Parlamentswahl in Estland: Kallas darf jubeln

Die siegreiche Partei der Ministerpräsidentin muss sich aber Koalitionspartner suchen. Die unterlegene EKRE-Partei fordert hingegen eine Untersuchung der Onlinewahl.

Estlands Premierministerin Kaja Kallas nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses Foto: reuters

TARTU taz | „Tallinn hat ein klares Zeichen ans Ausland gesandt: Estland kann man vertrauen“, heißt es am Montag auf der estnischen Webseite Postimees zum Ausgang der Parlamentswahl vom Sonntag. Klare Siegerin mit 31,2 Prozent der Stimmen ist die rechtsliberale Reformpartei von Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Sie wird voraussichtlich 37 der 101 Abgeordneten im Riigikogu stellen. Fünf weitere Parteien ziehen ins Parlament ein: 17 Sitze gehen an die rechtspopulistische EKRE, die 16,1 Prozent erreichte. Klarer Verlierer sind die Zentristen, die bis 2022 an der Regierung beteiligt waren. Sie stürzten von 23,1 auf 15,3 Prozent ab und werden nur noch 16 Abgeordnete haben.

Neben den Sozialdemokraten (9,3 Prozent) und der konservativen Partei Isamaa (Vaterland) übersprang erstmals auch die 2018 gegründete liberale Partei Eesti 200 (Estland 200) die Fünfprozenthürde. Sie erreichte 13,3 Prozent und schickt 14 Abgeordnete ins Parlament. Die Wahlbeteiligung lag mit 63,5 Prozent nur knapp unter der von 2019. Die Es­t*in­nen hatten schon seit Montag abstimmen können – auch online. Das nutzten 50,9 Prozent der Wähler*innen.

Die Wahl in dem 1,3-Milionen-Einwohnerstaat – rund 25 Prozent der Bevölkerung sind russischstämmig – stand auch ganz im Zeichen von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Estlands Regierung hat sich von Beginn an klar an der Seite Kyjiws positioniert. Kallas ist eine der lautesten Stimmen, wenn es um die Verschärfung von Sanktionen gegen Moskau geht. Tallinn ist in Sachen Hilfslieferungen an die Ukraine mit 1,1 Prozent des BIP Spitzenreiter und stellt Waffen und Munition zur Verfügung. Gleichzeitig wurde eine Erhöhung der Ausgaben für das eigene Militär um eine Milliarde Euro auf den Weg gebracht.

Den Krieg versuchte auch die EKRE in Stimmen für sich umzumünzen. Die euroskeptische und globalisierungskritische Partei warf der Regierung vor, Estlands Verteidigungsfähigkeit zu gefährden. Sie buhlte mit Stimmungsmache gegen ukrainische Geflüchtete – Estland hat rund 50.000 aufgenommen – auch um Zustimmung unter russischstämmigen Wählerinnen. Das Kalkül ging nicht ganz auf.

EKRE-Chef spricht von „gestohlenem Sieg“

Noch am Wahlabend kündigte der EKRE-Chef und Spitzenkandidat Martin Helme an, die Ergebnisse der Online­abstimmung vor Gericht anfechten zu wollen. Es sei Manipulation im Spiel gewesen. Seine Partei hingegen habe alles ehrlich über die Bühne gebracht, „im Gegensatz zu denjenigen, die uns unseren verdienten Sieg gestohlen haben“.

Hoffentlich führten solche Äußerungen nicht zur Erstürmung des Parlaments wie seinerzeit in den USA, bemerkt dazu die estnische Webseite Postimees. Doch davon abgesehen, müsse sich die neue Koalition mit denjenigen auseinandersetzen, die für EKRE gestimmt hätten. Und nicht nur mit ihnen, sondern vor allem auch mit der russischen Minderheit.

So zeigt das Wahlergebnis einmal mehr, dass die Gesellschaft in Estland immer noch stark gespalten ist. So war beispielsweise die Wahlbeteiligung in der östlichen Region Ida-Wirumaa, wo Russischstämmige die Mehrheit stellen, die Wahlbeteiligung mit 53,1 Prozent landesweit am niedrigsten. Die meisten Stimmen gingen hier an den Vertreter der Bewegung der Putin-freundlichen Bewegung Koos (Zusammen,) Aivo Peterson, sowie den ähnlich Moskau-affinen unabhängigen Kandidaten Michail Stalnuchin. Für ein Mandat reichte es bei beiden nicht. Am Montag galt als wahrscheinliche Variante eine Koalition der Reformpartei mit Eesti 200 und den Sozialdemokraten. Letztere sitzen seit 2022 mit in der Regierung.

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