Buchautor Glukhovsky über Selbstzensur: „Eine erlernte Hoffnungslosigkeit“

In seinem Roman „Outpost – Der Aufbruch“ beschreibt Dmitry Glukhovsky ein dystopisches Russland. Er hat schon vor dem Krieg begonnen zu schreiben.

Portrait des Schriftstellers Dmitry Alexejewitsch Glukhovsky

Der russische Autor Dmitry Glukhovsky lebt im Exil, das Foto entstand im Mai in Berlin Foto: Jens Gyarmaty

taz: Herr Glukhovsky, Sie sind in Russland als ausländischer Agent eingestuft. Momentan läuft ein Prozess gegen Sie wegen Verbreitung von Falschinformationen, weil Sie öffentlich den Krieg gegen die Ukraine verurteilen. Wie geht es Ihnen?

Dmitry Glukhovsky: Grundsätzlich gut, denn ich bin nicht in Russland, wo ich jetzt im Gefängnis sitzen würde. Ich bin in Freiheit und glaube, dass ich alles richtig gemacht habe. Ich habe öffentlich über Butscha gesprochen, über Irpin, über russische Kriegsverbrechen, und ich habe diesen Krieg einen Krieg genannt, was in Russland verboten ist.

wurde 1979 in Moskau geboren. In Jerusalem studierte er internationale Beziehungen und arbeitete als TV- und Radio-Journalist unter anderem für den Fernsehsender EuroNews und die Deutsche Welle. Sein Debütroman „Metro 2033“ spielt in der Moskauer U-Bahn und machte ihn international bekannt. Zuletzt erschien „Outpost – Der Aufbruch“. Glukhovsky ist in Russland als „Ausländischer Agent“ eingestuft und lebt seit dem Überfall auf die Ukraine im europäischen Exil.

Sie haben sich bereits vor dem Ukrainekrieg kritisch gegenüber Russland geäußert. Hatte das schon einmal ähnlich ernste Konsequenzen wie jetzt?

Es wurden 2021 administrative Ermittlungen gegen mich eingeleitet, als ich die Verhaftung Alexei Nawalnys kritisiert habe. Alle meine Verfilmungsprojekte in Russland wurden gestoppt. Irgendwann bekam ich über soziale Medien Todesdrohungen. Die letzten zweieinhalb Jahre waren ziemlich intensiv.

Viele russische Künst­le­r:in­nen und Au­to­r:in­nen befinden sich aktuell wie Sie im Exil in Europa. Wie viel Kritik am Putin-Regime ist innerhalb Russlands noch vernehmbar?

Es sind gar nicht so viele russische Autoren im Ausland. Wir reden vielleicht von einem Dutzend, die außerhalb Russlands für Demokratie und liberale Werte einstehen. All diejenigen, die noch die Hoffnung haben, zurückzukehren, etwa wegen ihrer Eltern, die halten sich zurück. Ich habe die Entscheidung getroffen, dass ich in dieser konkreten Lage nicht schweigen darf. Ich kann nicht so tun, als ob dieser Krieg mich nichts angeht.

Lassen Sie uns über Ihren neuen dystopischen Roman sprechen. Darin ist Russland nach einem Bürgerkrieg gespalten, ganze Landstriche sind verseucht und verwaist. Es breitet sich unter den Menschen eine Krankheit, ein Wahn aus, der mittels Wörtern übertragen wird. Sie scheinen Sprache eine große Macht zuzuschreiben.

Sprache hat unglaubliche Macht. Wörter bestimmen das Denken. Man kann das gerade in Russland sehr genau sehen, wo eine Art Orwell’scher Neusprech entsteht. Wenn du dem Regime treu bist, nennst du den Krieg nicht Krieg – sonst bist du automatisch ein Regimegegner, sondern Spezialoperation. Bei einem Krieg wären die russischen Behörden dazu verpflichtet, die Anzahl von Opfern zu veröffentlichen. Eine Spezialoperation wiederum ist Sache des Militärs, da muss überhaupt nichts öffentlich erklärt werden. Es wird ein bestimmter Wortschatz verwendet, um über die Aktionen der russischen Armee zu sprechen. Der Krieg sei eine Rettungsoperation, um die Bevölkerung vor ukrainischen Nazis zu schützen und so weiter. Wenn du deine Feinde in einer bestimmten Weise beschreibst, sind das plötzlich keine Menschen mehr, sondern legitime Ziele für Angriffe, Hinrichtungen.

Im Roman lässt der Herrscher, der Zar, vertuschen, was vor sich geht, und sogenannte Panikmacher einsperren. Ein Verweis auf heute?

In meinem Roman beschreibe ich die Auswirkungen von Hasspropaganda. Ich habe ihn vor drei Jahren geschrieben, also lange vor diesem Krieg. Als ich schrieb, dass sich Menschen über Wörter infizieren, kam mir das wie eine Übertreibung vor, mittlerweile bekomme ich aber viele Nachrichten von Leuten, die mir sagen, ich hätte die Situation genau vorausgesehen.

Sie schreiben, dass Russen generell sehr in der Vergangenheit verhaftet sind. Sie haben aber einen Roman über die Zukunft geschrieben. Warum?

Das Hauptproblem Russlands ist, dass Russlands Zukunft irgendwie immer auch Russlands Vergangenheit ist. Die aktuelle russische Regierung besteht aus Personen, die 70 Jahre alt sind und Angst vor der Zukunft haben, weil sie in dieser Zukunft keinen Platz haben. Die einzige Zukunft, die sie sich vorstellen können, ist eine nach chinesischem Modell, eine totale. Die einzigen Elemente der Zukunft, die sie attraktiv finden, ist die omnipräsente, digitale Kontrolle. Ansonsten soll Russland wie ein monarchistischer Staat funktionieren, mit einem starken Führer oben und Untertanen unten.

Werden Ihre Bücher in Russland eigentlich noch verkauft?

Ja, aber sie müssen in einem nichttransparenten Umschlag verpackt und mit dem Zusatz markiert sein, dass sie von einem ausländischen Agenten verfasst worden sind. Das diskreditiert mich natürlich, aber es stört mich inzwischen nicht mehr. „Metro 2033“, das erste Buch, das ich geschrieben habe, war im letzten Jahr das populärste Buch meines Verlags, weil es von einem Atomkrieg handelt. Die Angst vor Atomkriegen ist in Russland aktuell verständlicherweise groß.

Wie frei ist die Literatur in Russland?

Immer noch frei, aber das wird nicht mehr lange so bleiben. Das Kino ist komplett zensiert. Alles, was ausgestrahlt wird, muss vorher durch die staatliche Kontrolle, wird letztlich von Mitarbeitern des Geheimdiensts geprüft. In der Welt der Literatur fand zuletzt ein Prozess der Monopolisierung statt. Der Oligarch Oleg Novikov kontrolliert mit seinen Verlagen nun mehr als 80 Prozent des Literaturmarkts. Die Instrumente, um Literatur weitflächig zu zensieren, hat er also schon. Eigentlich hat die Literatur aber ohnehin keinen großen Einfluss, weil heute nicht mehr viel gelesen wird. Die sozialen Medien hingegen werden flächendeckend kontrolliert, Festnahmen und Erpressungen sind an der Tagesordnung und es gibt Influencer, die im Auftrag des Staats senden.

Sie sind in sozialen Medien aktiv. Bei Instagram haben Sie kürzlich geschrieben, dass der Krieg für die Ukraine ähnlich zerstörerisch sei wie für die russische Bevölkerung. Was meinen Sie damit?

Der Hauptgrund für diesen Krieg, obwohl es ein Angriffskrieg ist, mit dem Ziel, die Ukrai­ne zu unterwerfen, liegt in der Innenpolitik. Putin will jegliche Kritik an ihm und seinem Umkreis unterdrücken, demokratische Bewegungen ersticken. Vor dem Krieg dachte ich, wir müssten einfach warten, bis Putin stirbt, dann käme eine neue Welle von jungen, nach Westen orientierten Politikern, die nicht die gleichen Minderwertigkeitskomplexe wie Putin in Bezug auf den Untergang der Sowjetunion haben. Doch diese Hasspropaganda jetzt macht nachhaltig etwas mit den Menschen. Sich aus Angst und Konformismus ständig selbst zu zensieren, Lügen zu wiederholen, ist eine sehr traumatische Erfahrung, das weiß man aus der Sowjetzeit. Es schafft eine kognitive Dissonanz. Um nicht ständig in Angst zu leben, versuchst du dich irgendwann selbst zu überzeugen, dass diese Lügen wahr sind. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiges Instrument von wirklicher, nicht metaphorischer Versklavung.

Haben Sie keine Hoffnung, dass der Widerstand innerhalb Russlands gegen Putin und den Krieg wachsen wird?

Das Erbe der Sowjetzeit besteht darin, dass die Leute immer noch Angst vorm Staat haben und nicht glauben, dass sie gegen ihn aufbegehren können. Eine erlernte Hilflosigkeit. Die Demonstrationen gegen den Krieg, die es in Russland gab, gingen von Leuten aus, die eigentlich keine Hoffnung mehr hatten. Ihr Gewissen hat sie dazu getrieben, sich öffentlich gegen den Krieg zu positionieren, damit ihre Enkel ihnen nicht einmal Untätigkeit vorwerfen müssen. Einen liberalen Widerstand werden wir in Russland in der nächsten Zeit nicht sehen. Wenn die westlichen Sanktionen weiter aufrechterhalten werden, was ich richtig fände, wird vielleicht nach Putins Tod der neue Machthaber einsehen, dass es sinnvoll ist, Frieden mit dem Westen zu schließen, wofür Russland Bedingungen erfüllen muss.

Welche wären das?

Reparationszahlungen an die Ukraine und die Rückgabe der ukrainischen Territorien. Eine schnelle Lösung sehe ich nicht. Putin hat in Russland beinahe unbegrenzte Macht. Politische Aktivisten werden nicht nur bedroht, sondern auch erniedrigt, indem man ihre erzwungenen Geständnisse auf Video aufnimmt und verbreitet. Es gibt viele Arten, die Leute zu demotivieren. Hilflosigkeit ist das vorherrschende Gefühl. Einen Umschwung aktuell könnte nur ein Palaststurm oder eine Straßenrevolution bewirken.

Unwahrscheinlich, oder?

Ja. Aber vielleicht haben die Kriegsveteranen, wenn sie zurückkehren, enttäuscht und traumatisiert, wenn sie Tod und Blut gesehen haben, keine Angst mehr vorm Staat. Das ist ja auch bei der Oktoberrevolution von 1917 der Fall gewesen. Die Generation, die keine Kriege miterlebt hat, fand es unvorstellbar, gegen den Staat und den Zarismus vorzugehen. Die Leute, die zuletzt in Moskau auf die Straße gegangen sind, sind Leute aus der Mittelklasse, die sich scheuen, einen Stein in die Hand zu nehmen. Die andere Frage ist aber, wie man diese Kriegsveteranen erreichen wird. Was ihre Ziele sind, wie sie einen Umschwung herbeiführen wollen. Das wird definitiv nicht auf demokratische Art erfolgen.

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