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Nur noch Parkplätze für AnwohnerHerr Begemann geht vor Gericht

Der Bewohner eines autoarmen Viertels in Altona möchte seinen Wagen in der benachbarten Anwohnerparkzone abstellen. Dafür provoziert er einen Prozess.

Autoreduziert: Straßenzug in der (Neuen) Mitte Altona Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Joachim Begemann sitzt vor dem Saal 101 des Amtsgerichts Altona und wartet auf einen großen Auftritt. Er hält Schriftstücke und Fotos in Klarsichtfolie bereit, hat seine Frau als Unterstützerin mitgebracht und die Presse eingeladen.

Der Rentner hat Einspruch gegen eine Reihe von Strafzetteln erhoben. Jetzt will er erklären, was ihn dazu getrieben hat, immer wieder falsch zu parken. Es ist ein Mini-Feldzug gegen die rot-grüne Verkehrspolitik in Hamburg – auch wenn Begemann das abstreiten würde.

Im Mai 2020 ist Joachim Begemann mit seiner zu 50 Prozent gehbehinderten Frau in das autoarme Neubauviertel Mitte Altona gezogen, wie er erzählt. Obwohl Eigentümer eines Kleinwagens, habe er auf einen der wenigen Tiefgaragenplätze verzichtet – „zu gunsten unserer vielen Familien mit Kindern“. Schließlich hätten die Familien einen viel größeren Transportbedarf als er. Für seine Baugemeinschaft ist ein Tiefgaragenplatz auf vier Wohnungen vorgesehen.

Begemann ging davon aus, dass er sein Auto in der Nachbarschaft parken könnte. Im Dezember 2020 wurde das Nachbarquartier allerdings zum Bewohnerparkgebiet erklärt. Solche Sperrzonen werden eingerichtet, um in dicht bebauten Gebieten mit vielen Autos und wenig Platz sicherzustellen, dass die Anwohner in der Näher ihrer Wohnungen Parkplätze finden.

Vom Anwohnerparken überrascht

Wer in so einem Gebiet nicht wohnt, kann allenfalls ein Tagesticket kaufen, sein Auto also nicht über Nacht abstellen. Das Anwohnerparken sei „überraschend“ eingeführt worden, kritisiert Begemann, „ohne uns Neue-Mitte-Altona-Anwohner zu informieren“.

Dass er in der Nachbarschaft nicht mehr parken darf, bewertet Begemann als „unsozial, familien- und behindertenfeindlich“. Es verstoße „grob gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz“, schreibt er in einer Petition, die er von den Mitgliedern seiner Baugemeinschaft unterzeichnen lassen will. Das Verbot für die Neue-Mitte-Bewohner das Bewohnerparkgebiet zu nutzen, müsse aufgehoben werden.

Natürlich finde er es „völlig richtig, Städte autoarm zu gestalten“, versichert Begemann. Autoreduziert zu wohnen, habe er sich aber nicht ausgesucht – das habe sich mit dem Grundstück so ergeben, das der Senat seiner Baugemeinschaft Flickwerk angeboten habe.

In seiner derzeitigen Lebenssituation sei jedoch ein völliger PKW-Verzicht kaum machbar, argumentiert Begemann. Schließlich habe er eine 92jährige Mutter auf dem Lande in Ostwesfalen-Lippe, die er regelmäßig besuche, eine gehbehinderte Frau und ab und zu einen Wocheneinkauf zu machen. Einen Mietwagen zu nehmen oder Carsharing zu nutzen, sei ihm als Rentner und mit seinem abgeschriebenen Kleinwagen zu teuer, sich ein Auto mit andern zu teilen unangenehm und der Weg ins nächste Parkhaus zu weit.

