Barbara Oertel über die Wahlen in Estland
: Klarer Sieg mit klarem Kurs

Dass sich die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas in den letzten zwei Jahren einen Vertrauensvorschuss erarbeitet hat, war schon vor der Parlamentswahl vom vergangenen Sonntag klar. Doch der haushohe Sieg ihrer rechtsliberalen Reformpartei dürfte die Erwartungen noch übertroffen haben. Eindeutig ist: Angesichts des brutalen Vernichtungskriegs, den Estlands direkter Nachbar Russland seit über einem Jahr in der Ukraine führt, setzen die Menschen auf politische Kontinuität.

Mit ihrem Diktum „Wir könnten die Nächsten sein“ hat sich Kallas ohne Wenn und Aber an der Seite der Ukraine positioniert. In Europa hat sie sich an die Spitze derer gesetzt, die beispielsweise in Sachen Sanktionen gegen Moskau Druck mach(t)en.

Diesen klaren Kurs haben die Wäh­le­r*in­nen offensichtlich goutiert und auch den Rechtspopulisten eine klare Absage erteilt. Das gilt insbesondere für die Partei EKRE. Ihr Euroskeptizismus und Antiglobalismus verfingen genauso wenig wie die plumpe Stimmungsmache gegen Mi­gran­t*in­nen und ukrainische Geflüchtete, mit der EKRE hoffte, bei der russischstämmigen Minderheit punkten zu können. Auch die Vereinigte Linkspartei im Verbund mit der Bewegung Koos, beide nichts anderes als Wladimir Putins nützliche Idioten, blieb eine marginale Größe.

So überzeugend der Sieg der Reformpartei auch ist: Ob er Kallas zu einer weiteren Amtszeit als Regierungschefin verhelfen wird, ist nicht ausgemacht. Es könnte auch ein Déjà-vu geben: Auch 2019 war Kallas Bestplatzierte, musste aber ob politischer Querelen erst mal anderen Parteien den Vortritt lassen, um schließlich 2021 Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Wer auch immer die künftige Koalition stellen wird: Nicht zuletzt wird es auch darum gehen, den Angehörigen der russischen Minderheit, die in besonderem Maße von der angespannten Wirtschaftslage mit einer Inflation von 18 Prozent betroffen ist, ein Angebot zu machen. Denn eins ist klar: Auch an dieser Front wird Russlands Krieg weitergehen.

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