FDP-Spitzenkandidat über Koalitionen: „In Zehlendorf sind das andere Grüne“

Sebastian Czaja (FDP) setzt bei der Wiederholungswahl auf ein Bündnis mit CDU und SPD. Zusammenarbeit mit den Grünen kann er sich nicht vorstellen.

Sebastian Czaja, Spitzenkandidat der Berliner FDP

Sebastian Czaja, Spitzenkandidat der Berliner FDP, hofft auf Prozente Foto: Bernd Weißbrod/dpa

taz: Herr Czaja, wird am 12. Februar überhaupt gewählt?

Sebastian Czaja: Ja.

So sicher sind Sie? Obwohl es möglich ist, dass das Bundesverfassungsgericht das Berliner Urteil zur Wahlwiederholung noch kippt?

Das ist ja ein völlig legitimes Verfahren, dass man Dinge, die ein Gericht entschieden hat, noch mal hinterfragt. Dennoch gehe ich davon aus, dass wir am 12. Februar wählen. Und wie Sie draußen an den vielen Plakaten sehen können, bereiten sich auch alle anderen Parteien darauf vor und machen Wahlkampf.

Sie selbst wollen ja die Wiederholung, auch weil Sie dann danach mitregieren möchten. Mitglieder Ihrer Fraktion aber gehören zu denen, die zum Bundesverfassungsgericht gegangen sind.

Wir haben eine Situation, wo tatsächlich zwei Parlamentarier der FDP sich der Verfassungsbeschwerde angeschlossen haben neben ganz vielen SPD Parlamentariern und …

na ja, ganze drei, darunter allerdings Ex-Finanzsenator Matthias Kollatz.

Sebastian Czaja, 39, ist Fraktionsvorsitzender der FDP und erneut Spitzenkandidat bei der Abgeordnetenhauswahl. Er wuchs in Marzahn-Hellersdorf auf und lebt inzwischen in Zehlendorf. Nicht zu verwechseln ist er mit seinem Bruder Mario, 47, CDU-Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär der Christdemokraten auf Bundesebene.

… das ist deren ganz persönliche, private Entscheidung. Es ist aber keine Position der FDP Berlin und keine Position der Fraktion hier im Abgeordnetenhaus. Wir glauben, dass in diesem Scheitern große Chancen liegen. Denn das Chaos in der Stadt, das seinen Höhepunkt mit der gescheiterten Wahl hat, ist ein Weckruf für uns Berlinerinnen und Berliner, die Dinge neu zu verhandeln und grundsätzlich anzugehen.

Sie streben ja eine bürgerliche Koalition mit der CDU an. Wenn man aber die jetzigen Umfragewerte zusammenrechnet, dann fehlen da noch rund 20 Prozent zu einer Mehrheit im Parlament.

Wir gehen davon aus, dass die Union höchstwahrscheinlich vorne liegen wird, was sich so in Umfragen abzeichnet. Es darf gegen die CDU als Wahlsiegerin nicht wieder eine Linkskoalition gebaut werden, wie das 2017 schon mal in Bremen geschehen ist. Deshalb braucht es eine starke FDP an der Seite der CDU, mit der wir gemeinsam die Reformen in der Stadt angehen wollen.

Trotzdem fehlt da noch ein dritter Partner. Sie haben dafür jüngst die Grünen ausgeschlossen, als Koalitionspartner bliebe also nur die SPD. Warum machen Sie das?

Mir fehlt die Vorstellungskraft, wie es gelingen soll mit Grünen, die in Berlin für Enteignung stehen, die die Citymaut wollen und das Auto in der Innenstadt grundsätzlich verbieten möchten. Interessant zu sehen ist, dass die CDU sich eine Zusammenarbeit mit den Grünen anscheinend problemlos vorstellen kann – mir erschließt sich noch nicht, wie man mit denen in diesen Fragen Politik machen soll.

Wieso nicht? Das geht doch auf Bundes- genauso wie auf Bezirksebene. In Steglitz-Zehlendorf haben Sie als dortiger FDP-Vorsitzender 2021 ja selbst die Gespräche mit den Grünen geführt.

Wir haben dort aber Grüne, die dem Realo-Flügel angehören. Mit denen haben wir verabreden können, Eigentum zu schaffen, die Schloßstraße als Einkaufsstraße nicht zu einer zweiten gesperrten Friedrichstraße zu machen und die Uferwege am Wannsee nicht zu enteignen.

Und nur 13 Kilometer vom Rathaus Zehlendorf entfernt soll das im Abgeordnetenhaus nicht möglich sein?

In Zehlendorf sind das völlig andere Grüne als die, die wir in der Breite der Stadt erleben. Deshalb ist der Unterschied schon genau so zu beantworten, wie ich es gerade gemacht habe.

Aber die Grüne, mit der Sie dort die Zusammenarbeit vereinbart haben, Susanne Mertens, ist inzwischen Grünen-Landesvorsitzende.

Parteien sind ja nicht allein von Einzelpersonen geprägt,

was man auch anders sehen kann

… sondern immer durch einen Abwägungsprozess der gesamten Parteiführung und Mitgliedschaft.

Woher kommt denn die Hoffnung, dass es für eine Linkskoalition nicht wieder für eine Mehrheit reicht? In den Umfragen ist das trotz aller Probleme weiter so.

Diese Wahl ist ja ein Weckruf. Und wer die letzten sechs Jahre Rot-Rot-Grün und Rot-Grün-Rot erlebt hat, der muss eben auch festhalten, dass diese Koalition an vielen Stellen nicht schafft, was dringend notwendig gewesen wäre, nämlich eine ernsthafte Verwaltungsreform auf den Weg zu bringen, die Frage der Wohnungsnot in Berlin zu lösen, die Anspannung in unserem Straßen aufzulösen.

Ihre Argumentation mit dem Weckruf klingt kaum anders als im Sommer 2021, als es auch schon viele Probleme gab und es doch erneut zu einer Mehrheit für eine Linkskoalition kam.

Wissen Sie was? Die Argumentation klingt auch nicht viel anders als 2016. Damals habe ich in dieser Stadt einen Wahlkampf gemacht mit der Überschrift „Riskieren wir, dass etwas funktionieren könnte“. Passiert ist aber nichts.

Das Thema Verwaltungsreform haben vor der Wahl nun fast alle Parteien für sich entdeckt. Für Sie gehört dazu, die Stadträte abzuschaffen also quasi die Minister in den Bezirksämten, und fast alles zentral zu regeln. Warum sollen die Dinge besser laufen, wenn der Blick von vor Ort fehlt?

Ich habe in meinen politischen und auch in meinen wirtschaftlichen Erfahrungen als Bürger dieser Stadt immer wieder erlebt, dass sich diese Doppelstrukturen wechselseitig im Weg stehen. Und wenn der Stadtrat in einem Bezirk nicht das gleiche Parteibuch hat wie die Bildungssenatorin oder der Stadtentwicklungssenator, kommt es dazu, dass man sich gegenseitig blockiert statt voranbringt. Das ist aber genau das, was uns Berliner so tierisch nervt, dieses Pingpong, dieses dauernde Hin und Her zwischen den Ebenen.

Verwaltungs-Pingpong beklagen Politiker seit Jahrzehnten, geändert hat sich wenig.

Wir können nicht stolz darauf sein, dass die FDP die letzten 30 Jahre nicht mitregiert hat. Aber wir haben dieses Chaos nicht angerichtet. Wir würden gern Verantwortung übernehmen, um dieses Chaos endlich aufzuräumen.

Warum liegt denn die FDP trotzdem in den jüngsten Umfragen nur bei 5 beziehungsweise 6 Prozent und muss erneut darum bangen, an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern?

Warten wir doch mal das Wahlergebnis ab.

Können wir machen. Sie können aber auch erklären, warum es allen Missständen zum Trotz keine größere Wechselstimmung und keinen Boom der FDP gibt.

Die Diskussion kenne ich von der Wahl 2016, die kenne ich von 2021. Am Ende sitze ich vor Ihnen und wir haben steigende Ergebnisse von über 7 Prozent erzielt. Und genau das ist auch unser Wahlziel. Je stärker das Ergebnis für die FDP, desto stärker das Mandat, wieder diese Verwaltung zu modernisieren.

Mitten in den Wahlkampf hinein ist die Debatte über die Ausschreitungen der Silvesternacht geplatzt. Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel hat dazu im taz-Interview erneut ein Böllerverbot gefordert.

Es ist eine Phantomdiskussion, die geführt wird.

Wieso? Kein Böller, keine Munition für Attacken.

Zum einen wurde nicht nur mit Böllern attackiert, sondern auch mit einem Feuerlöscher oder mit Eisenstangen. Zum anderen müssen wir uns doch mit den Ursachen auseinandersetzen, nicht nur die Symptome bekämpfen. Wir haben in dieser Stadt ein Problem, wenn der 1. Januar zum 1. Mai wird, wenn wir erleben, dass Rettungs-, Ordnungs- und Einsatzkräfte angegriffen werden, und das nicht nur in der Silvesternacht, sondern auch unterjährig. Da müssen wir uns doch zuallererst die Frage stellen: Gibt es ein politisches Klima in der Stadt, was das still toleriert? Wer steht eigentlich hinter unseren Einsatzkräften? Ich stehe auf der Seite derer, die jeden Tag in dieser Stadt ihren Dienst leisten.

Das ist aber auch bei Innensenatorin Iris Spranger von der SPD so, die Polizisten immer „die Kollegen“ nennt.

Selbst wenn man Frau Spranger das zugestehen möchte – wie oft haben wir in dieser Stadt eher diskutiert, dass wir die Beweislastumkehr einführen, wenn es um unsere Rettungs- und Ordnungskräfte geht, dass die sich erst mal zu rechtfertigen haben? Was hat das mit der Hemmschwelle ihnen gegenüber gemacht?

Warum nicht beides tun – darüber reden und gleichzeitig aber auch Böller verbieten? Umso mehr, weil Ursachenforschung dauert, das nächste Silvester aber in weniger als 360 Tagen kommt.

Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn wir Böllerverbotszonen einrichten. Doch die müssen so organisiert sein, dass das Recht durchgesetzt werden kann und nicht ad absurdum führt. Aber mir scheint, dass man mit einem Böllerverbot einen Haken an die Sache machen und nicht mehr darüber reden will, warum das alles passiert ist.

Manche befürchten, eine Debatte werde zur Stigmatisierung von Migranten genutzt.

Darum geht es doch gar nicht, dass hier jemand irgendjemand stigmatisieren will. Hier geht es doch um etwas ziemlich Grundsätzliches, nämlich darum, dass egal welcher Nationalität, egal welcher Staatsbürgerschaft, sich jeder an die Regeln in unserem Land zu halten hat. Nicht darüber zu reden heißt, eine Diskussion abzuwürgen, die wir dringend brauchen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.