Auflösung der Linksfraktion: 28 sind eine Gruppe
Der Vorsitzende Dietmar Bartsch kündigt am Dienstag die Auflösung der Linksfraktion an. Auch einige der rund hundert Beschäftigten sind erschienen.
Bevor er zum eigentlichen Thema kommt, möchte Bartsch noch etwas Inhaltliches loswerden: Dass die Bundesregierung die Militärhilfe für die Ukraine verdoppeln will, während sie bei der Kindergrundsicherung spart, sei „brandgefährlich“, sagt er. Und dass Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius die Bundeswehr „kriegstüchtig“ machen will, irritiere ihn: bislang habe es nur „verteidigungsbereit“ geheißen.
Dann kommt er zum Punkt: die Auflösung der Fraktion. Das sei „ein gravierender Einschnitt“ und eine „Niederlage, die gravierende Konsequenzen für unser Land haben wird“. Aber „lieber einig mit 28 statt zerstritten mit 38“, macht er Mut. Und: „Auch eine Gruppe kann politisch viel bewirken.“ Die Liquidation der Linksfraktion sei „keinesfalls das Ende der Linken“, sondern die „Chance für einen Neustart“.
Das Ziel sei, bei der Bundestagswahl 2025 wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen. Am 6. Dezember wird aber erst mal die Selbstauflösung eingeleitet. Zum Liquidatoren bestimmte die Fraktion Thomas Westphal, der bisher das Vorstandsbüro der Fraktionsvorsitzenden leitete, sowie den stellvertretenden Geschäftsführer der Fraktion Uwe Hobler.
Erst schlimmer, dann besser
Der nächste Schritt der verbliebenen Linken ist es nun, möglichst schnell als Gruppe anerkannt werden. Wann das genau passiert, entscheidet der Bundestag. Als Gruppe stünden ihnen wieder einige Rechte und Finanzmittel zu. Auch die Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines Teils der rund 100 Mitarbeiter werde wieder möglich.
„Das ist das Schlimmste, da hängen ja Schicksale und Familien dran“, schrieb die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) zum drohenden Arbeitsplatzverlust vieler Beschäftigter der Fraktion. Unschätzbare Expertise und Erfahrung gehe verloren.
So wie die von Kolja Fuchslocher, der bisher als Fachreferent für Kinder- und Jugendpolitik für die Fraktion gearbeitet hat. Analysen schreiben, Anträge und Anfragen vorbereiten – das gehörte bisher zu seinen Aufgaben. „Das war ein großartiger und herausfordernder Job, dem ich noch etwas nachtrauern werde. Ich bin dankbar dafür, hier gearbeitet zu haben, und nehme unheimlich viel mit. Aber als politischer Mensch hoffe ich, dass meine Partei sich wieder aufrappelt, und schaue, was dann möglich ist.“
Ein Sozialplan soll nun helfen, die schlimmsten Härten abzumildern. „Wir stecken den Kopf nicht in den Sand“, schreibt Anke Domscheit-Berg. Manches werde vielleicht sogar leichter, wenn das „Störfeuer von innen“ endlich entfalle.
„Langsames wachsen“
Derweil peilen nicht nur die Linkenabgeordneten, sondern auch die Mitglieder des neu gegründeten Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ den Status einer Gruppe im Bundestag an. Wahrscheinlich wird der Bundestag dem zustimmen. Um als Gruppe anerkannt zu werden, braucht es mindestens fünf Abgeordnete mit gleichen politischen Zielen.
Im kommenden Jahr soll aus dem Verein eine Partei werden, mit Parteitag im Januar 2024, auf dem über den Vorstand und die Kandidatenliste für die Europawahl abgestimmt werden soll. Die Partei soll ein exklusiver Club sein und zunächst nur ausgewählte Bewerber aufnehmen. Man wolle „langsam wachsen“, sagt Wagenknecht. Sie selbst will nicht als Vorsitzende ihrer eigenen Partei kandidieren, sondern schlägt Amira Mohamed Ali für den Job vor, die ehemalige Fraktionschefin der Linken im Bundestag. Ob Wagenknecht als Spitzenkandidatin zur Europawahl im Juni 2024 antritt, lässt sie noch offen.
Bis zu den nächsten Wahlen behalten die zehn Ex-Linken ihre Bundestagsmandate, zum Unmut ihrer bisherigen Fraktionsfreunde. Die drei direkt gewählten Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch, Sören Pellmann und Gregor Gysi nennen das einen „Diebstahl“ – diesen drei verdankt es die Linke schließlich, überhaupt im Bundestag zu sitzen, denn bei der Bundestagswahl 2021 war sie knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert.
Auf das vergiftete Angebot der Wagenknecht-Truppe, in der Fraktion zu bleiben, um Arbeitsplätze von Mitarbeitenden etwas länger zu retten, ging Fraktionschef Dietmar Bartsch deshalb nicht mehr ein. Als vier der „Abtrünnigen“ in der vergangenen Woche zur Fraktionssitzung in den Bundestag kamen, obwohl er ihnen davon abgeraten hatte, wies Bartsch ihnen nach kurzer Aussprache die Tür. Die Fraktion sei „politisch tot“, sagte er damals.
Die frisch von Wagenknecht geschiedene Partei trifft sich als Nächstes am Donnerstag in Augsburg, um sich auf die Europawahl einzustimmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“
Rechtsruck in den Niederlanden
„Wilders drückt der Regierung spürbar seinen Stempel auf“
Koalitionsverhandlungen in Potsdam
Bündnis fossiles Brandenburg
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig