Angst vor mehr russischen Angriffen: Putins große Show zum Jahrestag
Die russische Propaganda läuft auf Hochtouren. In der Ukraine fürchtet man Putins Vorliebe für Symbole – und damit eine Großoffensive zum Jahrestag.
Das Mädchen steht stramm vor der russischen Trikolore. „Mein lieber Onkel Sascha, du bist bei der militärischen Spezialoperation, du bist so weit von zu Hause weg, du tust deine ehrenvolle Pflicht, wir sind stolz auf dich.“ Irgendjemand hat das Kind im Haus der Kulturen im Dorf Golowino gefilmt, knapp 20 Kilometer weiter verläuft die ukrainische Grenze, der Krieg ist nah, das Mädchen strahlt in die Kamera.
Sie fährt fort mit dem auswendig gelernten Gedicht im Dienst der russischen Kriegspropaganda. Und lässt sich ausstellen. Wie auch andere Kinder und Jugendliche, die so ihren „Stolz“ auf „unsere Helden“ ausdrücken. „Wir warten nur mit einem Sieg auf euch.“
Die Kremlpartei Einiges Russland lässt zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine – den das Land als „Vertretung eigener Interessen“ bezeichnet – Junge und Alte auftreten. „Unseren Helden“ hat sie die Aktion genannt, im Russischen verbergen sich im Wort „unser“ die drei Buchstaben, mit dem die sogenannte „Spezialoperation“ abgekürzt wird, SWO. Der Begriff ist alltäglich geworden, als stünden dahinter nicht Tod und Verderben.
Auf Geheiß der Partei sollen die Menschen Ermunterungsrufe für die Armee aufnehmen. Es ist eine Ansammlung der offiziellen Floskeln von „Die Kraft liegt in der Wahrheit“ bis „Der Sieg wird unser sein“. Manche Frauen und Kinder haben sich Uniformen angezogen und posieren so vor der Kamera.
Kinder, Frauen, Veteranen im Dienst der Propaganda
Die föderale Jugendagentur nennt ihre Aktion ähnlich: „Unsere Helden“. Während der ganzen Woche soll es quer durchs Land allerlei ideologisch aufgeladene Veranstaltungen geben: Soldaten, die aus der Ukraine zurückgekehrt sind, sollen vor Schulklassen auftreten, manche von ihnen sollen offenbar auch mit den Veteranen des Zweiten Weltkriegs zusammenkommen, alten, gebrechlichen Männern, für die sich der Staat vor allem dann zu interessieren scheint, wenn diese für sein Heldenepos von Nutzen sind.
Es soll Graffiti-Kurse für Jugendliche geben, um die Gesichter Gefallener zu malen. Schüler sollen Briefe an Soldaten schreiben, Kindergartenkinder Bilder malen. Das Moskauer Siegesmuseum stellt Trophäen aus dem Krieg in der Ukraine aus und bewirbt diese, als sei das ein einzigartiger Schatz.
Als erfolgreich wird auch die Aktion „Stricksocken“ beworben: Dabei treffen sich Frauen in verschiedenen Kultureinrichtungen und stricken Socken für ihre Männer, Söhne, Väter – mit einem dicken Z, dem Symbol von Russlands Vernichtungskrieg. Auch Kerzen für die Schützengräber sollen her: Die Jugendagentur bittet um Metalldosen, Karton und Paraffin.
Das „wichtigste Ereignis“, so die Organisatoren, sei das „feierliche Konzert“ im Moskauer Sportstadion Luschniki am Mittwoch. „Für echte Patrioten“, heißt es in der Ankündigung. Auch Präsident Wladimir Putin soll auftreten.
Raketen im Alltag
Putin liebe Symbolik, also sei am 24. Februar jedes Szenario denkbar, glauben viele Ukrainer*innen, denen alles andere als nach Feiern zumute ist. „Für am wahrscheinlichsten halte ich weitere massive Raketenangriffe“, sagt die 25-jährige Olesja aus Kyjiw. Sie ist erst vor Kurzem aus Tschechien zurückgekehrt, wo sie die letzten neun Monate verbracht hat.
Die Meinung der jungen Frau ist in Kyjiw weit verbreitet. „Sie sind so berechenbar, dass sie durchaus Raketenangriffe starten können, weil sie denken, dass uns das erschrecken oder schockieren wird, so wie im Morgengrauen vom 24. Februar, vor einem Jahr“, sagt Tatjana, die die ganze Zeit seither in Kyjiw verbracht hat. „Aber dieser schreckliche Morgen darf sich nicht wiederholen“, fährt die 42-Jährige fort. „Es klingt furchtbar, aber in den vergangenen zwölf Monaten sind Raketenangriffe zu einem Teil unseres Kriegsalltags geworden.“
Gleichzeitig ist in Kyjiw oft die Meinung zu hören, dass Russland einen weiteren Angriffsversuch auf die ukrainische Hauptstadt unternehmen und die ukrainische Grenze im Norden des Landes durchbrechen könnte. „Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten kühnen Äußerungen des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gegenüber westlichen Journalisten ist ein solcher Versuch nicht auszuschließen“, glaubt Andrei.
„Aber unsere Armee ist im vergangenen Jahr viel schlagkräftiger geworden, ja, die gesamte Verteidigung ist stärker geworden, und alle haben die Gräultaten noch vor Augen, die die Besatzer in Irpin und Butscha verübt haben. Wenn die Russen erneut versuchen, dort einzumarschieren, erwartet sie ein Blutbad unserer Jungs“, ist der 27-Jährige überzeugt, der 2017 bis 2019 im Donbass gekämpft hat.
Das schwierigste Jahr
Der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, Oleksi Danilow, hat vor Kurzem erklärt, dass der Kreml „bestimmte Aktionen vorbereitet“, weil er „Daten liebt“. „Am 24. Februar möchte Russlands Regierung ihren Bürgern von Erfolgen berichten“, glaubt Danilow.
Gleichzeitig erklärte der Verteidigungsminister der Ukraine, Oleksij Resnikow, dass sich Russland angesichts der Konzentration seiner Truppen entlang der ukrainischen Grenzen auf eine große Offensive vorbereite: „Sie kann in zwei Richtungen durchgeführt werden: im Donbass oder im Süden.“ Auch Präsident Wolodimir Selenski rechnet in naher Zukunft mit Veränderungen im Kriegsverlauf.
„Dieses Jahr wird das schwierigste in der Geschichte der unabhängigen Ukraine sein. Es gibt das Gefühl, dass am 24. Februar ein neues Jahr für die Ukraine beginnt. Wir wollen, dass dieses Jahr ein siegreiches ist. Wir glauben daran und tun alles dafür“, sagte er bei einem Briefing am 15. Februar.
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