beschreibt die 38-Jährige den Zustand.

Eines Tages hielt ihre älteste Tochter es nicht mehr aus. Sie sagte zu ihrer Mutter: „Sobald ich 18 bin, hau ich ab.“ So erzählt Gremel es heute. In diesem Moment realisierte sie: Jedes ihrer Kinder würde sie verlassen, wenn sie nichts ändert. Und ihr Mann würde ihr dafür wohl die Schuld geben. „Ich hatte mich an die Gewalt gewöhnt, aber meine Kinder haben extrem gelitten.“

Das bundesweite Hilfetelefon gegen Gewalt ist rund um die Uhr unter der Nummer 08000 116016 erreichbar, von 12 bis 20 Uhr kann man unter www.hilfetelefon.de auch chatten.

Die Berliner BIG-Hotline von 8 bis 23 Uhr unter 030 6110300 und die Kinderschutzhotline unter 0800 1921000.

Im Frühjahr 2022 entschied sie, mit ihren Kindern ins Frauenhaus zu flüchten. Ihre älteste Tochter hilft über einen Kontakt einen Platz zu organisieren. Als ihr Mann arbeitete, packten sie ihre Kleidung in blaue Säcke und versteckten sie in der Garage – sie nahmen nur so viele mit, dass es nicht auffiel, dass im Kleiderschrank etwas fehlte. Ihr Mann habe alles kontrolliert, er durfte nichts merken. Als er am nächsten Morgen wegfuhr, brachte ein Taxi Gremel und ihre Kinder in das Frauenhaus. Zu ihrem Schutz sind die Namen Pseudonyme und Orte bleiben ungenannt.

Im Frauenhaus war es zunächst besser als erwartet. „Ich war bereit mit mehreren Familien auf dem Boden zu schlafen“, sagt Gremel. Doch sie bekamen zwei eigene Zimmer. Die Mitarbeiterinnen unterstützten sie. Sie waren in Sicherheit – zumindest körperlich. Denn: „Ich bin von einer Hölle in die nächste“, sagt Gremel. Gremel sollte für ihren Aufenthalt selbst bezahlen – 160 Euro pro Tag, etwa 4.800 Euro im Monat. Dazu kamen Stromkosten, Kaution und Essen. „Wenn ich das zu Anfang erfahren hätte, wäre ich direkt wieder gegangen“, sagt Gremel.

Wer keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat, zahlt selbst

Zurück zur Gewalt, weil das Frauenhaus zu teuer ist? Diese Abwägung betrifft in Deutschland viele Frauen, die unter Gewalt leiden. Laut dem Verein Frauenhauskoordinierung (FHK) musste jede vierte Frau 2022 für ihre Notunterkunft voll oder anteilig bezahlen. Frauenhäuser sind je nach Bundesland und Kommune unterschiedlich finanziert.

In den meisten Fällen wird der Aufenthalt über den Bezug von Sozialleistungen der Betroffenen abgedeckt, also über das Bürgergeld oder andere Leistungen zur Existenzsicherung. Wer darauf jedoch keinen Anspruch hat, muss den Aufenthalt selbst bezahlen. Zu dieser Gruppe zählen etwa Studierende, Personen mit Einkommen oder Besitz und bestimmte Gruppen von EU-Ausländer*innen.

Ema Gremel fühlt sich vom deutschen Staat im Stich gelassen: „Betroffene müssen noch draufzahlen, wenn sie Gewalt erleben.“ Gremel hat keinen Anspruch auf Sozialleistungen, weil ihr Mann unter ihrem Namen ein Haus gekauft hatte. Damit hat sie Mieteinnahmen und Besitz. Die Mieteinnahmen gehen jedoch schon drauf für Versicherungen und das Abzahlen des Hauskredits.

Um Sozialhilfe zu erhalten, müsste sie zudem das Haus verkaufen. Doch darin wohnt immer noch ihr Mann. Eine Räumungsklage dauert Monate, An­wäl­t*in­nen und Gutachten kosten Geld. Also arbeitete Gremel während ihres Aufenthaltes im Frauenhaus weiter als Reinigungskraft. „Gott sei Dank war ich dafür stark genug“, sagt sie. In der Öffentlichkeit und bei der Arbeit musste sie sich verstecken. Ihr Mann habe überall gesucht, Hotels abgeklappert, Bekannte angerufen.