In seiner Not wich Begemann ins wenige Hundert Meter entfernte Gewerbegebiet aus – und weil er da nicht der einzige ist, stellte er seinen Wagen ein paar Male neben den gepflasterten Parkplatz. Die Stelle, auf der regelmäßig geparkt wird, könnte genauso gut zum Parkplatz gehören, bloß, dass sie nicht befestigt ist. „Da, wo Sie geparkt haben, hätte ich wohl auch geparkt“, räumt die Richterin ein.

Richterin macht kurzen Prozess

Trotzdem: In puncto Illegalität gebe es kein Vertun. Die Richterin macht Begemann ein Angebot: Zum ersten Parkverstoß werde sie das Verfahren einstellen; möglicherweise sei Begemann ja nicht bewusst gewesen, dass er dort nicht parken dürfe. Die weiteren Verstöße werde sie zu einem zusammenfassen – davon ausgehend, dass Begemann mehrere Strafzettel erhielt, während er das Auto falsch geparkt stehen ließ. Wenn er den Einspruch dagegen zurücknehme, käme er mit 25 Euro Verwarngeld und den Kosten des Verfahrens davon.

Begemann schlägt ein, ein bisschen enttäuscht. Schließlich hätte er dem Gericht ja gerne seine Position vorgetragen. Die Klarsichtfolien dazu hat er vor sich auf dem Tisch. Das Angebot, seine Petition zu den Akten zu nehmen, schlägt die Richterin aus.

Würde er wieder an der beanstandeten Stelle parken? – Ja, wenn es die Not gebiete, sagt er vor dem Saal. „Ich habe das Problem, dass ich ein Auto besitze, das ich nicht in Luft auflösen kann.“ Gegen künftige Knöllchen würde er auch wieder Einspruch einlegen. Man sieht sich wohl wieder vor Gericht.

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10 Kommentare

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  • Mal wieder das Anspruchsdenken, dass die Solidargemeinschaft kostenlose oder günstige Parkplätze anbieten müsse. Wenn er legal parken will, soll er sich halt nen Stellplatz in seinem Quartier mieten. Oder er geht zur Stadt und versucht auf dem demokratischen Weg das Zonen für Menschen wie ihn eingerichtet werden falls er sich dafür berechtigt. Bin ich auch oke mit, Menschen mit Behinderung oder deren Pflegende verdienen auch in der Hinsicht unterstützt zu werden.

  • Was mir überhaupt nicht klar ist, gibt es in seinem Quartier kein Anwohner-Parken. Oder was bedeutet die Bezeichnung autoarmes Neubaugebiet.

  • "Ich parke hier aus Notwehr"..

    titelt die Hamburger Morgenpost zum selben Vorgang.

    Es ist schon bemerkenswert mit welcher Haltung so mancher Autobesitzer Gesetze in seinem/ihrem (selbstgerechten) Sinne auslegt. Denn es ist nicht das verbriefte Recht eines Jeden sein/ihr Auto überall abzustellen. Weder auf Fahrradwegen noch Gehwegen noch in Parks usw..

    Dass es dennoch geradezu normal ist, die Rechte seiner Mitmenschen zu mißachten, sofern es sich dabei um "schwächere" Verkehrsteilnehmer handelt spricht Bände.

    über die Intereessen von Fahhradfahren kann man sich also hinweg setzen



    ebenso über die Interessen von Fußgängern



    das gleiche gilt für die Klimafolgen und damit den Rechten der nachfolgenden Generationen..

    Ganz offensichtlich führt die Identifikation mit dem privaten PKW zu einer Haltung bei der sich sich so mancher meint -über- die Interessen der Anderen erheben zu dürfen.

    Mit anderen Worten:

    (Privat) Autofahren macht: -- überheblich --

    ..jedenfalls in diesem Land.

    • @Wunderwelt:

      ...Sie differenzieren Privat - & Geschäftsfahrer - intressant - woran unterscheiden sich denn ihrer Meinung nach - die Fahrzeuge und deren Fahrzeugführer, optisch ?

      • @Alex_der_Wunderer:

        Falls Sie darauf anspielen..

