Pläne gegen Gewalt an Frauen: Das Schweigen brechen

Familienministerin Lisa Paus trifft sich mit Aktivistinnen, um zu beraten, wie Frauen besser geschützt werden können: Die Täter kommen ins Visier.

Eine Mutter hält ihren Sohn im Arm und blickt aus den Fenster

Frau S. lebt mit ihren beiden Kindern in einem Frauenhaus Foto: Funke Foto/imago

BERLIN taz | Die Täter müssen ins Visier. Statt sich damit zu befassen, warum Frauen in gewaltvollen Beziehungen bleiben, müssten ganz andere Fragen gestellt werden, etwa: Warum schlagen Männer? Und wieso schauen alle weg? Das fordert Anna Sophie Herken, Mitgründerin der privaten Initiative #DieNächste am Donnerstag auf der Pressekonferenz mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Das Treffen findet anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen, am 25. November, statt.

Gemeinsam mit 75 Organisationen, unter anderem UN Woman, Zonta und One Billion Rising, übergibt Herken das Manifest „Wir ALLE gegen Gewalt an Frauen“ der Bundesfamilienministerin. „Wir alle stehen in der Pflicht, Gewalt nie gleichgültig gegenüberzustehen. Und ich lade jede und jeden dazu ein, sich an unsere Seite zu stellen und klar Position gegen Gewalt an Frauen zu beziehen“, sagt Herken.

Gegründet von drei Mittelschichtfrauen, die in der Vergangenheit selbst häusliche Gewalt erlebt haben, will #DieNächste das Thema breiter öffentlich bewusst machen, mit Klischees brechen und zeigen, dass das Thema Frauen aller Schichten betreffen kann und keine soziale Frage ist.

Die Mitglieder der Initiative haben ganz unterschiedliche Hintergründe, so arbeiten sie wie Herken als Aufsichträt*innen, aber auch Po­li­zis­t*in­nen und Ver­käu­fe­r*in­nen sind dabei. „Es gibt kein typisches Opfer von häuslicher Gewalt“, sagte die Initiatorin der Bewegung. „Sie alle kennen viele Täter und viele Opfer“.

Ein Recht auf Hilfe

Familienministerin Paus sagt, sie sei dankbar, dass #DieNächste mit den Vorurteilen aufräume, dass geschlechtsspezifische Gewalt vorrangig in gesellschaftlichen Randgruppen vorkomme. Nicht alle Gewaltbetroffenen erhielten die Hilfe, die sie bräuchten, sagt Paus. Mit einem Gewalthilfegesetz will die Bundesfamilienministerin, dass jede von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffene Frau mit ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung erhält. Details nennt sie am Donnerstag nicht.

Das bundesweite Hilfetelefon gegen Gewalt ist rund um die Uhr unter der Nummer 08000 116016 erreichbar, die Berliner BIG-Hotline von 8 bis 23 Uhr unter 030 6110300 und die Kinderschutzhotline unter 0800 1921000. Zusätzlich können sich Frauen an Fachberatungsstellen wie Lara, Wildwasser und LesMigras wenden.

Noch steht solch ein Gesetz in weiter Ferne. Am runden Tisch mit Ländern und Kommunen hat Paus am Mittwoch ihren ersten Entwurf vorgestellt. Die Kosten würden Ende des Jahres vorliegen, sagt Paus. Wenn diese geklärt sind, hofft Paus Anfang nächsten Jahres konkreteres vorstellen zu können. Dennoch gibt es noch Verbesserungsbedarf. Bereits am Mittwoch kritisierte Bremens Frauensenatorin Claudia Bernhard (Linke) das Eckpunktepapier. Es sei zu vage und richte den Fokus zu wenig auf betroffene Frauen.

Mit dem Gewalthilfegesetz, so Paus, werde die Bereitstellung des Hilfesystems zur Pflicht des Staates. Beratungsstellen und Frauenhäuser sollten unabhängig von Wohnort, Einkommen, Beeinträchtigung oder Aufenthaltsstatus zugänglich sein.

Vulnerable Gruppen mitdenken

Wie wichtig das ist, darauf weist auch der Verein Frauenhaus-Koordinierung anlässlich des 25. Novembers hin. Der Zugang zu Hilfe sei für vulnerable Gruppen besonders schwer. „Nur inklusiver Gewaltschutz ist wirksamer Gewaltschutz“, sagt Vorstandsvorsitzende des Vereins Christiane Völz. Wenn Deutschland die Anforderungen der Istanbul-Konvention erfüllen wolle, müsse Inklusion von Anfang an als grundlegende Anforderung mitgedacht werden – auch finanziell.

Im Jahr 2022 wurden in Deutschland laut Lagebericht des Innenministeriums 126.349 Frauen Opfer von Gewalt in ihrer Partnerschaft. Insgesamt waren es rund 158.000 Fälle von Gewalt 2022, ein Anstieg von etwa 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Paus kündigte am Donnerstag eine Dunkelfeldstudie gemeinsam mit dem Innenministerium an.

In Deutschland gibt es in etwa 6.800 Frauenhaus-Plätze, weitere 14.000 fehlen, wenn Deutschland die Vorgaben der Istanbul-Konvention einhalten will. Die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, ist Deutschland 2018 beigetreten. Diese sieht vor, dass pro 10.000 Ein­woh­ne­r*in­nen 2,5 Plätze im Frauenhaus bereitgestellt werden.

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