Unterstützung von Jobcenter-Mitarbeiterinnen

Die Unsicherheit hinterlässt Spuren. „Ich habe schlecht geschlafen, da war nur Unruhe, Sorgen und Nervenzusammenbruch“, sagt Gremel. Ihre Kinder versuchten über Freun­d*in­nen an eine Wohnung zu kommen. Sogar eine Ferienwohnung wäre günstiger gewesen als das Frauenhaus.

Mit Unterstützung der Mitarbeiterinnen vor Ort kämpfte sie dafür, dass das Jobcenter ihren Aufenthalt doch bezahlt. Die Mitarbeiterinnen gaben ihr Mut. Sie versprachen ihr, eine Lösung zu finden und dass Gremel auch, solange sie noch nicht bezahlen könne, im Frauenhaus bleiben dürfe.

Das ist auch die Botschaft, die viele Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern, mit denen die taz sprach, vermitteln wollten: Jede Frau solle sich erstmal in Sicherheit bringen, dann finde man gemeinsam eine Lösung. Doch das Problem bleibt. „Man hat sein Leben in Koffern, nur noch das Allernötigste, und dann muss man auch noch die Kraft haben, das Jobcenter zu überzeugen. Das ist nicht menschlich“, sagt Gremel.

Kurz vor ihrem Auszug sagte das Jobcenter dann zu, sie finanziell zu unterstützen. Ob es die Kosten komplett übernimmt oder das Geld nur als Darlehen vorgestreckt hat, weiß Gremel bis heute nicht. Sie zeigt eine Rechnung über ihren Aufenthalt: über 11.000 Euro.

Leere Worte der Bundesregierung

Die letzte Bundesregierung versprach bereits Verbesserungen. Auch die Ampel schrieb in ihren Koalitionsvertrag: „Wir werden das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen.“ Passiert ist bisher wenig.

Und nicht nur die Betroffenen stürzt die fehlende bundesweite Regelung in Unwägbarkeiten. Auch die Mit­ar­bei­te­r*in­nen belastet das ständige Ringen um Geld. Beatrice Tappmeier kennt das Problem gut. Die 60-Jährige arbeitet seit 34 Jahren im autonomen Frauenhaus Bielefeld und ist Teil der Kampagne „Rauf die Plätze“, die die Lage der Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen verbessern will. „Unser Anspruch ist, jede Frau aufzunehmen, wir wollen nicht erstmal nachfragen, ob jemand sich das leisten kann“, sagt Tappmeier. „Die Unsicherheit führt zu zusätzlichen Existenzängsten.“

Das betrifft nicht nur Frauen ohne Arbeit oder diejenigen, die aus einer prekären Arbeitssituation kommen. Denn zur Sicherheit der Betroffenen kommen die Frauen meistens in Frauenhäusern außerhalb ihres Wohnortes unter. Ihren Job müssen sie deswegen oft aufgeben. Doch auch Tappmeier ist wichtig zu betonen, dass die Frauen trotzdem ins Frauenhaus kommen sollen. „Wir finden immer irgendwie Lösungen“, verspricht sie.

Ihr Haus habe etwa eine individuelle Vereinbarung mit dem örtlichen Sozialreferat, um in Härtefällen Betroffene umsonst aufnehmen zu können. Doch solche Vereinbarungen können jederzeit kippen. Auch Tappmeier fordert deswegen eine einheitliche bundesweite Finanzierung. „Jeder Gefängnisplatz ist staatlich finanziert, aber ein Frauenhausplatz kostet Geld“, sagt Tappmeier. „Es wäre schön, wir bräuchten keine Frauenhäuser, aber wir brauchen sie, das gehört zur Daseinsvorsorge.“

Tagessatz zwischen 25 und 100 Euro pro Person

Für eine einheitliche Finanzierung setzt sich auch die Frauenhauskoordinierung (FHK) schon seit Jahren ein. Dabei tauchen in ihrer Statistik nur die Frauen auf, die es trotz drohender Kosten ins Frauenhaus schaffen. „Wie viele Frauen aufgrund der zahlreichen Zugangshürden gar nicht erst den Weg ins Frauenhaus suchen oder abgewiesen werden müssen, wird statistisch nicht erfasst“, schreibt FHK-Vorstandsvorsitzende Christiane Völz in einer Pressemitteilung Mitte November.

