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Regisseur Sebastián Silva über Überdruss„Es gibt viele Versionen von mir“

Der Regisseur Sebastián Silva spricht über Existenzkrisen und die Komik von Misanthropie. Im Film „Rotting in the Sun“ inszeniert er seinen Tod.

Sebastián Silva in „Rotting in the Sun“ Foto: Mubi
Thomas Abeltshauser
Interview von Thomas Abeltshauser

Nach Festivalerfolgen mit Indiefilmen wie „La Nana – Die Perle“ und der Satire „Nasty Baby“ nahm der chilenische Regisseur Sebastián Silva eine längere Auszeit in Mexiko-Stadt, um zu malen, psychedelische Drogen zu konsumieren und über Leben und Tod nachzudenken. Nun ist der 44-Jährige zurück und spielt in seinem neuen Film „Rotting in the Sun“ einen Filmemacher namens Sebastián Silva, der in einem abgeranzten Apartment in Mexiko-Stadt Drogen, Depression und Überdruss frönt – und die erste Hälfte dieser ebenso sarkastischen wie expliziten Satire nicht überlebt. Ein Gespräch über privilegierte Künstler, nervige ­Influencer und die Freuden des Nihilismus.

taz: Herr Silva, in Ihrem Film inszenieren Sie Ihren eigenen Tod. Muss man sich Sorgen machen?

Sebastián Silva: Die Idee entstand aus dem Bedürfnis, mich über meine damalige Situation lustig zu machen. Ich lebte zu der Zeit wirklich in diesem Haus in Mexiko-Stadt, steckte in einer Existenzkrise, hasste mich und alle anderen. Mir gingen die Bewohner auf den Geist, auch Vero, die Haushälterin. Der Hund im Film ist mein Hund, auch er hat im Park vor dem Gebäude menschliche Exkremente gefressen. Ich war genervt, fand es zugleich saukomisch. Also fing ich an, kleine Szenen aufzuschreiben, aus der bald eine Art misanthropisch-düstere Krimikomödie wurde, mit mir als Protagonisten.

Ich wollte gemein sein, der ganzen Welt gegenüber, angefangen bei mir selbst. Nur wenn ich über mich lache, darf ich mich auch über alle anderen lustig machen. Meine Misantrophie, meinen Selbsthass und meine Todessehnsucht verpackte ich in einer Komödie, denn nur so ist das alles erträglich. Niemand will Leuten zuschauen, die völlig ernsthaft rumjammern. Und die Aussicht, einen kleinen Film in der Umgebung zu drehen, wo ich zu der Zeit lebte, erschien mir eine gute Idee. Also fragte ich meinen Freund Matteo, dem das Gebäude gehört, meinen Bruder Martin und alle anderen, ob ich sie als Figuren benutzen und sie zur schlimmsten Version ihrer selbst machen durfte.

Ihre Figur begegnet dabei dem US-amerikanischen Influencer Jordan Firstman, der mit Comedyclips auf Instagram bekannt wurde und sich hier ebenfalls selbst spielt. Wie kam es dazu?

Jordan und ich begegneten uns zufällig auf der Plaza in der Nähe meines Hauses. Ich hing gerade mit meinem Hund herum und ein Kerl, den ich vom Sehen kannte, fing an, mit mir zu flirten. Und dann kam Jordan dazu, mit dem dieser Typ die Nacht zuvor verbracht hatte, und Jordan erkannte mich und geriet in Panik. Er hatte seinem One-Night-Stand ausgerechnet einen Film von mir gezeigt, „Crystal Fairy“, und dachte, er würde nun als totaler Fan bloßgestellt. Es war ihm furchtbar peinlich. Wir kamen dann ins Gespräch und er lud mich abends zum Essen ein.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich in meiner Geschichte zwar einen Gringo vorgesehen, aber ich hatte nur eine vage Vorstellung von einem dieser US-Amerikaner, die nach Mexiko kommen und die Sau rauslassen oder gleich eine billige Immobilie kaufen, diese Art von Pest. Und dann kam diese Pest tatsächlich in Gestalt von Jordan und ich wusste, er wäre perfekt. Weil er so schillernd und charismatisch und im besten Sinne nervig ist, so ein Oversharer, der alles von sich preisgibt und dabei wahnsinnig witzig ist. Als ich ihn fragte, ob er bereit wäre, in dem Film eine nur leicht übertriebene Version seiner selbst zu spielen, sich über sein Image als Instagramer lustig zu machen, nackt am Gaybeach zu cruisen, Chemsex zu haben, all das. Und er war wirklich zu allem bereit, wir hatten viel Spaß.

Mettie Ostrowski
Im Interview: Sebastián Silva

Der Regisseur, Drehbuchautor und Illustrator Sebastián Silva wurde 1979 in Santiago de Chile geboren. Silva studierte in Santiago an der Film School of Chile und Animation in Montreal. Sein erster Spielfilm war die Komödie „La vida me mata“ (2007). Für „Nasty Baby“, der 2015 auf der Berlinale lief, erhielt er den Teddy Award.

Wie entstand dann die Geschichte, bei der Ihre Figur plötzlich verschwindet und Jordan dem Rätsel auf die Spur zu kommen versucht?

Ich bezog ihn beim Schreiben stark mit ein, fragte ihn dauernd nach Details, weil ich seine Art von Influencer so genau wie möglich hinbekommen wollte. Nichts schlimmer, als etwas zu karikieren, von dem man keine Ahnung hat. Das Drehbuch schrieb ich dann mit meinem langjährigen Co-Autor Pedro Peirano. Er weiß nicht nur viel besser als ich, wie Krimi und Mystery funktionieren, er war vor allem nicht ich. Diese Distanz brauchte ich, während ich mich selbst als Figur schrieb. Ich wollte vermeiden, dass daraus eine peinliche, egozentrische und humorlose Selbstbespiegelung wird. Kein eitles Projekt, sondern hoffentlich ein Gesellschaftskommentar, in dem ich mich selbst als Beispiel nehme für einen bestimmten Typ privilegierter Menschen und dieses Verhalten kritisiere.

Wie nah ist diese Figur Sebastián Silva am realen Sebastián Silva?

Das ist schon verdammt nah dran. Ich bin vielleicht nicht ganz so eine Niete, nicht ganz so nervig, rede nicht dauernd davon, mich umbringen zu wollen. Aber ich hatte in meinem Leben Suizidgedanken, schon seit meiner Jugend. Die Welt macht mich sehr müde. Und ich liebe Psychedelika. Der Tod erschien mir als ultimativer Trip, bei dem man seinen Körper verlässt und in einen anderen Zustand übergeht. Auch viele andere Details sind Silva in Reinkultur. Es gibt so viele Versionen von mir. Das hier ist eine davon.

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Trailer „Rotting in the Sun“

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Im Film liest Sebastián Silva „Vom Nachteil, geboren zu sein“ des rumänischen Nihilisten Emil Cioran. Welches Verhältnis haben Sie selbst zu dessen Lebensphilosophie?

Cioran bringt mich immer wieder zum Lachen, weil er so ein Misanthrop ist. Niemand schreibt derart pessimistisch über die Menschheit, das hat großen Witz. Ohne Distanz kann man ihn leicht als verbitterten Menschen mit sehr extremen Ansichten sehen. In seinen Augen verdienen wir Menschen alle zu sterben. So düster seine Aphorismen sind, muss ich darin etwas Komisches finden, sonst wäre ich selbst tot. Er hätte sicher nie zugegeben, eine Art Komödiant zu sein, aber für mich ist er es. Im Film zitiere ich ihn: „Es lohnt nicht die Mühe, sich zu töten, denn man tötet sich immer zu spät.“

Wenn das kein böser Witz ist! Vor allem, wenn es jemand wie meine Figur im Film ernst nimmt, die selbst gar keine echten Probleme hat. Dieser Sebastián Silva ist ein Künstler, der es super findet, über Suizid zu fantasieren, weil er das Leben nicht mehr erträgt. Dabei besteht seines nur aus Malen und den schicken Hund in einer coolen Stadt Gassi zu führen. Ich muss mich darüber lustig machen, auch wenn ich selbst diese Existenzkrisen hatte und es sich gar nicht gut anfühlte. Aber das sind wirklich Luxusprobleme im Vergleich zu anderen Menschen, die echte Not leiden.

Woher kommt dieser schwarze Humor bei Ihnen?

Den hatte ich gefühlt schon immer. Als alter schwuler Mann, ich bin jetzt 44, hatte ich wie die meisten meiner Generation einen Teil meines Lebens ungeoutet verbracht. Durch dieses Verstecken der eigenen Identität, durch dieses Geheimnis, entwickelt man ein Talent, mit dem man ein bisschen zum Manipulator wird, um sich selbst zu schützen. Das Umfeld kann sehr feindlich sein und sich dem nicht auszusetzen, hat nicht nur mit Angst zu tun, es kann auch eine Form der Selbstliebe sein.

Der Film

„Rotting in the Sun“. Regie: Sebastián Silva. Mit Jordan Firstman, Catalina Saavedra u. a. USA 2022, 109 Min. Läuft ab 15. 9. auf Mubi

Mein Sarkasmus ist vielleicht eine Reaktion auf homophobe Menschen, weil ich immer wusste, dass mein Schwulsein völlig natürlich ist und sie alle nicht recht haben. Daraus kann leicht ein Gefühl der Überlegenheit entstehen, weil man es ja besser weiß als die Hälfte der Menschheit. Man entwickelt eine Form von Misanthropie, die sich im besten Fall durch sehr schrägen Humor ausdrückt. Um leicht verzeihen zu können, müsste man schon ein Heiliger sein.

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