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Stimmungsumschwung im DFB-TeamDie Transformation

Mit Konzentration auf die einfachen Dinge schafften es Rudi Völler und das DFB-Team, Frankreich 2:1 zu besiegen – und Wiedergutmachung zu betreiben.

Das segensreiche Tun alter weißer Männer: Rudi Völler instruiert Thomas Müller Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Vermutlich hat der Fußballgott dem Wettergott an diesem Tag geflüstert, den Westfalenpark von Dortmund zu verschonen. Es reichte, dass die Polizei die A2 wegen der Wassermassen gesperrt hatte und sich heftige Gewitter über Soest, Unna und Lüdenscheid entluden. Es hätte nicht zur Stimmungslage gepasst. Auf einmal sind neun Monate vor der Heim-EM wieder Lichtblicke zu erkennen, wo vor drei Tagen noch finstere Nacht war.

Aus Versagern wurden in einer schwülen Sommernacht wieder Hoffnungsträger. Es dauerte keine fünf Minuten, da erklangen aus südlicher Richtung die altbekannten Rudi-Völler-Hymnen. Was gegen Japan (1:4) noch schmachvoll war, geriet gegen Vizeweltmeister Frankreich (2:1) zum Ausrufezeichen. Auf einmal warf die DFB-Auswahl lange vermisste Tugenden in die Waagschale, scheute kein Duell, kämpfte um jeden Ball, half dem Nebenmann. Wie das?

„Das frühe Tor. Das ist für jeden Verantwortlichen der Idealfall. Dadurch sind wir nicht in Gefahr geraten, in Konter zu laufen“, erklärte der Interimstrainer, der mit seinem Matchplan das Ergebnis in den Mittelpunkt rückte. „Jeder Fan da draußen will, dass wir Spiele gewinnen. Wenn wir es nicht schaffen, können wir 14 Autogrammstunden machen und Tage der offenen Türe“, stellte Torschütze Thomas Müller klar.

Zugleich deutete das listige Unikum an, woran Hansi Flick gescheitert war: „Wir haben uns sicher ein bisschen mehr auf die Basics des Fußballs konzentriert. Weniger die Herangehensweise: Okay, wir sind Deutschland, wir sind super Fußballer und müssen die Gegner auseinanderspielen.“ Im Grunde hat die Nationalelf erst jetzt die Ballbesitzlehre des Joachim Löw begraben, die Flick bis ins Verderben weiterführen wollte.

Pragmatischer Ansatz

Mit der Hereinnahme des stark spielenden Rechtsverteidigers Jonathan Tah demonstrierte Völler, was heute gefragt ist: dem Gegner keine Räume bieten, die Ordnung halten. Ein pragmatischer Ansatz, mit dem der Franzose Didier Deschamps zweimal ins WM-Finale gekommen ist. Torhüter Marc-André ter Stegen schwärmte wie ein Philosoph: „Manchmal ist es einfacher, Einfachheit in Perfektion zu machen.“ Und Linksverteidiger Benjamin Henrichs ergänzte: „Wir waren super eingestellt. So schnell geht’s dann im Fußball.“ Gestern ausgepfiffen, heute gefeiert.

„Das tut einfach gut“, fasste Völler bei seinem Comeback auf der Trainerbank zusammen, das verdächtig an seinen Einstand am 16. August 2000 gegen Spanien (4:1) erinnerte. Folglich wünscht sich wieder ein Großteil, dass Völler mit dem U20-Nationaltrainer Hannes Wolf sowie Sandro Wagner weitermacht. Der Volkstribun Völler wäre mit diesen zwei spannenden Charakteren keine schlechte, vielleicht sogar die ideale Lösung.

Doch davon wollte der 63-Jährige nichts wissen. Sein Intermezzo war einmalig. „Das ändert sich nicht durch das Ergebnis. Die vergangenen Tage waren sehr stressig.“ Die Veranstaltung der Deutschen Fußball-Liga am Mittwoch in Berlin zum 60-jährigen Bestehen der Bundesliga sagte er ab, weil ja jeder zweite Ehrengast ihn dazu drängen würde, weiterzumachen in diesem Aushilfsjob, den er einst schon einmal über vier Jahre ausübte, ehe die EM 2004 so schlecht lief, dass der Reformer Jürgen Klinsmann folgte.

Eine solche Lösung braucht es auch jetzt wohl wieder. Völler will sich mit DFB-Präsident Neuendorf und Liga-Boss Watzke in den nächsten Tagen zusammensetzen. „Mein Wunsch wäre es, dass wir bis zur nächsten Länderspielperiode den neuen Trainer vorstellen können.“ Am 9. Oktober soll im besten Fall in Frankfurt der zwölfte Bundestrainer in den Flieger steigen, der zur Reise an die amerikanische Ostküste aufbricht, um gegen die USA (14. Oktober) und Mexiko (18.) zu testen. Neuendorf hat bekundet, eine Person zu suchen, die „belastbar und durchsetzungsstark“ ist.

Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger haben vorgeschlagen, Louis van Gaal trotz dessen angeschlagener Gesundheit zu nehmen. Eher läuft es auf Verhandlungen mit Julian Nagelsmann, Oliver Glasner, ziemlich sicher auch mit Stefan Kuntz hinaus, der so empathisch wie Völler ist. Der umriss das Anforderungsprofil so: „Wichtig ist, dass es ein Deutsch sprechender Nationaltrainer ist. Und natürlich muss es auch ein Topmann sein. Das ist der wichtigste Trainerjob in unserem Land.“

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13 Kommentare

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  • Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten. Der Trainer spielt auch nicht mit. Pech und Glück, also der Zufall sind im ⚽️ wichtiger als die Person des Trainers auf dem Schleudersitz. Es könnte auch mal eine Frau sein. Wird Zeit.

