Unionspapier zur Migration: Altes Thema, neuer Sprengstoff

Nach internem Streit will die Unionsfraktion über ein Positionspapier zur Migration abstimmen. Es scheint, ein Kompromiss ist gefunden. Erst einmal.

Serap Güler steht an einem Podium und spricht

Serap Güler will beim Chancenaufenthaltsrecht der Bundesregierung nicht mit Nein stimmen Foto: Malte Ossowski/SVEN SIMON/imago

BERLIN taz | Bei der CDU ist ein altbekanntes Thema zurück – nicht nur, wenn Friedrich Merz oder Jens Spahn in Talkshows auf den Putz hauen. Knapp 1.000 versammelte Parteimitglieder, bei einer Regionalkonferenz in Münster gerade nach den größten Herausforderungen für Deutschland gefragt, nannten zwar auch Themen wie „Klimawandel“ und „Digitalisierung. Aber am Ende stach „Migration“ groß und fett aus der entstandenen Wortwolke hervor.

Auch in der Bundestagsfraktion der Union stand das Thema zuletzt immer wieder auf der Tagesordnung. Dass die Ampel verschiedene Gesetze dazu auf den Weg gebracht hat, war nur der Anlass. Schnell war klar: In der Fraktion hat das Thema, das die Gemeinschaft von CDU und CSU 2018 an den Rand der Spaltung gebrachte hatte, weiterhin enormes Konfliktpotenzial. Und das liegt nicht nur an der CSU.

Auch zwischen eher konservativen und eher liberalen Christ­de­mo­kra­t*in­nen ist es höchst umstritten. Wobei es neben der Inhalte oft auch um den Ton geht, in dem die Debatte geführt werden soll – also darum, wie populistisch es bei der CDU zugehen darf. Und natürlich spielt die AfD eine Rolle, die mit ihrer Hetze gegen Geflüchtete und Mi­gran­t*in­nen erstarkte und der CDU am rechten Rand Stimmen abnimmt. Wofür aber die Partei im Jahr 2023 beim Thema Migration wirklich steht? Das ist unklar.

Merz will Konflikt in Fraktion abräumen

Partei- und Fraktionschef Merz versucht nun, den Konflikt in der Fraktion abzuräumen. Zerstrittenheit kommt in der Bevölkerung nicht gut an. Und ist auch keine gute Grundlage, wenn man Ober­bür­ger­meis­te­r und Land­rä­tin­nen für Ende März medienwirksam quasi zu einem alternativen Flüchtlingsgipfel einlädt, 700 Leute insgesamt. Deshalb sollen die Abgeordneten an diesem Dienstag über ein Papier ihres geschäftsführenden Vorstands beraten.

Der Titel: „Für Humanität und Ordnung in der Asyl- und Flüchtlingspolitik“. Darin bekennt sich die Union zum Grundrecht auf Asyl und zur Genfer Flüchtlingskonvention. Doch dann geht es vor allem darum, die Zahl der ankommenden Flüchtlinge zu senken. „Damit Deutschland seiner humanitären Verantwortung gerecht werden kann, muss irreguläre Migration begrenzt und durch wirksame Maßnahmen spürbar verringert werden“, heißt es.

Dazu sollen die EU-Außengrenzen dichter gemacht, die europäische Grenzschutzagentur Frontex ausgebaut, Asyl-Entscheidungszentren an den EU-Außengrenzen eingerichtet werden. Bis es ein gemeinsames Asylsystem gibt, um das in der EU seit Langem erfolglos gerungen wird, sollen Kontrollen auch an den deutschen Grenzen und Transitzonen möglich sein, in denen sich „Asylbewerber ohne Bleibeperspektive“ während eines beschleunigten Verfahrens aufhalten müssen.

Zudem wird die Schaffung einer Bundesagentur für Einwanderung gefordert, die den Zuzug von ausländischen Fachkräften regeln soll. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll nur noch für Asyl­be­wer­be­r*in­nen zuständig sein. So will die Union beides strikt voneinander trennen. Auch heißt es: „Ein Spurwechsel oder gar eine ‚Wahlfreiheit‘ zwischen Asylverfahren und Erwerbsmigration ist grundsätzlich nicht mehr notwendig.“

Streit in Fraktion längst entbrannt

Diese Formulierung dürfte bewusst gewählt worden sein. Sie lässt unterschiedliche Deutungen zu. Dass die Union ganz grundsätzlich gegen einen Spurwechsel ist, für die einen. Für die anderen: Dass dies erst zukünftig gilt. Und damit könnte man jetzt langjährig geduldeten und gut integrierten Flüchtlingen ein Aufenthaltsrecht und einen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Wie es die CDU in NRW und Niedersachsen befürwortet. Doch an dieser Frage hatte sich im Dezember ein massiver Streit in der Fraktion entzündet.

Das Chancenaufenthaltsrecht, das die Bundesregierung da im Bundestag zur Abstimmung gestellt hatte, sieht genau diese Möglichkeit vor. Die Fraktionsspitze wollte die Abgeordneten auf ein Nein einschwören. Doch 19 von ihnen fanden das Vorhaben „sinnvoll und pragmatisch“, wie sie schriftlich erklärten – und enthielten sich. Ex-Gesundheitsminister Herrmann Gröhe, Serap Güler, die frühe NRW-Integrationsstaatssekretärin und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas waren dabei.

19 Abgeordnete, das sind nur zehn Prozent der Fraktion. Aber ihr Ausscheren ließ sich auch so verstehen, dass sie nicht bereit sind, alles mitzumachen. Wieder stand die Fraktion beim Thema Migration zerstritten da. Um die Lage zu beruhigen, wurden drei fraktionsoffene Sitzungen angesetzt, in denen die Abgeordneten mit Ex­per­t*in­nen diskutieren. Die erste zum Thema Migration hat bereits stattgefunden. Auch das Positionspapier soll die Fraktion einen – und das scheint auch gelungen zu sein.

Von den 19 Ab­weich­le­r*in­nen jedenfalls ist kaum Kritik zu hören. Sie scheinen eher der Ansicht zu sein, etwas bewirkt zu haben. Öffentlich äußern wollen sich die meisten nicht. Nur Hermann Gröhe, der selbst dem Fraktionsvorstand angehört, sagte der taz: „Das ist eine Positionsbeschreibung in Inhalt und Sprache, die geeignet ist, von der Union in großer Gemeinsamkeit vertreten zu werden.“ Ausgespart in dem Papier ist unter anderen das Staatsbürgerschaftsrecht. Auch dazu kommt bald ein Gesetzesvorstoß der Ampel, eine fraktionsoffene Sitzung am Dienstagabend soll neuen Konflikten vorbeugen.

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