piwik no script img

Treffen der EU-VerteidigungsministerZu wenig, zu spät für die Ukraine

Bei der Produktion von Granaten für Kyjiw kommt die EU nicht hinterher. Auch die Finanzierung von Waffen mit einem Militärhilfefonds bereitet Probleme.

Brüssel, 14.11.: Boris Pistorius am Rande des Treffens der EU-Verteidigungsminister Foto: Virginia Mayo/ap

Brüssel taz | Es ist ein Scheitern mit Ansage: Die EU wird ihr groß angekündigtes Ziel, der Ukraine bis zum Frühjahr eine Million Granatengeschosse zu liefern, nicht erreichen. Dies sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius am Dienstag bei einem Treffen mit EU-Amtskollegen in Brüssel. Auch die Finanzierung von Waffen für Kyjiw macht Probleme.

„Die eine Million werden nicht erreicht. Davon muss man ausgehen“, sagte Pistorius. Die Produktion komme nicht hinterher, die Kapazitäten reichten nicht aus. Deutschland habe zwar mit dem Abschluss von Rahmenverträgen dazu beigetragen, dass die Kapazitäten vergrößert werden können, erklärte Pistorius. Es gebe aber auch Grenzen.

Die Produktionsprozesse seien, „wie sie sind“, so Pistorius. Selbst wenn Deutschland oder die EU auf Kriegswirtschaft umstellen würde, werde die Produktion nicht schneller anspringen. Dies liege unter anderem am Pulver für die Granaten. Bevor das Pulver überhaupt in die Granaten kommt, müsse es sechs Monate trocknen.

Bisher liegt die EU weit hinter dem Plan. Von den im März versprochenen eine Million Geschossen wurden nach Angaben von EU-Chefdiplomat Josep Borrell erst 300.000 geliefert. Er halte dennoch weiter am vereinbarten Granaten-Ziel fest, sagte Borrell. Demgegenüber betonte Pistorius, er habe von Anfang an Zweifel gehabt. Die Industrie brauche mehr Zeit.

Zu viele Zusagen, zu kleine Produktion

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Rüstungskonzerne wie Rheinmetall auf feste Zusagen der Politik gewartet haben, bevor sie ihre Produktion hochfuhren. Ein weiteres Problem ist, dass viel in den Export geht. Etwa 40 Prozent der Produktion werde derzeit in Drittländer exportiert, sagte Borrell. Kritik kam auch von EU-Industriekommissar Thierry Breton.

Der Franzose sagte, die EU-Staaten müssten sicherstellen, dass die Produktion, die auf ihrem Territorium stattfinde, vorrangig für die Ukraine bestimmt sei. Dies lässt sich als heftiger Seitenhieb auf Deutschland lesen. Die Düsseldorfer Firma Rheinmetall gilt als größter Produzent in der EU – und als größter Exporteur.

Breton verwies zudem auf ein eigens aufgelegtes europäisches Beschaffungsprogramm namens „ASAP“. Das Akronym steht für „so schnell wie möglich“. Doch nun stellt sich heraus, dass es für die Ukraine nicht schnell genug geht. Der lettische Verteidigungsminister Andris Spruds forderte in Brüssel mehr „Ehrgeiz und Ambitionen“.

Probleme gibt es auch mit der Waffenbeschaffung und deren Finanzierung. Borrell hatte vorgeschlagen, einen gemeinsamen Militärhilfefonds für die Ukraine um 20 Milliarden Euro zu erhöhen. Dies kündigte der EU-Außenbeauftragte bei einem informellen Treffen der Außen- und Verteidigungsminister im September in Toledo (Spanien) an. Dies lehnt jedoch Deutschland ab – Berlin setzt lieber auf bilaterale Hilfe. Die deutsche Militärhilfe werde 2024 von derzeit 4 auf 8 Milliarden Euro verdoppelt, sagte Pistorius.

