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Kompromiss bei KindergrundsicherungEs reicht vorne und hinten nicht

Nicole Opitz
Kommentar von Nicole Opitz

Die Ampelkoalition ist ihren Streit vorerst los, nicht aber die Kinderarmut. Moralisch und wirtschaftlich ist die 2,4 Milliarden-Entscheidung eine schlechte.

Armut lässt sich nicht wegkicken Foto: Andreas Poertner/imago

D a ist sie nun, die Kindergrundsicherung – oder vielmehr das, was davon übrig bleibt. Die Ampelregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, mit der Grundsicherung „mehr Kinder aus der Armut zu holen“. Das ist schön vage, mit den nun mühsam herbei verhandelten 2,4 Milliarden Euro wird sicherlich das ein oder andere Kind aus der Armut geholt, aber das meiste wird für Verwaltung und Digitalisierung draufgehen. Viel bleibt nicht mehr für die, um die es eigentlich geht: die Kinder. Mit der Kindergrundsicherung werden Leistungen wie Kindergeld, Bürgergeld und Kinderzuschlag zukünftig gebündelt, zu einer richtigen Leistungserhöhung kommt es jedoch nicht.

Nachdem das Familienministerium von Lisa Paus (Grüne) zunächst 12 Milliarden Euro für den Haushalt anmeldete, wollte das Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) nur 2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Im Grunde ist beides nicht genug: Wissenschaftliche Studien zum Thema gehen je nach Berechnung von 17 bis 26 Milliarden Euro pro Jahr aus, um Kinderarmut effektiv zu beseitigen. Es bringt auch nicht nachhaltig etwas, das Geld stattdessen in Bildung oder Sprachkurse zu stecken. Beides muss geschehen: Geld muss auch bei den Eltern ankommen, die ihren Kindern regelmäßig neue Kleidung und Schulsachen kaufen müssen.

Armut verschleppt sich weiter, über Generationen hinweg. Das ist nicht neu, auch die Familienministerin weiß das. Als sie am Montagmittag in der Bundespressekonferenz gefragt wird, ob 2,4 Milliarden Euro reichen, um Armut zu beseitigen, senkt sie den Blick. Nach einer längeren Pause antwortet sie: „Wir haben das gut zusammen gemacht, es waren konstruktive Gespräche.“ Was für ein Hohn für jedes vierte Kind in Deutschland – so viele Kinder leben derzeit in Armut und sozialer Ausgrenzung. Da nützt es nichts, dass Paus am Montagnachmittag betont zu wissen, dass es größere Impulse braucht.

Abgesehen vom moralischen Aspekt ist dieser Schritt der Ampel auch wirtschaftlich und rechtlich nicht nachzuvollziehen. Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert, in der das Recht auf Teilhabe von Kindern festgeschrieben ist. Das heißt: Familien sollten es sich leisten können, das Kind mit einem Geschenk zum Kindergeburtstag zu schicken. Jetzt kann man sagen, die Kindergrundsicherung legt erst einmal ein Fundament, bündelt Bürokratiewust, und die entsprechenden Leistungen können sich auch später noch erhöhen. Aber wie gut ist ein Fundament, wenn am Ende des Monats Millionen von Kindern trotzdem das Geld fehlt für Schulessen und neue Schuhe?

Der neue politische „Kompromiss“ ist wenig fortschrittlich und nützt vor allem der Ampel und nicht den betroffenen Kindern.

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Nicole Opitz
Redakteurin
Seit 2019 bei der taz. Interessiert sich vor allem für Feminismus, Gesundheit & soziale Ungleichheit. BVHK-Journalismuspreis 2023. Derzeit in Schreibpause.
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14 Kommentare

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  • Eine neue Konsole für Papa und neues Tattoo für Mama so in etwa wird die Kindersicherung umgesetzt.

  • ...wieviele Milliarden aus unserem Staatshaushalt wurden von einem Tag auf den anderen für die Rüstungsindustrie freigegeben...