        ..ich unterscheide nicht zwischen Privat- und Geschäftsfahrern, sondern zwischen Menschen die einen PKW (besitzen und sich folglich damit identifizieren) und Menschen die den ÖPNV und dabei ausdrücklich auch Carsharing nutzen.

        Das mag auf ersten Blick keinen Unterschied machen, ob man nun ein oder (sein) Auto fährt..ist aber bei genauerer Beobachtung DER Schlüssel zu den meisten Problemen der Verkehrswende führt.

        Denn nicht wenige User fahren eben nicht das Auto was sie Brauchen (mit kleinen Autos ist man nämlich genau so schnell unterwegs, findet aber z.B. leichter einen Parkplatz), sondern das Auto was sie WOllEN. Und die Gründe dies zu wollen, dienen halt in erster Linie der Bequemlichkeit oder der "Potenzsteigerung", in jedem Fall aber egoistischen Motiven.

        Rein persönliche Interessen über die Interessen Anderer bzw. der Allgemeinheit zu stellen..und ausdrücklich auch noch Gerichtsurteile zu ignorieren, lässt auf eine höchst problematische Haltung schließen..

        Und daraus leite ich dann auch meine These ab:

        -> die Identifikation mit dem eigenen.! PKW führt bei so manchem Zeitgenossen zu einer Haltung, sich über die Interessen anderer hinweg zu setzen.

        Und in diesen Zusammenhang muss dann auch das Verhalten des Klägers in diesem Fall eingeordnet werden..

        • @Wunderwelt:

          ...ok - " Potenzsteigernd " ...schmunzel - ansonsten feine Antwort - thx



          ...bleibe dennoch bei meiner ( Kommentar weiter unten ) Sichtweise auf die Problematik.

    • @Wunderwelt:

      Artikel gelesen? Hier wurde einem der Schwächeren (nein, KEIN Dickschiff-sinnlos-durch -die-Gegend-Fahrer), -nach eigener Aussage mit sozialer Ader (Zurückstellen des eigenen früheren Anrechts zugunsten von Familien) -ohne Alternativbereitstellung von heut auf morgen der Stecker gezogen. Einfach Gentrifizieren des Wohnviertels ist natürlich auch ne Lösung, willkommen in Asozialhausen!

  • Niemand, der sich ein Boot kauft, käme auf die Idee, dass er das einfach irgendwo liegen lassen kann. Das muss beim Auto endlich auch so werden!



    In Japan muss man beim Autokauf einen Stellplatz nachweisen, einfach irgendwo an der Straße parken geht nicht. Kein Stellplatz, kein Auto.



    Wie viel schöner unsere Straßen und Städte wären, wenn nicht alles zugeparkt wäre. Ganze Stadtviertel sind von den allgegenwärtigen parkenden Autos komplett verschandelt. Ganz abgesehen von dem Raum, den die ganzen, nahezu fast die ganze Zeit nicht bewegten, Autos einnehmen, der anderweitig genutzt werden könnte...

    • @DonkeeeyKong:

      ...ich gehe mit Ihnen Konform - jedoch scheint - nicht nur in diesem speziellen Fall - die Kommunikation der Stadt, respektive des Senats, nicht mit seinen Bürgern zu funktionieren. Einbeziehen der betroffenen Bürger / Anwohner , mindestens durch Informations Veranstaltungen und eine gewisse Vorlaufzeit bei der Gestaltung der neuen Rechtslage des betreffenden Wohnviertel, halte ich schon aus Respekt gegenüber allen Beteiligten für ein Mindestmaß an Anständigkeit.

      • @Alex_der_Wunderer:

        Womöglich war diese Einführung des Anwohnerparkens im benachbarten Viertel einfach schon geplant, als das neubauviertel fertig wurde. Sowas hat ja bekanntlich eine lange Vorlaufzeit.



        Wer in ein autoarm geplantes Viertel zieht, sollte schon eine gewisse Offenheit für Alternativen zum eigenen Auto mitbringen.