Reaktionen auf Nachrichten: Der unheimliche Sommer

Vor der Sommerpause erzielt die AfD Umfrage-Rekorde. Daran haben wir uns so gewöhnt wie an Staunachrichten, ertrinkende Flüchtlinge und Overtourism.

Ein Junge hat sich in Sand eingebuddelt, nur noch der Kopf ragt raus.

Diesen Sommer will man sich auch einfach nur einbuddeln – wie dieser englische Tourist auf Mallorca Foto: Dani Cardona/reuters

Der hochseriöse Nachrichtensprecher im seriösesten Radiosender (DLF) sagt am Freitagvormittag: „Keller liefen voll, Bäume stürzten um, Dächer wurden abgedeckt, parkende Autos weggespült.“

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Ich muss lachen. Die unaufgeregte Monotonie des Sprechers klingt in meinen Ohren wie die farblose Aufzählung in Verkehrsmeldungen: „Dreieck Spreeau Verengung auf eine Fahrbahn, Kreuz Dortmund/Unna stockender Verkehr, A8 München Richtung Salzburg zwischen Raststätte Holzkirchen Süd und Weyarn Gefahr wegen Gegenständen auf der Fahrbahn“.

Und etwas daran gefällt mir. Warum sollte er das im Brustton der Empörung aufzählen? Es würde an den Umständen nichts ändern.

Das Unwetter ist Wetter geworden. Waldbrände, Wassernotstand, Tropenhitze und Stark­regen gehören zu den Sommerferien wie der Stau auf der Autobahn und der Overtourism. In Europas Hotspots der touristischen Schwerindustrie wie Dubrovnik, Lissabon oder Venedig werden apokalyptische Wetter- und Staunachrichten noch von Armageddonnews aus der Hochsaison begleitet: Dezibelregulierungen nach 22 Uhr, Alkohol-, Pinkel- und Schlafverbote in Altstädten, Beschränkung von Zugängen.

Der Sommer ist unheimlich geworden.

Auch politisch. Letzte Woche begann mit dem letzten „Tatort“ (18. Juni), dem kalendarischen Sommeranfang (21. Juni), dem Beginn der ersten Sommerferien (NRW), der letzten „Hart-aber-fair“-Sendung (19. Juni) die große Auszeit, die am Ende dieser Woche (1. Juli) mit der parlamentarischen Sommerpause abgerundet wird.

Doch in diesem Sommer gehen die Deutschen neben Rekordhitzeprognosen auch noch mit einer anderen Rekordprognose (23. 6.) in die Ferien: Laut ARD-Umfrage würden 19 Prozent am Sonntag (25. 6.) AfD wählen, 2 Prozent mehr als die SPD. Damit ist die AfD zur Zeit zweitstärkste Partei in Umfragen (CDU: 29 Prozent, Grüne: 15, FDP: 6, Linke: 4).

Vorhersehbar und monoton

Solche Umfragen wollen zwar vordergründig Stimmungen abbilden. Ihr Effekt ist aber auch, dass sie Stimmung machen.

Die Antwort von Medien und Politik auf Umfragehochs der AfD ist mittlerweile ähnlich vorhersehbar und monoton wie die sommerlichen Stau-, Unwetter- und Overtourismnachrichten: Die Opposition macht die Regierung verantwortlich („Kontakt zur Bevölkerung verloren“, „Wir können so nicht weitermachen“, „Deutschland im Regen stehen lassen“), die Medien berichten alarmierend über Schlägereien (gern in Neukölln, weil bundesweit bekannt für fette Ausländerprobleme, gern von „Clans“, weil das krass nach undeutscher Unordnung klingt, gern mit Zwiebeln und schön scharf formuliert: „Massenschlägerei“, „Streit eskaliert“, „Großaufgebot der Polizei“).

