„Der Spiegel“ und der Fall „Maria“: Das tote Kind gab es nur vielleicht

Der „Spiegel“ gesteht Fehler ein. Seine Berichte über das angeblich an der türkisch-griechischen Grenze verstorbene Mädchen ließen sich nicht belegen.

Fassade des Spiegel, viel Glas

Recherchiert gerne die eigenen Recherchen nach: der „Spiegel“ in Hamburg Foto: imago

Nach erheblichen Zweifeln an einigen seiner Berichte aus dem griechisch-türkischen Grenzgebiet hat der Spiegel Fehler eingestanden. Zu seiner Berichterstattung über Geflüchtete in der Region hat das Wochenmagazin eine Nachrecherche veröffentlicht. Ernsthafte Zweifel bleiben demnach unter anderem an der Richtigkeit einer Geschichte über den Tod eines syrischen Mädchens namens „Maria“.

„Der Spiegel sah in dem Kind eine Symbolfigur für das Leiden der Geflüchteten an den EU-Außengrenzen und stellte dies in seiner Berichterstattung entsprechend dar“, heißt es in einem nun veröffentlichten Bericht zur Nachrecherche. Dieser ist aus einer internen Prüfung hervorgegangen. Dass das Mädchen „Maria“ existiert hat, kann darin erneut nicht belegt werden.

Im Sommer 2022 wurden im Spiegel drei Beiträge und ein Pod­cast über eine Gruppe von Geflüchteten veröffentlicht, die auf dem Weg nach Griechenland am Grenzfluss Evros nicht weiterkam. Die griechische Regierung helfe der Gruppe nicht, obwohl sie hierzu verpflichtet sei, hieß es darin. Die Rede war auch vom Tod eines fünfjährigen Mädchens.

Daraufhin begann eine Debatte über den Wahrheitsgehalt der Spiegel-Berichterstattung, vor allem in Griechenland. Der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi soll sich sogar mit einem Brief an die Chefredaktion des Hamburger Magazins gewandt haben. Der Spiegel nahm die betreffenden Texte von der Website mit dem Vermerk, dass die Berichte geprüft und gegebenenfalls in korrigierter Form veröffentlicht würden.

„Angeblich“ wurde „tatsächlich“

Nun schreibt das Magazin, es sei nach erneuter Prüfung zum Schluss gekommen, dass es die Beiträge zu dem angeblich gestorbenen Flüchtlingskind Maria nicht mehr online stellen werde, auch nicht in überarbeiteter Form. Die Begründung: „Zu vieles darin müsste korrigiert werden.“

In dem am Abend des 30. Dezember veröffentlichten Bericht heißt es, dass ein Team von Spiegel-Journalisten noch einmal in die Recherche eingestiegen sei. Die Ombudsstelle des Magazins habe interne Dokumente, Videos und Fotos mit Metadaten, Chatprotokolle, E-Mails, Audiodateien, Satellitenaufnahmen und andere Unterlagen ausgewertet, mit vielen Beteiligten gesprochen – und sei zu dem Schluss gekommen, dass das Magazin „tatsächlich Fehler gemacht“ habe.

„Die Spiegel-Beiträge erwecken den Eindruck, die Flüchtlingsgruppe sei fast einen Monat lang immer wieder auf derselben griechischen Insel gestrandet“, steht im aktuellen Bericht. „Doch: Weder waren die Migranten immer auf derselben Insel, noch waren sie immer auf griechischem Boden. Tatsächlich lässt sich nur für wenige Tage belegen, wo sich die Geflüchteten genau aufhielten.“ Auch die Existenz des angeblich toten Mädchens Maria konnte der Spiegel nach erneuter Recherche nicht zweifelsfrei belegen. Mitarbeiter des Magazins hätten sich dafür in Griechenland mit den angeblichen Eltern des Mädchens getroffen. Diese hätten sich aber nicht mehr genau erinnern können, wo das Kind begraben sei, und hätten auch keine Fotos vorweisen können, die die Existenz des Mädchens belegen.

Ein entscheidender Fehler in der Berichterstattung über das angeblich tote Mädchen ist offenbar in der Hamburger Redaktion des Spiegel geschehen. Ein Spiegel-Mitarbeiter habe einen auf Englisch verfassten Bericht geschickt. „Um vor anderen Medien über den Fall berichten zu können, soll der Artikel schnell online veröffentlicht werden“, heißt es in dem aktuellen Spiegel-Bericht.

Ein Mitglied der Auslandsredaktion, der als Co-Autor über dem Artikel steht, habe den Beitrag übersetzt, redigiert und ergänzt. Während in der englischen Version an mehreren Stellen „vorsichtig im Konjunktiv über den Tod des Kindes“ berichtet worden sei – „She is reported dead“ und „the group says, Maria died“ –, sei bei der redaktionellen Überarbeitung in Hamburg aus dieser mutmaßlichen, nicht endgültig belegten Information eine Tatsachenbehauptung gemacht worden. Die Berichte seien zudem nicht von der Dokumentationsabteilung des Spiegel überprüft worden. Aufgrund der großen Anzahl aktueller Onlinebeiträge könne diese nur einen Teil prüfen. Die Verantwortlichen im Auslandsressort hätten eine Prüfung nicht beauftragt.

Abschließend heißt es in der Nachrecherche: „Angesichts der Quellenlage hätte der Spiegel die Berichte über den Aufenthaltsort der Geflüchteten und vor allem den Tod des Mädchens deutlich vorsichtiger formulieren müssen. Auch wenn ein letztgültiger Beleg fehlt, deutet doch manches daraufhin, dass einige der Geflüchteten den Todesfall in ihrer Verzweiflung erfunden haben könnten.“ Auf die Frage, ob der Spiegel personelle Konsequenzen aus dem Fall ziehen werde, erhielt die taz am Montag keine Antwort.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.