Damit verbunden ist die Erwartung, dass andere EU-Länder dem deutschen Beispiel folgen. Doch bisher sieht es nicht danach aus. Borrell will nun vor dem nächsten EU-Gipfel Mitte Dezember einen neuen Vorschlag unterbreiten. Doch auch dies könnte zu spät kommen – zumal Ungarn und die Slowakei neue Waffenhilfen für die Ukraine ablehnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Welche Katastrophe das für Europa bedeuten wird, wenn Putin aus diesem Krieg als Sieger hervorgeht, werden viele wohl erst kapieren, wenn es soweit ist. Gebt den Ukrainern endlich alles, was sie für einen Sieg brauchen!

    • @Bonugu:

      Leider verstehen immer noch viele Menschen nicht, dass es fast unmöglich ist ein großes Land wie Russland zu besiegen.

      Historisch gesehen was das immer so. Und leider verbessert sich Russland auch immer ziemlich schnell in kriegen.

      Und selbst wenn; was wäre das Resultat?



      Russland wurde schon Mal 1991 nicht militärisch besiegt und man hat es verpasst Russland in eine europäische Sicherheitsstruktur einzuordnen.



      Denken Sie man würde es dieses Mal machen, wenn Russland verliert!?



      Die Geschichte würde sich wiederholen.

      • @Alexander Schulz:

        " Leider verstehen immer noch viele Menschen nicht, dass es fast unmöglich ist ein großes Land wie Russland zu besiegen.

        Historisch gesehen was das immer so. Und leider verbessert sich Russland auch immer ziemlich schnell in kriegen."

        Tatsächlich hat Russland viele Kriege verloren, auch gegen kleinere Gegner. Sowieso ist diese historische Betrachtung Unsinn, das ist weder der 2te Weltkrieg noch der Russisch-Japanische Krieg, es ist ein Krieg im 21sten Jahrhundert. Ja Russland passt sich an aber das tut die Ukraine auch bisher deutlich erfolgreicher.

        "Und selbst wenn; was wäre das Resultat?" Russland ist gezwungen sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Sie sitzen hinter ihren eigenen Grenzen und reflektieren über ihre Niederlage was dann dazu führt das es ein großes Nordkorea wird oder es zu politischen Veränderungen kommt. Die Ukrainer werden nicht ihre Freiheit aufgeben nur weil sie Angst haben was nach einem ukrainischen Sieg kommt.

        "



        Russland wurde schon Mal 1991 nicht militärisch besiegt und man hat es verpasst Russland in eine europäische Sicherheitsstruktur einzuordnen." Es gab des NATO-Russland Rat, man hat Russland wirtschaftlich eingebunden und integriert. Selbst nach der Krimbesetzung und dem Krieg gegen die Ukraine seit 2014 hat man mit Russland gehandelt.

        "Die Geschichte würde sich wiederholen." Tragisch für Russland den diesmal wäre der Westen nicht so naiv und Russland würde sich ärmer, mit hundertausenden Toten, Verwundeten und Traumatisierten wiederfinden de facto Tankstelle Chinas während die Jugend westwärts wandert.

  • Es ist ja jetzt schon bei den indireken und direkten Kosten jede Verhältnismäßigkeit verloren gegangen.

    Bei einer langfristigen Politik würde man auf Diplomatie setzen. So langsam scheint sich die Stimmung in der Urkaine zu drehen. So propagiert zb der zweitbeliebteste ukrainische Politiker der Urkaine für eine Abkehr vom militärischen Lösungsansatz

    meduza.io/en/featu...nto-putin-s-russia

    Letztendlich sind die ukrainischen Menschen leider aber sowieso der große Verlierer, egal wie der Krieg ausgeht.



    Der Wiederaufbau wird hunderte Milliarden Euro kosten und die USA haben schon deutlich gemacht, dass sie andere in der Pflicht sehen beim Wiederaufbau und das die EU einstimmig dafür stimmt den Wiederaufbau zu bezahlen ist sehr unwahrscheinlich.



    Und konfesiertes russisches Vermögen kann man aus juristischen Gründen auch nur bedingt nutzen (höchsten die Zinsen).



    Da Sie ja erfreulicherweise für eine langfristige Politik eintretten; was wären denn ihre alternativen realistischen Vorschläge um zu verhindern, dass die Urkaine auf Jahrzehnte das Armenhaus Europas wird?

    • @Alexander Schulz:

      "Bei einer langfristigen Politik würde man auf Diplomatie setzen."