Auf der anderen Seite empört sich vom Sydney Morning Herald bis zur taz die ganze Welt darüber, dass die ganze Welt wegen fünf in einem U-Boot gestorbenen Reichen den Atem anhielt. Die Empörung glaubt, es sage „sehr viel aus“, dass nicht in gleichem Maße über sterbende Geflüchtete im Mittelmeer berichtet wird. Die Unterstellung: Geflüchteten werde weniger Empathie zuteil als Reichen.

Ich halte das zumindest größtenteils für Bullhsit. Zum einen spielte bei der Anteilnahme an diesem U-Boot-Desaster weniger Empathie als Voyeurismus eine Rolle. Zum anderen war es nun mal das erste private U-Boot, das auf dem Weg zur untergegangenen Titanic implodierte.

Auch jeder Flugzeugabsturz kriegt eine große Aufmerksamkeit und auch die Kinder, die 2018 wegen starken Regens in einer Unterwasserhöhle eingeschlossen waren, bekamen sie. Nicht, weil wir so irre empathisch sind, sondern weil es seltene Vorfälle sind und natürlich auch, weil uns Unfälle und Katastrophen faszinieren.

Natürlich ist die Gewöhnung an das Massensterben von Geflüchteten im Mittelmeer so schleichend eingetreten wie die Gewöhnung an das Massensterben der Fische in demselben Gewässer, auf dessen Oberfläche wir so gerne rumliegen, während sich unter uns die Leichenberge türmen.

Empathie, keine verlässliche Kategorie

Sicher, die Schiffsunglücke im Mittelmeer samt der Todeszahlen kommen mittlerweile im gleichen Sound des Nachrichtensprechers daher, mit dem er Stau- und Unwetternachrichten verliest.

Sicher, es wäre vielleicht besser, würde bei den Nachrichten über ertrunkene Flüchtlinge ebenfalls immer Alter, Herkunft, Beruf und Grund für die Schiffsreise angegeben. Das Ausmaß der Katastrophe würde dadurch vielleicht nachdenklicher machen und die Politik beeinflussen. Vielleicht. Würde der Nachrichtensprecher statt weggespülter Autos und unterspülter Keller auch den Ausfall der Kirsch-, Kartoffel-, Apfel-, Oliven- und Weinernte in Spanien, Italien, Frankreich, Kroatien, Slowenien und Deutschland vermelden, würde es ebenfalls deutlicher machen, dass die Katastrophe nicht zu Ende ist, nur weil der Regen aufgehört hat.

Allein, ob das mehr Empathie erzeugen würde oder nicht, weiß ich nicht. Die entscheidendere Frage ist nur, ob sich die Politik davon beeindrucken lassen und ihre Klima-, Einwanderungs- und Verkehrspolitik ändern würde.

Empathie ist sowieso keine verlässliche Kategorie. Erinnern wir uns an frühere Jahre, in denen nordeuropäische Touristen in der Mittagshitze an südeuropäischen Stränden brieten. Sie fanden die Einheimischen wunderlich, weil die sich tagsüber in ihren streng abgedunkelten Wohnungen aufhielten und ihre Naturschönheiten mieden.

Viele auch meiner linken Bekannten fanden das damals null nachvollziehbar. Empathie hatten diese Linken offenkundig nicht. Jedenfalls nicht mit jenen Einheimischen, die keinen Schnee kannten, aber die Körnung des Saharastaubs schon seit Kindesbeinen in der Luft erkennen konnten.

Heute gehören Warnungen, in der Mittagshitze das Haus zu verlassen, zur Sommerpause wie die Interviews mit Bademeistern, die von Überforderung sprechen, wie sinkende Schiffe im Mittelmeer, wie Umfragehochs rechter Parteien.

So gruselig die Vorstellung ist, mit diesem AfD-Hoch in die Sommerpause zu gehen, es bringt wenig, mangelnde Empathie zu beklagen und genauso wenig, darauf mit Berichten zu reagieren, die potentielle AfD-Wähler befriedigen sollen.

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