Bevölkerungswachstum: Menschen als Gefahr

Die Diskussion über ein nötiges Schrumpfen der Weltbevölkerung hat oft einen rassistischen Unterton. Und weniger Menschen sind auch keine Lösung.

Menschen auf einem Zebrastreifen.

Radikal weniger Menschen bringen radikal weniger Innovationen hervor Foto: Eugene Hoshiko/ap

Glauben Sie wirklich, sagte die Künstlerin, die ich neulich zum Tee traf, dass die Menschheit überleben sollte? Ich war kurz überrascht über die Direktheit der Frage; aber ich verstand, was sie meinte: Wenn die Menschheit gerade den Planeten zerstört, kann das Überleben des Planeten dann nicht besser gelingen ohne den Menschen?

Es war eine hypothetische Frage und doch sehr realistisch. Die Künstlerin ist, nach allem, was ich weiß, eine sehr menschenfreundliche Person – aber paradoxerweise muss sich in diesen Tagen der sich überlagernden Katastrophen gerade der Menschenfreund mit dem Ende der Menschheit ziemlich aktiv auseinandersetzen.

Am anderen Ende des moralischen wie politischen Spektrums sind es einzelne, sich gottgleich wähnende Individuen, die sich um das Überleben nicht der Spezies, sondern ihrer selbst sorgen – und alles dafür tun, ihr Leben auf diesem Planeten zu verlängern, am besten in die Unendlichkeit hinein. Bryan Johnson etwa, ein Tech-Milliardär, der im Podcast „The Immortals“ davon erzählt, wie er sich Blutplasma seines Sohnes injizieren lässt, um seinen Körper zu verjüngen.

Es gibt ein Foto der beiden mit bloßem Oberkörper: Johnson, der 46 Jahre alt ist, hat eine sehr ausgeprägte Brustmuskulatur und ist auch sonst sehr trainiert; sein Sohn hat ebenfalls sehr definierte Muskeln und schaut genauso selbstsicher in die Kamera wie sein Vater – es ist nicht allein die leicht riefenstahlhafte, von unten fotografierte Perspektive, die dem Bild etwas Faschistoides verleiht.

Die Weltbevölkerung wird schrumpfen

Es stellt sich die Frage danach, wie wir gemeinsam leben wollen – unter gänzlich anderen Bedingungen

Was bedeutet es also, wenn sich ein paar Superreiche um ihr ewiges Leben kümmern, während wir anderen langsam immer weniger werden? Denn das ist der eigentliche Trend, der erst einmal überraschend wirkt: Die Weltbevölkerung wird schrumpfen, so zeigt es die Recherche des amerikanischen Ökonomen Dean Spears, die er in der New York Times veröffentlichte – und das ist keine gute Nachricht.

Die Grafik, die seine Recherche illustriert, ist ziemlich eindrucksvoll: Der Anstieg der Bevölkerung ist rasant und exponentiell. Bis etwa 2085 wird die Weltbevölkerung weiterwachsen, auf dann zehn Milliarden Menschen. Danach aber, und das ist etwas unheimlich, wird sie ebenso rasant fallen – in 300 Jahren, so die Projektion, auf dann zwei Milliarden Menschen. Und zwar vor allem aus einem Grund: sinkende Geburtenraten.

Spears ist dabei kein kaltherziger Malthusianer (eine Theorie, wonach es nicht genug Nahrungsmittel für eine wachsende Bevölkerung gebe und diese zwangsläufig sinke, d. Red.) – gerade in Tech-Kreisen ist diese oft rassistisch konnotierte Sichtweise verbreitet, dass für das Überleben der Menschheit deren Schrumpfung notwendig sei und es die Verantwortung der Eliten sei, über die Opfer, Probleme, das Leiden der Gegenwart die Zukunft im Blick zu haben.

„Longtermism“ heißt diese Bewegung, die von einem antihumanitären Wahn unterlegt ist – im Zuge der zunehmenden Klimakatastrophen werden diese Diskussionen über den unterschiedlichen Wert von Leben mehr werden, oft unterlegt von wirtschaftlichen oder biologistischen Überlegenheitsfantasien: Individuelles und kollektives Überleben wird damit zu einer extrem politisierten Frage.

Ausbeutung ist die Gefahr

Wie kann man aber damit umgehen, dass eine Flutwelle mehr als 10.000 Menschen ins Meer und in den Tod spült, wie gerade in Libyen? Das Tückische ist dabei, dass der Bevölkerungsdiskurs oft dazu genutzt wird, vorgebliche Sorge oder sogar Menschlichkeit zu simulieren – Bevölkerungswachstum, wird oft gesagt, sei das eigentliche Problem der Welt und damit der Menschheit.

Es sei also der Mensch in seiner Masse, der die Gefahr ist – nicht die Systeme von Abhängigkeiten und Ausbeutung, die Menschen geschaffen haben. Nicht zufällig sind es oft besonders reiche Menschen, die diese Argumentation vertreten, vor allem mit Blick auf den Klimawandel und den Ressourcenverbrauch – als seien es nicht gerade die reichen Länder der Erde und deren reiche Menschen, die den allergrößten Anteil an der Erderwärmung hätten.

Spears weist deshalb auch in seinem Beitrag in der New York Times darauf hin, dass die schrumpfende Weltbevölkerung nicht dazu führt, den Klimawandel auf irgendeine Weise zu bremsen – bis zum Ende des Jahrhunderts wird sie noch wachsen, genau in dieser Zeit aber müssen sich Energie, Ernährung, Verkehr, Bauen auf der Erde radikal verändern, um ein gemeinsames Überleben zu ermöglichen.

Weniger Innovation bei weniger Menschen

Die Probleme, die durch die radikal schrumpfende Weltbevölkerung entstehen, so Spears, sind dabei in manchem ähnlich zu denen, die durch die notwendigen Veränderungen im Zeichen des Klimawandels notwendig sind: Es stellt sich in einem ganz grundsätzlichen Sinn die Frage danach, wie wir gemeinsam leben wollen – unter gänzlich anderen Bedingungen.

Politisch merken wir schon die Verschiebung in Richtung einer alternden Gesellschaft, wenn in den USA etwa eine Gerontokratie etabliert wird, im Präsidentenamt wie im Kongress. Ökonomisch werden sich die Grundlagen von Wohlstand radikal ändern. Es muss eine Verschiebung der Werte geben, hin zu mehr Fürsorge und einer anderen Sicht auf nichtmaterielle Güter und Dienste. Und, ziemlich interessant: Spears vermutet, dass radikal viel weniger Menschen auch radikal viel weniger Innovation hervorbringen werden.

Man kann das aus misanthropischer Sicht begrüßen – entscheidend für die Frage des Überlebens bleibt dabei, dass die Menschheit sich heute eben schon Gedanken machen muss über eine komplett andere Welt. Im politischen Raum werden diese Gedanken aus verschiedenen Gründen nicht entwickelt. Wir brauchen aber Orte, Techniken, Fähigkeiten, die Zukunft zu trainieren. Die Kunst kann eine solche Möglichkeit sein.

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