„Der SPD droht die Verzwergung“

Die Berliner Jusos wollen eine Koalition mit der CDU mit allen Mitteln verhindern. Juso-Chefin Taşan-Funke erklärt die Kampagne

Interview Timm Kühn

taz: Frau Taşan-Funke, am Samstag haben die Jusos eine große Kampagne angekündigt, um für ein „Nein“ der SPD-Basis zum schwarz-roten Koalitionsvertrag zu werben. Warum ist die CDU ein untragbarer Koalitionspartner?

Sinem Taşan-Funke: Eine CDU-geführte Regierung wäre ein Rückschritt für diese Stadt. Ihr konservatives Menschenbild ist mit unserem Grundverständnis der SPD als linke, progressive Volkspartei nicht vereinbar. Die CDU Berlin kann die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern. In ihrem destruktiv geführten Wahlkampf hat sie Berlin schlechtgemacht, ist mit rassistischen Tönen auf Stimmenfang gegangen und hat Au­to­fah­re­r:in­nen gegen die Mobilitätswende aufgebracht. Wer sich so unversöhnlich gibt, kann keine Interessen zusammenbringen und nicht für Fortschritt stehen.

Was droht Berlin – und der SPD – unter einer schwarz-roten Koalition?

Die Stadt würde in einer Law-and-Order-Politik versinken, die alle kriminalitätsbelasteten Orte – etwa in Neukölln – videoüberwachen lässt. Die CDU sucht die Probleme dieser Stadt bei Minderheiten, wie Kai Wegner im Wahlkampf vorgemacht hat. Der SPD droht die Verzwergung. Vor allem drohen wir den Anschluss an die jüngeren Menschen dieser Stadt zu verlieren. Bei den unter 24-Jährigen haben ja nicht einmal 23 Prozent CDU und SPD gewählt.

Auch Franziska Giffey ist Fan von Law-and-Order-Politik. Unter Rot-Grün-Rot hat sich die SPD-Spitze immer wieder gegen linke Politikansätze gestellt, etwa beim Umgang mit dem Enteignen-Volksentscheid, bei der Verkehrswende oder eben in der Innenpolitik. Ist da eine Koalition mit der CDU nicht eigentlich folgerichtig?

Ich teile die Grundannahme dieser Analyse nicht. Die vergangene Koalition hat Leuchttürme linker Politik durchgesetzt. Sie hat in der Energiekrise beispielhafte Entlastungen für die Bür­ge­r:in­nen verabschiedet und sich im Bundesrat zum Beispiel für eine Übergewinnsteuer eingesetzt. Das waren wichtige Signale, die es unter konservativer Regierungsbeteiligung nie gegeben hätte. Auch die Weiterführung des 9-Euro-Tickets ist ein Meilenstein linker Regierungsarbeit.

Was müsste sich in einer Fortführung von Rot-Grün-Rot denn ändern?

Wir müssen uns wieder auf eine gemeinsame Erzählung verständigen. Das ist zuletzt verloren gegangen. Der Krach, den es in der vorherigen Koalition gegeben hat, hat der Zukunftsfähigkeit von linken Bündnissen nicht gutgetan. Da tragen aber alle drei Parteien eine Mitschuld. Wir glauben deshalb, dass es personell bei allen Parteien so nicht weitergehen kann. Wenn Vertrauen verspielt wurde, müssen Köpfe ausgetauscht werden.

Verhandlungen Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD schreiten voran. Spätestens Anfang April soll der Koalitionsvertrag stehen. Über diesen stimmt die CDU anschließend bei einem Parteitag, die SPD in einem Mitgliedervotum ab.

Widerstand Die Jugendorganisation der SPD, die Jusos, lehnen Schwarz-Rot ab. Auf einer Juso-Konferenz am Samstag stimmte eine große Mehrheit der Delegierten für eine Kampagne „NoGroKo – Berlin geht nur mit links".

Giffey in Pankow Obwohl eingeladen, erschien Giffey nicht bei den Jusos. Stattdessen warb sie in Pankow für Schwarz-Rot – erfolgreich: 69 von 94 Mitgliedern des Kreisverbands sprachen sich für Schwarz-Rot aus, 24 dagegen. Zuvor abgelehnt hatte Schwarz-Rot Giffeys eigener Kreisverband Neukölln. (tk)

Also richtet sich die Juso-Kampagne auch gegen die amtierende SPD-Parteispitze?

Nein. Unsere Kampagne ist darauf ausgerichtet, das Rückschrittsbündnis Schwarz-Rot zu verhindern. Personaldiskussionen kann man zu einem anderen Zeitpunkt führen.

Wenn das Ziel der Jusos aber Rot-Grün-Rot ist, dann steht vor allem Franziska Giffey im Weg.

Zunächst müssen wir ausloten, was Schwarz-Rot im Weg stehen kann. Und da erlebe ich, dass die Personalfrage an der Basis eine eher untergeordnete Rolle spielt. Es geht um die Frage, ob wir uns hier in Berlin an die CDU ketten, die von den eigenen Reihen eher auf der Linie von Friedrich Merz und Hans-Georg Maaßen und nicht etwa von Angela Merkel beschrieben wird.

Laut Giffey ist ein „Nein“ zu Schwarz-Rot ein „Ja“ zur Opposition, weil die CDU dann mit den Grünen koalieren würde. Angenommen, das stimmt: Ist es immer noch besser, unter Schwarz-Grün in die Opposition zu gehen, als mit der CDU zu koalieren?

Ja. In einer Regierung braucht man immer eine eigene Idee, wo es hingehen soll. Eine Regierungsbeteiligung aus einer Verhinderungslogik heraus lehne ich ab. Wir haben keine Angst vor der Opposition.

Sinem Taşan-Funke im Willy Brandt-Haus (unten rechts) Foto: Fabian Sommer/dpa

Sie und die Jusos wollen Schwarz-Rot „mit allen Mitteln“ verhindern. Wie soll das konkret aussehen?

Wir haben eine Kampagnenseite gelauncht, wo sich Menschen als Un­ter­stüt­ze­r:in eintragen können, um zu zeigen: Nicht nur die jüngeren Mit­glie­der:in­nen lehnen die CDU ab. Dort wird es bald auch Testomonials bekannter SPDler geben. Wir werden außerdem in alle Untergliederungen der SPD gehen, um dort für unsere Sache Werbung zu machen. Wir verstehen das explizit als breit angelegten Diskussionsprozess. Wir wollen auch mit Menschen in Kontakt kommen, die eine Koalition mit der CDU befürworten.

Wie nehmen Sie die Stimmung an der Basis wahr?

Als sehr kritisch. Auf einem Mitgliederforum in Tempelhof-Schöneberg habe ich kürzlich mit vielen langjährigen Ge­nos­s:in­nen gesprochen, die wissen, wie es ist, mit der CDU zu regieren. Niemand war enthusiastisch für Schwarz-Rot. Die SPD-Spitze in Berlin verkalkuliert sich, was die Stimmung an der Basis angeht.