    ...nun gut, hier geht es um Deutschlands Nachwuchs, also die Fachkräfte von morgen...da dauert das Prozedere halt etwas länger - das Ergebnis lässt zu wünschen übrig....

  • Ich verstehe die Argumente auf beiden Seiten nicht so recht. Bei den Befürwortern von mehr Kindergrundsicherung, warum durch eine Bündelung von bisher getrennten Leistungen mehr Bürokratie entstehen soll, bei denen von weniger, woher denn die Leute kommen sollen, die alle – Eltern und Kinder – bilden und ausbilden.



    Es ist dem gewollten Bürokratieabbau förderlich, getrennt zu beantragende Leistungen zusammenzufassen und anhand eines oder sehr weniger bereits erfasster Merkmale automatisch auszuzahlen. Davon profitieren dann auch diejenigen, die mit der Bürokratie bisher überfordert waren.



    Das Haupthindernis für mehr Betreuung und Bildung ist der Personalmangel, dem auf die Schnelle leider nicht zu begegnen sein wird, da eben durch den Personalmangel gar keine Aus- und Fortbildungskapazitäten vorhanden sind. Man kann zwar wie bei den Kitas damals einen Rechtsanspruch auf Bildung einführen, aber irgendwer muss es dann auch machen. Am Ende bleibt es vor Ort an den ohnehin überforderten Kommunen hängen, sich irgendwas zu überlegen. Dafür würde letztlich massiv mehr Geld vom Bund benötigt, weil nur der Bund Schulden machen darf.



    Wenn jetzt der Bürokratieabbau und mehr Bildung, um die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen, an der Schuldenbremse scheitern, sollte das wirklich gerade Wirtschaftsliberalen zu denken geben.

  • Meiner Meinung nach, sollten die Grünen die Koalition platzen lassen und dieses unwürdige Gewürge beenden.

    • @celcon52:

      ...meinen Sie wirklich, was hätten wir denn dann für eine Verbesserung ?

  • Was für eine Farce! Hier wurde "die Bündelung der bestehenden Angebote" beschlossen, teilweise verschleiert durch Umetikettierung, und kein Cent mehr für die Armutsbekämpfung beschlossen! Un die SPD macht bei dieser Farce mit.



    Übrigens: das früher so genannte "Kindergeld" ist keine Sozialleistung, sondern eine Vereinfachung der Steuererklärung.

    • @Sokolew Andre:

      ...im Ranking der europäischen Länder stehen wir mit unseren Kindergeldleistungen auf Platz 2 - hinzukommen noch 21 Milliarden, die wir als Gesellschaft / Staat für Bildung, Forschung & Wissenschaft aufbringen. Die meisten Schulen in Deutschland sind Schulgeldfrei...

  • Die Fortschrittskoalition ist ihren Namen nicht wert. Nicht nur, dass die FDP mit ihrem Neoliberalismus Alleinerziehenden, Eltern ohne ausreichendem Einkommen oder Bürgergeldbeziehende die Schuld an mangelnden Einkommen zuschiebt, sondern gleich Kinder mit in den Leistungsgedanken einbezieht, verrät mehr über den Zustand der ideologischen Ampelkoalition. Der Unterschied zu einer CDU / FDP - Koalition ist nicht feststellbar. Die Enttäuschung über SPD und GRÜNE ist sehr groß. Das Soziale ist weder bei Grünen noch der SPD erkenntlich. Die Parteivorsitzende der SPD Esken müsste ein Schaudern widerfahren bei dieser sozialen Kaltschnäuzigkeit. Nicht nur, dass Kinderarmut manifestiert bleibt, auch die ökonomischen Folgekosten von weit über 100 Milliarden EUR die das DIW in einer Studie festgestellt hat, lässt von der unvernünftigen Entscheidung oder des faulen Kompromisses nur die trügerische Selbstrettung dieser Ampel-Regierung nichts gutes übrig. Die Familienministerin Paus steht wie ein Kind in der Schmuddelecke als Strafe für ihr trotziges Verhalten dem Finanzminister und Wirtschaftsminister ihre Milliarden-Subventionen für die Wirtschaft kurzfristig blockiert zu haben.