Der Tagessatz für einen Aufenthalt im Frauenhaus liegt etwa zwischen 25 und 100 Euro pro Person. Derzeit schieben sich wohl Bund, Länder und Kommunen gegenseitig die Verantwortung über eine einheitliche Finanzierung zu.

Das einzige Land, das aktuell die Kosten für Frauenhäuser komplett übernimmt, ist Schleswig-Holstein. „Schleswig-Holstein gilt oftmals als Leuchtturm, weil die Frauenhäuser dort langfristig über ein Landesgesetz abgesichert sind“, sagt FHK-Sprecherin Elisabeth Oberthür. Das zuständige Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein schreibt auf Anfrage: „Dieses Modell wurde 1996 etabliert, um regionale Verwerfungen, aber auch qualitative Unterschiede zu vermeiden.“ Gewalt gegen Frauen höre aber nicht an der Landesgrenze auf. „Wir brauchen in ganz Deutschland ausreichend finanzierte Frauenhaus- und Beratungsstrukturen“, so eine Sprecherin.

Zuständig dafür ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von Ministerin Lisa Paus (Grüne). Ein Ministeriumssprecher schreibt auf Anfrage, es stehe außer Frage, dass ein bedarfsgerechtes Hilfesystem zum Schutz und zur Beratung bei Gewalt notwendig sei. Derzeit arbeite das Ministerium an einem Gesetzentwurf. „Ziel ist, das Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode zu verabschieden“, schreibt der Sprecher.

Kein Ende der Folgen der Misshandlungen in Sicht

Ema Gremel hat nach vier Monaten im Frauenhaus über einen Auftraggeber beim Putzen eine Wohnung bekommen. Die sei mit 850 Euro im Monat zwar teuer, aber wesentlich günstiger als die knapp 5.000 Euro im Monat für das Frauenhaus. Doch mit dem Auszug unterstütze das Jobcenter sie nicht mehr finanziell.

Es sind jetzt eineinhalb Jahre, seit Gremel mit ihren Kindern vor ihrem gewalttätigen Mann geflohen ist. Ein Ende der Folgen seiner Misshandlungen sind nicht in Sicht. Er wohnt immer noch in der ehemals gemeinsamen Wohnung in Gremels Haus. Die Räumungsklage sei in Arbeit, aber er weigere sich die Wohnung zu verlassen, sagt Gremel. Er habe Mie­te­r*in­nen drangsaliert, dass sie die Mietzahlungen einstellen, die Heizung abgestellt, Hand­wer­ke­r*in­nen verscheucht und Türen zerstört. Er scheint Gremels Mie­te­r*in­nen vergraulen zu wollen. „Er will mich so in die Enge treiben, dass ich bettelnd zurückkomme“, sagt Gremel.

Gremel hat eine Verfügung gegen ihren Ex-Mann erwirkt. Am 18. Geburtstag ihrer ältesten Tochter sei er dennoch zur Polizei gegangen und habe gedroht: „Ich scheiße auf eure Verfügung, ich werde zu meiner Tochter und zu meiner Frau gehen.“ Eine Zeit lang hatte sie dann Ruhe vor ihm. Weil er so viel Druck beim Jugendamt, bei der Polizei und bei den Gerichten gemacht habe, sei er bis zur nächsten Gerichtsverhandlung in die geschlossene Psychatrie gekommen.

Gremel hat Angst. Ihr Ex-Mann weiß jetzt, wo sie wohnt. „Wenn er rauskommt, das wird das Schlimmste. Dann ist er sauer und wird noch mehr eine Gefahr für uns“, sagt sie. Die Polizei werde ihr nicht helfen können. „Wenn er kommt, dann kommt er“, sagt sie. In solch einer bedrohlichen Situation auch noch finanziell unter Druck zu stehen, sei eine enorme zusätzliche Belastung. „Keine Frau geht freiwillig ins Frauenhaus, das ist die allerletzte Option, wenn man gezwungen ist“, sagt Gremel. „Für solche Frauen sollte es leichter werden.“

Aktualisiert am 10.01.2024 um 14:00 Uhr. d. R.

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