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Biber-Alarm am Südschnellweg

Der Ausbau einer Bundesstraße ist in Hannover heiß umstritten. Neueste Volte: Baumbesetzer wollen Biber im Baugebiet entdeckt haben – die aber sind streng geschützt. Ob das den Ausbaustopp bedeutet oder die Tiere aufwändig umgesiedelt werden können, ist offen

Von Nadine Conti

Die Hoffnung nagt: „Egon“ und „Gerda“ haben die Aktivisten vom „Barrio Tümpeltown“ das Biberpärchen liebevoll getauft. Seit Oktober letzten Jahres sitzen die Besetzer in ihren Baumhäusern in den Bäumen der Leinemasch. Sie versuchen den hochumstrittenen Ausbau des Südschnellweges zu verhindern. Jetzt glauben sie, tierische Verstärkung bekommen zu haben.

Die Stadtautobahn soll um 10 Meter verbreitert werden auf dann mehr als 25 Meter – ein Unterfangen, das nicht nur die Baumbesetzer für unsinnig und unzeitgemäß halten, das tun auch zwei Bürgerinitiativen, Klimaschützer und diverse Umweltverbände. Bisher scheiterten aber alle politischen Vermittlungsversuche und Gesprächsrunden am fortgeschrittenen Planungsstand für diese Bundesstraße.

Jetzt hoffen die Baumbesetzer auf ihre neuen Maskottchen. Als „Gamechanger“ bejubeln sie die Sichtung der streng geschützten Nager: Wenn sich der Tümpel zu ihren Füßen tatsächlich als Biberrevier erweist, könnte das zumindest den Zeitplan für das Millionenprojekt ein weiteres Mal ins Rutschen bringen.

Beweise aus der Wildtierkamera

Zum ersten Mal gesehen habe man einen der Biber kurz nach Beginn der Besetzung, schreibt Tümpeltown in einer Pressemitteilung. Mit Hilfe der Biberberater des Nabu habe man sich dann auf die Lauer gelegt und sogar Wildtierkameras installiert. Tatsächlich konnte man am Ende nicht nur den Fressplatz der Biber ausfindig machen, sondern auch beobachten, dass es sich um zwei Tiere handelt, die im Tümpel an immer der gleichen Stelle abtauchen – ein Hinweis darauf, dass sie dort tatsächlich einen Bau haben.

Der Nabu bestätigt den Fund und hat eine entsprechende Meldung bei der Unteren Naturschutzbehörde der Region Hannover eingereicht. Die indes gibt sich erst einmal bedeckt: „Dem Fachbereich Umwelt der Region Hannover liegen Meldungen über Bibervorkommen im Bereich des Südschnellwegs vor. Die Angelegenheit wird derzeit geprüft“, heißt es. Mehr Informationen gibt es nicht.

Warum die possierlichen Tierchen nicht früher auffielen? „Vermutlich handelt es sich um noch relativ junge Tiere, die aus einer der Biberfamilien entlang der Leine stammen und die sich nun hier ein eigenes Revier gesucht haben“, sagt die Nabu-Biberexpertin, die nicht namentlich genannt werden möchte. „Sonst würden sie sicher auch nicht in einem so dicht angrenzenden Gebiet geduldet.“ Junge Biber werden im Alter von zwei bis drei Jahren aus dem Familienverband geschubst – typischerweise im Frühjahr, wenn frischer Nachwuchs da ist. Sie könnten in diesem oder schon dem vergangenen Frühjahr zum Tümpel gewandert sein. „Als wir vor drei Jahren dort kartiert haben, waren sie noch nicht da“, sagt die Nabu-Sprecherin.

Was aber, wenn tatsächlich ein Biberpaar dort sein Revier hat? „Der Tümpel sollte ja eigentlich bald trockengelegt werden, damit dort die Baumaschinen stehen können. Außerdem würde der erweiterte Damm, auf dem der Schnellweg verlaufen soll, direkt bis ans Nordufer reichen“, sagt einer der Aktivisten von Tümpeltown, der sich „Belgrad“ nennt. Für ihn nur ein Hinweis mehr, was für ein wertvolles Biotop hier zerstört werde. „Der Biber ist streng geschützt, nach EU- und nach Bundesrecht. Die dürfen ihn nicht töten oder vertreiben – das heißt, hier kann nicht gebaut werden.“

Er ist wieder da

Fast ausgerottet war der eurasische Biber (Castor fiber) Mitte des 20. Jahrhunderts – wie viele andere Wildtiere auch. Seitdem versuchen Naturschützer:innen die Bestände zu erhalten oder neu anzusiedeln.

Offenbar mit Erfolg:Von „spektakulärer Erholung“ berichtete im Herbst 2022 die Organisation „Rewilding Europe“, europaweit seien die Bestände seit 1960 ums 167-Fache gestiegen.

In Niedersachsen wächst die Zahl der Biber laut Nabu um bis zu 25 Prozent pro Jahr, 2019 wurden 229 besetzte Reviere mit 432 bis 504 Tieren gezählt.

Nachholbedarf beim Management

Das sieht die Nabu-Expertin nicht ganz so. „Es gibt Fälle, in denen die Tiere dann umgesiedelt werden.“ Allerdings: So ganz einfach ist das nicht. Es müsste ja erst einmal ein passendes Ersatzrevier gefunden werden, und die Ufer der Leine sind schon kilometerweit gut besetzt. In der Fortpflanzungsphase dürfte man die Tiere wahrscheinlich auch gar nicht anrühren.

Das Bibermanagement steckt in Niedersachsen noch in den Anfängen, anders als in etwa in Bayern, wo die Population schon länger einen Ausgleich nötig macht. Erst im März hat der hannoversche Landtag ein Handlungskonzept gefordert. Bei der für die Baustelle zuständigen Landesbehörde scheint man indes noch darauf zu hoffen, das Problem könnte sich rechtzeitig von selbst erledigen: Nach ersten Einschätzungen, so ein Sprecher auf taz-Anfrage „handelt es sich um einen Biber, der dort lediglich zeitweise Nahrung sucht“.

„Das heißt, hier kann nicht gebaut werden“

„Belgrad“, Baumbesetzer

Die externen Experten der Umweltbaubegleitung hätten das Gebiet im Blick, man sei auch mit der Unteren Naturschutzbehörde im Austausch. Nach derzeitigem Kenntnisstand komme es nicht zu einer Behinderung oder Verzögerung.

Doch die Befürworter eines schmaler modernisierten Südschnellweges haben noch nicht aufgegeben. Vor dem Oberverwaltungsgericht ist noch mindestens eine Klage anhängig. Und der Landtag muss sich noch mit einer Petition der Ausbaugegner befassen: Wenn am kommenden Mittwoch der Petitionsausschuss möglicherweise zum letzten Mal deswegen zusammenkommt, ruft das Bündnis „LeinemaschBLEIBT“ ab 13.15 Uhr zur Menschenkette am Landtag auf.

Vor drei Wochen haben sich auch die hannoverschen Grünen noch einmal gegen die Rodung im kommenden Herbst ausgesprochen. Die Fällsaison beginnt im Oktober. Außer für Biber: Die dürfen jetzt schon zum Nagen an die Bäume.

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