Finanzexperte Schick zur Bankenkrise: „System ist nicht stabiler als 2008“
Die Krise ist nicht vorbei, glaubt Finanzexperte Gerhard Schick – auch wenn sich die Märkte nach der Übernahme der Credit Suisse beruhigt haben.
taz: Herr Schick, müssen sich Sparer und Anleger angesichts der Turbulenzen an den Finanzmärkten Sorgen machen?
Gerhard Schick: Dazu besteht derzeit in Deutschland kein konkreter Anlass. Grundsätzlich aber ist das Finanzsystem weltweit nicht so stabil, wie es längst sein müsste.
leitet die Berliner Organisation Bürgerbewegung Finanzwende. Bis 2017 war er Finanzexperte der Grünen im Bundestag und trieb die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals maßgeblich voran.
Nach der Finanzkrise 2008 sind die Regeln verschärft worden. Wieso ist die Krise wieder da?
An der Credit Suisse zeigt sich, dass die Lehren aus der Pleite der US-Investmentbank Lehman 2008 praktisch nicht umgesetzt wurden. So gibt es kein Gesetz, das Banken verkleinert und auseinandernimmt, obwohl wir wissen: Große Banken sind große Gefahren. Alle Banken müssen zwar mehr Eigenkapital einsetzen: drei Prozent des Geschäfts, Großbanken vier bis fünf Prozent. Doch das ist nicht ausreichend. 95 Prozent des Geschäfts sind damit immer noch schuldenfinanziert.
Und wie viel Eigenkapital müsste es sein?
Mindestens 10 Prozent. Und es müsste Richtung Realwirtschaft gehen, wo im Schnitt etwa 30 Prozent mit eigenem Kapital finanziert werden. Der Bankensektor ist da unsicher aufgestellt. Und das Ganze funktioniert nur, weil die großen Banken im Krisenfall damit rechnen, dass der Staat sie wegen ihrer Größe und Bedeutung rettet – wie jetzt in der Schweiz. Dieses Problem hat man schon in der Finanzkrise vor 15 Jahren gesehen, ist es aber dann nicht angegangen.
Dann ist die Notübernahme der Credit Suisse durch die Konkurrentin UBS falsch.
Sie schafft eine noch größere Bank, die noch gefährlicher für das Finanzsystem ist, wenn sie wackelt. Eine Abwicklung wäre richtig gewesen. Eine staatliche Plattform hätte statt der UBS die Credit Suisse übernehmen und Teile verkaufen können.
Es gibt seit der Finanzkrise 2008 einen Mechanismus, wie Banken in einem Krisenfall abgewickelt werden sollen. Warum wird der hier nicht genutzt?
Möglicherweise aus Angst, dass er nicht funktioniert. Denn große Banken haben Hunderte Auslandstöchter in unterschiedlichen Rechtsräumen, umfangreiche Bücher voller komplexer Anlagen. Und es gibt eine große Nähe zwischen Politik und Aufsichtsbehörden einerseits und Kreditinstituten andererseits. Dieses Wir-Gefühl – unsere Banken, unsere Sparkassen –, dieser Kuschelkurs ist auch in der deutschen Politik verbreitet. Auch Zentralbanken und Kreditinstitute sind sich sehr nahe.
Tatsächlich wiederholen Bundesregierung, Bankenaufsicht und Bundesbank ununterbrochen, wie sicher die deutsche Bankenlandschaft ist. Wie schätzen Sie die Branche ein?
Sie müssen beschwichtigen, Vertrauen schaffen. Aber: Grundsätzlich trifft auch Deutschland, was die Institute in den USA quält. Die Zentralbanken haben die Leitzinsen wegen der Inflation schnell erhöht. Die Kreditinstitute geben die Zinserhöhung nicht vollständig an die Sparer weiter, können gleichzeitig höhere Kreditzinsen nehmen, verdienen also besser. Aber langfristige, niedrig verzinste Anleihen sind im Wert gefallen. Das wird für diejenigen Institute zum Problem, die viele davon haben.
Und wie sieht die Lage in der Eurozone aus?
Die Bankenaufsicht ist inzwischen zentralisiert, das ist gut. Was immer noch fehlt, ist eine zentrale europäische Einlagensicherung und Bankenabwicklung mit entsprechenden Vollmachten, so etwas wie die FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) in den USA. Im Krisenfall sind in der EU nationale Behörden und Politiker zuständig. Wir müssen deshalb jetzt die europäische Bankenunion vollenden. Das muss Bundesfinanzminister Christian Lindner durchziehen.
Gerade Lindners FDP und damit Deutschland bremsen hier.
Die Bankenverbände sind dagegen, dann ist es oft auch die FDP. Ich hoffe, dass die Krise in den USA und die Probleme in der Schweiz den Widerstand in Deutschland lösen. Die Erfahrung zeigt, dass Veränderungen im Bankensektor nur in Krisenzeiten und bei öffentlichem Druck möglich sind. Also jetzt. Wir müssen eine handlungsfähige Institution aufbauen, die europaweit die Einlagen sichert, bevor wir sie brauchen.
Bleibt die Credit Suisse ein Einzelfall?
Die Finanzkrise vor 15 Jahren verlief in Schüben. Erste Hedgefonds hatten 2006 Probleme, erste Banken 2007, die Öffentlichkeit nahm die Krise erst mit der Lehman-Pleite 2008 richtig wahr. Wann und wo es diesmal weitergeht, ist zwar nicht seriös einschätzbar. Es nervt aber total, dass Politik und Zentralbanken behaupten, alles sei stabil. Faktisch ist das System nicht stabiler als 2008.
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