      Ich mag ja diese Null-Aussagen.



      Mit welcher Diplomatie würden Sie denn Russland begegnen wollen, das zur Aufnahme von Verhandlungen faktisch die Kapitulation fordert?

      • @Encantado:

        Diese Beitrag sollte eigentlich eine Antwort auf Machiavellis Beitrag (siehe unten) sein, ist aber anscheinend verrutscht

        Die Themen über die bei den Istanbuler Verhandlungen gesprochen wurden untermauern Ihre These nicht. Ich denke, dass der Abbruch der Verhandlungen ein sehr großer Fehler war.



        Um so länger der Krieg dauert um so ungünstiger werden die Konditionen vermutlich für die Urkaine - Russland weiß ja leider auch, dass die Zeit für Russland spielt.

        • @Alexander Schulz:

          Die warne im März '22 in zentralen Punkten hat man sich nicht geinigt, dann hat Russland 4 Oblaste annektiert obwohl sie wussten das damit die Verhandlungen rum sind. Seitdem insistiert Russland auf Kapitulation vor Verhandlungen.

          Und wenn Russland weis das die Zeit für sie spielt warum dann verhandeln? Weil Putin soviel am Leben seiner Einwohner liegt? Glauben sie er lässt es sich entgehen Millionen mehr Bürger und die ukrainische Rüstungsindustrie zu holen?

          • @Machiavelli:

            Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass Russland weniger den Frieden braucht als die Ukraine.



            Sie haben Recht nach die "Annekion" der 4 Oblaste war natürlich sehr kontraproduktiv. Genau deswegen war es ja auch fatal, dass Fenster davor nach der erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive nicht besser zu nutzen.



            Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass Russland weniger den Frieden braucht als die Ukraine.



            In den zentralen Punkten hatte man sich in Istanbul geeinigt. Es ging noch um Details. Natürlich gab es keine Garantie, dass der Vertrag eingehalten werden würde. Trotzdem wäre es vernünftig gewesen dieses auszuprobieren!



            Letztendlich sinkt die Chancen von Tag zu Tag auf Verhandlungen und ob Putin nochmal ersthaft verhandeln wird kann niemand genau wissen. Leider haben hohe Generäle wie Milley von Anfang Recht mit ihren Einschätzungen gehabt.

            • @Alexander Schulz:

              "Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass Russland weniger den Frieden braucht als die Ukraine." Russland braucht den Frieden gar nicht, für Putin ist ein dauerhafter Kriegszustand perfekt. Er hat Burgfrieden daheim, all die Probleme die Russland hat: Korruption, arme und diskriminierte Minderheiten, Spannung zwischen Center und Peripherie, alle diese Probleme kann man unter den Teppich kehren während Krieg ist.

              "Genau deswegen war es ja auch fatal, dass Fenster davor nach der erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive nicht besser zu nutzen." Falls es so ein Fenster gab, manche wie Milley hatten gehofft es würde sich eines öffnen scheint aber nicht so gewesen zu sein.

              " Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass Russland weniger den Frieden braucht als die Ukraine." Die Ukraine braucht echten Frieden: Freiheit für die Menschen, Freiheit sich Bündnisse und wirtschaftliche Ausrichtung selber aussuchen zu können und Sicherheit das Russland in ein paar Jahren nicht wieder angreift. Diesen Frieden gibt es derzeit nicht als Möglichkeit.

              "In den zentralen Punkten hatte man sich in Istanbul geeinigt. " Status der Krim und des Donbas war man sich nicht einig. "Natürlich gab es keine Garantie, dass der Vertrag eingehalten werden würde." Erfahrungswerte sagen Russland hätte sich nicht daran gehalten und wie gesagt zentrale Punkte waren strittig.

              "ob Putin nochmal ersthaft verhandeln wird kann niemand genau wissen." Er hat Schulbücher drucken lassen in denen Zaporizja und Cherson Teil Russlands sind, in den besetzen Gebieten werden ukrainische Nachnamen als Ausdruck von Nazismus bezeichnet. Ich sehe null Indikatoren das Putin bereit ist für Frieden. Der Krieg ist zu toll, die Aussicht den Krieg irgendwann gewinnen zu können zu groß.

              • @Machiavelli:

                Ich möchte Ihnen jetzt nicht wieder ausführlich dalegen warum Ihre Sicht etwas einseitig scheint (gerade bei der Beurteilung von Fakten), letztendlich plädieren sie ja sowieso auf ein "weiter so". Die Urkaine wurde und wird vermutlich auch in Zukunft nicht so versorgt, dass sie eine realistische Chance hat zu gewinnen, da das Eskalationspotential einfach zu hoch ist, denn Russland würde keine Niederlage aktzeptieren.



                Inzwischen setzt sich diese Erkenntnis ja langsam auch in der Ukraine durch:

                meduza.io/en/featu...nto-putin-s-russia

                Ja, ich verstehe Ihre Position und ich verstehe auch die Position von Pazifisten, aber das Problem ist das beide Sichtweisen vermutlich zu einfach und optimistisch sind und keinem Realitätscheck standhalten.

  • 6G
    676595 (Profil gelöscht)

    Mal zurücklehnen und abschalten. 14 Tage keine gruseligen Talkshowquatschereien, 14 Tage keine Hetzreden, kein Sozialmedienschrott, keine Durchhalteparolen, kein Dödelphone, keine TAZ-Kriegsmeldungen, keine TAZ-Waffenwerbungen und keine taktischen TAZ-Kampftipps. Vielleicht ein paar Klassiker lesen oder Schach spielen. Dann vielleicht merken, dass das klare Denken wiederkommt. Wenn nicht, nochmal 14 Tage dranhängen. Wenn immer noch nicht, dann mit vollster Überzeugung weiter kämpfen bis zum letzten Mann.

  • Wie stecken das Geld lieber in den Krieg als in Bildung. Nach der Generation BLÖD wird die Generation SAUBLÖD UND GEWALTBEREIT die Politik bestimmen.

    • @Kappert Joachim:

      Bildung jetzt bekämpft Kriegsgefahren der Zukunft, nicht in der Gegenwart. 30 Jahre verfehlte Politik muss jetzt ausgebügelt werden

  • Die Situation wird sich für die Ukraine wird sich in naher Zukunft nicht verbessern.



    Da der US Haushalt nun ohne die,von Präsident Biden geforderten, Hilfen für die Ukraine und Israel vorläufig verabschiedet wurde, ist mit der massiven Unterstützung der Vergangenheit nicht mehr zu rechnen.



    Die EU sind nicht die USA .



    Wir können den Ausfall der US Unterstützung nicht ausgleichen.



    Auch das ist eine Situation, mit der von Kritikern bereits gerechnet wurde.



    Selensky ließ ja mehrfach verlauten, die Produktion militärischer Güter im eigenen Land anzukurbeln.



    Vielleicht hat er ja bereits im Vorfeld auf die zu erwartenden Schritte reagiert.



    Ansonsten muss die Ukraine evtl. über andere Optionen entscheiden.

  • Einfach alles mit Geld zusch... reicht eben nicht und ist am Ende des Tages nur Symbolpolitik und nicht realistisch.



    Daher besteht schon seit Beginn des Krieges auch durch die Haltung unserer Politiker die Gefahr das die Ukraine verliert. Mindestens aber hat das Verhalten unserer Politiker so machen unnötigen Kollateralschaden zu verantworten. Dieser Verteidigungskrieg wäre schon lange gewonnen.



    Wen wundert die Lage, denn wenn erst aus Beständen geliefert wird und nicht im gleichen Moment neue Ware bestellt, hat in Kürze nichts mehr zur Verfügung.

    • @Sonnenhaus:

      Weil das nur funktioniert hätte wenn man langfristig bestellt hätte in großer Anzahl. Die Industrie wäre bereit aber dann hätte man 10 Millionen Granaten über 10 Jahre bestellen müssen, 1000 Leopard 2, etc. für 10.000 Granaten hier, 20 Panzer dort fährt die Industrie nicht hoch. Das hieße aber ein langfristiges finanzielles Komittment weder zum "auf-Sicht-Fahren" Politikstil passt noch kann man die Gelder dann für Wahlgeschenke ausgeben (Sozialstaat oder Steuersenkungen je nach bevorzugter Klientel).