    Die Familienleistungen für Eltern, ohne oder mit geringfügigem Erwerbseinkommen, die Sozialtransferleistungen beziehen, sind nicht ausreichend, um Kinderarmut zu verhindern. Der Stand der Forschung ist, dass die Gelder für Kinder mehrheitlich auch bei diesen ankommen. Die breite Masse der Eltern, die sehr einkommensschwach sind, sparen in erster Linie bei sich selbst ein, anstatt bei ihren Kindern. Eltern machen sich sogar überwiegend erhebliche Sorgen, dass ihre Kinder unter den armen Lebenslagen leiden könnten, insbesondere wenn es auch um die schulische Bildung geht.



    In der dynamischen Armutsforschung der 1990er Jahre galt Armut als vorübergehendes Phänomen, welches als heterogen und individuell wahrgenommen wurde. Arme Kinder sind für die Ampel nur finanzieller Ballast und arme Eltern Faulenzer.

  • Vielleicht wäre es am sinnvollsten, den Eltern der betroffenen Kindern eine Möglichkeit zu geben, einer halbwegs vernünftig bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Wir haben ja angeblich einen großen Fachkräftemangel, also sollen sich Habeck, Heil, Stark-Watzinger, Paus und Lindner darum kümmern, dass diese die nötige Bildung dafür erhalten. Und man kann von den Eltern dann auch erwarten, dass sie diese Möglichkeiten wahrnehmen.

  • "2.4 Milliarden" sind nur ein Rechenbeispiel fürs erste Jahr.



    Der Livestream der Bundespressekonferenz mit Lisa Paus, Christian Lindner, Hubertus Heil und der Fragerunde ist auf www.youtube.com/watch?v=I3-lhGk3bjo online. Die Aussagen bzw. Antworten von Lisa Paus (besonders Minute 3.45 - 4.45 und 36.50 - 40.24) zeigen, dass es nur dann bei "2.4 Milliarden" bliebe, wenn (wie für 2025 probeweise angenommen) lediglich 47-48 % der Antragsberechtigten die Kindergrundsicherung beantragten. Wenn dann aber tatsächlich wesentlich mehr Menschen diese Leistung in Anspruch nehmen, dann wird auch tatsächlich wesentlich mehr ausgezahlt. - Auch sonst lohnt m.E. das genaue Zuhören.

  • Auch wenn das 10fache ausgegeben würde, irgendeinem ist es immer zu wenig

  • Laut Finanzminister Lindner ist niemand in diesem Land von Verelendung betroffen und daher reichen die 2,4 Milliarden €.

  • Die ausgezahlten Kindergeld-Beträge belaufen sich inzwischen auf knapp 50 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu kommen noch Kinderzuschlag, Leistungen aus dem Bürgergeld und der Sozialhilfe.

    Das sind bereits jetzt gewaltige Beträge. Bevor man da noch dutzende weitere Milliarden Euro ausgibt sollte man sich darum bemühen, dass alle Eltern der Kinder eine Erwerbsarbeit aufnehmen. Genug Möglichkeiten gibt es derzeit auf dem Arbeitsmarkt.

  • Bei manchen kommt es zu einer Leistungserhoehung, bzw zu einer vollen Nutzung der bestehenden Leistungen. Der Grund fuer die Kindergrundsicherung ist doch, dass viele Unterstuetzungsleistungen sehr kompliziert zu beantragen sind und deshalb garnicht abgerufen werden.



    Bei vernuenftiger Umsetzung kommt es also bei sehr vielen zu einer faktischen Leistungserhoehung.

    Mal davon abgesehen, wird man die Kinderarmut nicht besiegen, in dem man mehr Geld verteilt, denn die Kinderarmut ist eine relative. Gibt man pro Kind 1000 Euro werden diejenigen mit 60% des Durchschnittseinkommens trotzdem arm sein.

    Wer Kinderarmut bekaempfen will sorgt dafuer, dass die Eltern arbeiten koennen und die kuenftigen Eltern eine gute Ausbildung haben.