Alltag mit Migrationshintergrund: Moritz Moppelpo böllert nicht
Meine Kinder erfüllen die Erwartungen, die an ihren Migrationshintergrund gekoppelt sind, oft nicht. Alltägliche Diskriminierung erlebe ich trotzdem.
D ie Jungs mit Migrationshintergrund, mit denen ich zusammenwohne, wollten dieses Jahr gar nicht böllern. Ich war ein bisschen enttäuscht, weil ich – entgegen aller ökologischen Vernunft und Empathie für unsere Haustierchen – eine heimliche Schwäche für Verschwendung und bunt explodierendes Zeug habe. In unserem Viertel hat es trotzdem ganz ordentlich gerummst.
Und das mit dem Migrationshintergrund erwähne ich nur hier, weil es mein allerliebstes Beispiel dafür ist, wie schwachsinnig diese Kategorisierung ist. Der gängigen Definition nach haben sie den aber: Der Papa wurde nicht in Deutschland geboren, das reicht schon. Wann immer sich also so eine Kita-Leiterin oder Grundschullehrerin hinstellte und etwas von 85 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund im aktuellen Jahrgang schwadronierte und so tat, als müsste sie dafür eigentlich eine Erschwerniszulage bekommen – dann wusste ich, da werden sie mit reingerechnet, meine Jungs.
Man merkte das dann auch immer in den allerersten Elterngesprächen, wenn diese Pädagoginnen überschwänglich ihren großen Wortschatz und ihr exzellentes Ausdrucksvermögen lobten, weil sie etwas anderes erwartet hatten.
Jeder Wutanfall wurde allerdings quittiert mit: „Nun ja, das Temperament …“, obwohl wir uns familienintern nicht ganz sicher sind, wessen nationales Erbe das nun eigentlich ist. Mir war vor meiner Heirat ja gar nicht klar, wie oft italienischen Männern unterstellt wird, dass sie besser fühlen als denken können. Also vor allem von Menschen, die ihre eigenen cholerischen Werturteile für total rational halten. Aber das ist ein anderes Thema.
Was genau halbiert sich beim Halb-Deutsch-Sein?
Die Freude über den Wortschatz legte sich in der Regel schnell wieder: Schon im zweiten oder dritten Elterngespräch fragte man eher, ob ich zu Hause viel herumdiskutieren würde. Das war natürlich eher als Kritik denn als Frage gemeint. Die Antwort „Nö, bei uns macht eh jeder, was er will“ finden Pädagoginnen übrigens nicht so lustig wie ich.
Wirklich verblüfft hat mich einmal eine Kinderärztin, bei der wir vertretungshalber waren. Wir sprachen übers Töpfchentraining, während mein Sohn interessiert in einem Bilderbuch blätterte. Und die Frau sagte tatsächlich (ganz langsam und betont deutlich): „Sehen Sie, man kann ja auch einmal so ein Buch vorlesen.“
Ich muss sie ein ganze Weile verwirrt angeglotzt haben, weil ich wirklich nicht begriff, was sie meinte, hatte ich doch das Bild der überquellenden Ikea-Regale zu Hause im Kopf, in denen sich selbstverständlich nicht nur regalmeterweise Erziehungsratgeber, sondern auch „Der kleine Klo-König“, „Moritz Moppelpo braucht keine Windel mehr“ und „Pipileicht, mein Töpfchenbuch“ befanden. Aber sie hatte mich eben als junge, bildungsferne Migrantenmutti eingestuft, was ihr schon kurz darauf unsäglich peinlich war.
Es ist natürlich auch ein Privileg, solche Dinge höhnisch weglachen zu können – weil mein ehemals angeheirateter Migrationshintergrund vergleichsweise chic ist und ich mich im Zweifel zu wehren weiß. Co-Mütter, die Belgin, Hanife, Fatma, Jekaterina oder Ljudmila heißen, können sich diesen Luxus nicht leisten. Deren Söhne trifft die alltägliche Diskriminierung auch härter.
Einmal habe ich einen AfD-Politiker gefragt, was genau sich denn da eigentlich halbiert, wenn meine Söhne in seinen Augen nur als „halbe Deutsche“ gelten. Die Antwort war: Wenn der Bürgerkrieg kommt (!), können die ja einfach abhauen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht glaube, dass Loyalität am Genom oder Pass klebt: Irgendwie tröstlich der Gedanke, dass so eine Zweitkultur vielleicht wenigstens davor schützt, neben totalen Vollidioten zum Kanonenfutter zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?