: 100 Seiten politischer Sprengstoff
Ein Expertenbericht zeigt: Es ist juristisch möglich, profitorientierte Wohnungsunternehmen zu vergesellschaften. Ob die Politik das will, ist eine andere Frage
Es ist ein Papier, das es in sich hat. 13 Expertinnen haben sich ein Jahr lang damit beschäftigt, ob es rechtlich möglich ist, große profitorientierte Wohnungsunternehmen zu vergesellschaften. Am Mittwoch wurde dann ein 100-seitiger Abschlussbericht vorgestellt.
Das Ergebnis lautet: Es ist möglich. Ein Vergesellschaftungsgesetz im Land Berlin sei „im Einklang mit den in Art. 15 GG ausdrücklich genannten Voraussetzungen“. Die Kommission sieht keinen Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot, wenn nur Unternehmen ab 3.000 Wohnungen vergesellschaftet werden. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen bezeichnete das als „historischen Tag“.
Das Besondere: Der Artikel 15 des Grundgesetzes, der eine Vergesellschaftung ermöglicht, wurde noch nie angewandt. Dort heißt es, „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ können „durch ein Gesetz, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“.
Eine Entschädigung ist verpflichtend. Der Bericht geht auf den erfolgreichen Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen im September 2021 zurück. Eine Mehrheit der Berliner*innen hatte sich für eine Vergesellschaftung von Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen ausgesprochen. Die damalige rot-grün-rote Landesregierung beauftragte daraufhin die Expertenkommission, um eine Umsetzung zu prüfen. Vorsitzende war Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD).
Die Berliner SPD war – anders als Grüne und Linke – in dieser Frage gespalten. Es gab zwar einen Parteitagsbeschluss, der im Falle eines positiven Kommissionsvotums eine Vergesellschaftung befürwortet, aber die damalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sprach sich dagegen aus. Sie bekam dabei auch bundespolitische Rückendeckung von Kanzler Scholz und Bauministerin Geywitz – sie alle setzen lieber aufs Bauen.
Ob Berlin nach dem Kommissionsbericht tatsächlich große Wohnungsunternehmen vergesellschaftet, bleibt fraglich. Die schwarz-rote Landesregierung steht dem Vorhaben skeptisch gegenüber. Offiziell wird nun ein Vergesellschaftungsrahmengesetz erarbeitet, das zunächst vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden soll. So soll verhindert werden, dass das Gesetz wie beim Berliner Mietendeckel nachträglich gekippt werden kann.
Auch wenn oft von Enteignung die Rede ist – Vergesellschaftung ist juristisch etwa anderes. Für den Bau von Autobahnen etwa werden konkret Privatgrundstücke enteignet. Eine Vergesellschaftung zielt dagegen darauf ab, Unternehmen oder ganze Wirtschaftszweige in die Gemeinwirtschaft zu überführen. Jasmin Kalarickal
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen