Mutmaßliche Polizeigewalt in Hamburg: Falsch verstandene Tradition

Hamburgs Polizei schafft es nicht, ihre Taktik den realen Erfordernissen anzupassen. Sie muss sich immer prügeln.

Polizeibeamte gehen vor den Teilnehmerinnen und Teilnehmer der revolutionären 1. Mai-Demo «Kampf auf der Straße, Streik im Betrieb. Das ist unsere Antwort auf Eure Politik» auf einer Straße

Haben vielleicht auch nicht immer Bock, aber die Tradition ruft: Hamburger Po­li­zis­t*in­nen Foto: Marcus Brandt/dpaMarcus Brandt

HAMBURG taz | Der 1. Mai lebt von Traditionen und Folklore. Einerseits ist das gut: Viele, die am Kampftag der Ar­bei­te­r*in­nen auf die Straße gehen, tun dies, weil man eben am 1. Mai demonstrieren geht. Wo die Zwänge von Kapitalismus, Patriarchat und Klimazerstörung an 364 Tagen im Jahr nicht ausreichen, um die Menschen aus ihren Sofaecke hoch zu treiben, da genügt an diesem einen Tag die Besinnung auf die Tradition. Erster Mai, da ist frei, da geht man demonstrieren.

Andererseits ist es aber auch bescheuert. Dann, wenn Linken nichts Neues mehr einfällt, wenn Politgruppen bei Stalins UdSSR hängen bleiben oder linke Straßenfeste zu Sauf-und-Kauf-Märkten verkommen. Oder wenn sich Krawall-Kids mit Po­li­zis­t*in­nen durchs Viertel jagen, einfach weil es am 1. Mai dazugehört. Wobei, wenn sie es brauchen…

Allerdings scheint auch die Polizei diese Tradition zu brauchen, zumindest die Hamburger. Und das ist nicht nur bescheuert und irgendwie egal, denn Po­li­zis­t*in­nen sind eben keine aufgekratzten Jugendlichen, die sich beweisen müssen, sondern verbeamtete Erwachsene, die Waffen tragen. Wie sie sich verhalten, ist niemals egal, weil es tödliche Konsequenzen haben kann.

Dennoch schafft es die Hamburger Polizei nicht, ohne Prügelei, ohne feindselige Auseinandersetzungen, ohne die Schikanierung linker De­mons­tran­t*in­nen durch den Einsatz am 1. Mai zu kommen. Das hat die Polizeiführung dieses Jahr mal wieder bewiesen. Mit einem Großaufgebot inklusive Wasserwerfern und Räumpanzern rückten die Hundertschaften schon mittags zur kinderwagentauglichen Großdemonstration an.

Proteste kriminalisieren, schikanieren, kontrollieren

Als es, wie erwartet, keinen Grund gab, das schwere Gerät einzusetzen, drangsalierten die Po­li­zis­t*in­nen den schwarzen Block innerhalb der ansonsten schwarz-bunt gemischten Demo. Erst störte sich die Polizei an den Schlauchschals und Sonnenbrillen der Teilnehmer*innen, dann an schwarzen Coronamasken. Eine Stunde lang stand die Demo still, obwohl zu keinem Zeitpunkt ein Gewaltpotenzial seitens der Teil­neh­me­r*in­nen bestand.

Bei der anarchistischen Demo am Nachmittag ging die Schikane noch deutlich weiter. Ganze zwei Stunden lang hinderte der Einsatzleiter die Demo am Loslaufen. Schuld war erst die Vermummung, dann das eine, dann das andere Transparent, dann wieder die Vermummung und schwupps – waren zwei Stunden um und die Demo ging gar nicht mehr los.

Einfach zum Punkkonzert ins Schanzenviertel gehen sollten die Teil­neh­me­r*in­nen aber auch nicht, sie mussten da schon eskortiert werden, mit vier Po­li­zis­t*in­nen pro Demonstrant*in, als ob es gegolten hätte, eine Gewaltorgie zu verhindern. Dabei hatte die kurz vorher stattgefunden – und zwar dergestalt, dass ein Polizist einen Demonstranten mit voller Wucht umschmiss, sodass dieser schwerverletzt ins Krankenhaus kam.

Es ist verheerend, dass die Hamburger Polizei nicht in der Lage ist, das Gefahrenpotenzial von Situationen realistisch zu bewerten und ihre Taktik anzupassen, sondern auf Gedeih und Verderb bei ihrer Traditionslinie bleibt. Die gibt vor: Proteste kriminalisieren, klein halten, schikanieren, zu jedem Zeitpunkt kontrollieren, und wenn jemand ausbricht: draufhauen. Erster Mai, das geht nicht ohne Prügelei. Aber wie wäre es zur Abwechslung mal damit: Erster Mai, da mach ich – Po­li­zis­t*in – frei? Wer sich prügeln will, kann ja ins Boxstudio gehen.

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Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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