  • Wie viele Millionen anderer Fußballexperten im Land war auch ich der Meinung "Flick muß gehen". Dazu hätte es das vierteilige Gratis-Traumata auf Amazons Prime gar nicht gebraucht. Und ja, wir hatten recht. WIR können Bundestrainer und WIR können wieder EM.

    Heilsbringer*In Tante Käthe hat uns unsere Zuversicht und den Glauben an das Team und unsere Unbesiegbarkeit zurückgebracht.



    Zudem hat sie der Mannschaft erklärt was wichtig ist und hat ihr neues Leben, vermutlich mit Druckluft, in die Köpfe geblasen. Wer braucht da schon Wildgänsevideos.



    Die Wahrheit liegt auf dem Platz und das Runde muß ins Eckige.



    Wer siegen will, muß Tore machen, fertig! Hans Krankl, Österreichs Kickerlegende und intelektueller Feingeist hat mal gesagt: "Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär". Und er hatte soo recht. Mailand ist eben nicht Madrid. Schluß aus fertig.

    Die Amphibienesser um den ehemaligen Abwehrrecken Didier Dechamps, mit den Vizeweltmeistern Mbappe, Griezman und Hernandez hatten am Dienstagabend nur einen Auftrag: Beiwerk zu sein und Opfer unserer Wiederauferstehung zu werden. Auferstanden aus Ruinen.

    Was Einfachheit, Wille und Begeisterung, und da beziehe ich die in Dortmund anwesenden Fans ausdrücklich mit ein, bewirken kann ist erstaunlich.



    Hut ab vor Wolf, Wagner und dem neuen Schutzheiligen des DFB, dem Einzigen Rudi Völler.

  • "Im Grunde hat die Nationalelf erst jetzt die Ballbesitzlehre des Joachim Löw begraben, die Flick bis ins Verderben weiterführen wollte."

    Tja, 5 Jahre nach der WM 2018 endlich die wesentliche Lehre daraus gezogen, dass sich der Fußball weiterentwickelt hat und dass für diese Spielanlage nicht die notwendigen Spieler da sind.

    Manchmal braucht es halt was.

    • @J_CGN:

      Liggers. Zumal schon Hägar der Schreckliche - sich einst fruchtlos fragte:



      Wo das “im Grunde“ eigentlich liegt - wa

  • Ob es sich van Gaal tatsächlich antut, ausgerechnet die Deutschen zu trainieren? Kann er sich in den Niederlanden dann eigentlich noch blicken lassen?

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „.die altbekannten Rudi-Völler-Hymnen" - Wie viele gibt es?



    de.wikipedia.org/wiki/Volkstribun



    [/Klugscheißermodus off] 😊

    • @95820 (Profil gelöscht):

      “[/Klugscheißermodus off] 😊“ Nix da! Woll

      Volkstribun Tante Käthe - geht voll in Ordnung!



      “Aufgabe der Volkstribunen, die zunächst keine anerkannten Beamten, sondern nur informelle Vertreter der plebs waren, war die Verteidigung der Plebejer gegen die Macht der Patrizier (ius auxilii).[4] Sie schritten also gegen Entscheidungen und Maßnahmen patrizischer Beamter und des Senats ein. Dabei stützten sie sich nicht auf eine gesetzliche Grundlage, sondern auf ein religiöses Tabu: Die Person eines Volkstribunen galt als sakrosankt (lateinisch sacrosanctus „unverletzlich, hochheilig“); er wurde durch einen Eid der Plebejer vor jedem körperlichen Angriff geschützt.[5] Wer einen Volkstribunen körperlich attackierte, sollte ursprünglich sofort vom Volk getötet werden; in späterer Zeit, als das Tribunat ein reguläres Amt geworden war, konnte er als Hochverräter hingerichtet werden. Der Volkstribun bewegte sich daher demonstrativ unbewaffnet. Die sacrosanctitas war mehr als ein Schutz, sie konnte auch als faktisch offensives, z. B. als physisches Mittel, Widerstand zu brechen, eingesetzt werden.“

      Na Mahlzeit

      kurz - Fußball ist schließlich eine plebejische Sportart •

      unterm—— servíce —plebs —



      Das gemeine Volk plebs → lat. „Volk“ Synonyme: Pöbel, Mob, Canaille, Proleten, Proletarier, Proletariat, Pröll, Prekariat, Kraat Unterschicht.



      [/Klugscheißermodus off] 😊

      • @Lowandorder:

        Long Live for nearly all Klugscheissers -



        Schmunzel zum Feierabend

        • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

          Klugscheissermodus ein:



          Hab ich doch einen Buchstaben vertauscht - Tsss

  • Leider gibt’s nur einen Rudi Völler. Wir könnten aber zwei gebrauchen.



    Prophezeiung: Aloysius Paulus Maria „Louis“ van Gaal wird’s.

    • @Der Cleo Patra:

      Der wäre perfekt. Enorme Erfahrung, läßt sich nicht reinreden, spricht Deutsch, ist keiner aus dem DFB Filz und kann Leute mitreißen.



      Und an die alte Holland Rivalität kann sich doch kaum noch jemand erinnern.

    • @Der Cleo Patra:

      Nöö, leider nicht. Eher Nagelsmann. Aber auch nur für 1 Jahr. Spart Bayern Gehalt und der "hochgelobte" kann wieder an der Seitenlinie sich darstellen.