Bildung in Thüringen: Streit über Gemein­schafts­schulen

Thüringens Minderheitsregierung will mehr Gemeinschaftsschulen. Die CDU und der Lehrerverband sprechen sich dagegen aus.

Portrait Astrid Rothe-Beinlich

Astrid Rothe-Beinlich, Vorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion Foto: Martin Schutt/dpa

LEIPZIG taz | Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen will mehr Gemeinschaftsschulen im Freistaat einrichten: Schulen, an denen Kinder nicht nach der 4. Klasse in verschiedene Schulformen einsortiert werden, sondern mindestens bis zur 9. Klasse gemeinsam lernen. Doch die CDU-Fraktion lehnt ab, der Novelle des Schulgesetzes zuzustimmen: Das Vorhaben gefährde das dreigliedrige Schulsystem sowie das Bildungsniveau.

Die Regierungsfraktionen von Linkspartei, SPD und Grünen sind im Thüringer Landtag auf mindestens vier Stimmen der Opposition angewiesen. Am Donnerstag soll das Plenum erstmals über den Entwurf beraten. Er sieht vor, dass alle derzeit bestehenden Grund- und Regelschulen, die sich auf demselben Grundstück befinden, innerhalb von fünf Jahren zu Gemeinschaftsschulen mit den Klassenstufen 1 bis 10 werden. Dasselbe gilt für Grund- und Gemeinschaftsschulen mit den Stufen 5 bis 10. „Wir rechnen mit 31 neuen Gemeinschaftsschulen“, sagte Astrid Rothe-Beinlich, Vorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, der taz. Aktuell gibt es in Thüringen 74 Gemeinschaftsschulen, 184 Regelschulen und 98 Gymnasien.

An Gemeinschaftsschulen bleiben die Schü­le­r:in­nen lange in einer Klasse. Je nach Leistungsstand bekommen sie unterschiedliche Aufgaben. Erst ab der 9. Klasse entscheidet sich, welchen Abschluss sie anstreben. Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien haben so mehr Zeit, ihr Potenzial zu entfalten. Wer hingegen schon nach der 4. Klasse auf die Hauptschule geschickt wird, hat kaum Chancen auf das Abitur.

Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Tischner, betonte gegenüber der taz, dass die Union „nichts gegen ein längeres gemeinsames Lernen“ habe. Es dürfe nur nicht zulasten anderer Schularten gehen. Durch die „Zwangsfusionen“ werde den Regelschulen und vielen Gymnasien im ländlichen Raum „das Wasser abgegraben“, sagte Tischner. „Wo der Ausbau der Gemeinschaftsschule nicht realistisch ist, kann man ihn jetzt nicht mit Gewalt verordnen.“

CDU mag keine Gemeinschaftsschulen

Linke und Grüne wiesen die Kritik der CDU zurück: „Herr Tischner hat offensichtlich einen anderen Gesetzentwurf auf dem Tisch als den, den wir im Landtag eingereicht haben“, sagte der bildungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Torsten Wolf. Rothe-Beinlich von den Grünen erklärte, dass der Gesetzentwurf „sehr moderat den wohnortnahen Ausbau der Gemeinschaftsschulen“ vorschlage. „Daraus eine Abwicklung der Regelschulen in Thüringen zu konstruieren, ist mehr als abenteuerlich.“

Wer nach der 4. Klasse auf der Hauptschule landet, hat kaum Chancen auf das Abitur

Gemeinschaftsschulen sind bei der CDU traditionell unbeliebt. In Sachsen zum Beispiel blockierte die Union jahrelang die Einführung dieser Schulart. Erst im Sommer 2020, nachdem mehr als 50.000 Menschen einen Volksantrag unterschrieben hatten, entschied sich die Kenia-Koaliton für Gemeinschaftsschulen – allerdings mit hohen Hürden. Heute gibt es in ganz Sachsen nur drei solcher Schulen.

Ähnlich sieht es in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg aus: In beiden Ländern waren es rot-grüne Regierungen, die die Gemeinschaftsschulen einführten. Und in beiden Ländern sorgte die CDU nach Regierungswechseln für Rückschritte. In Baden-Württemberg beispielsweise kann man nur an zwölf der 323 Gemeinschaftsschulen Abitur machen. Das hat die CDU durchgesetzt, die ein Aus des Gymnasiums befürchtet.

In Thüringen stellt sich nicht nur die Opposition quer. Auch der Lehrerverband ist gegen das Vorhaben der Regierungskoalition: „Die Regelschule sollte das Herzstück der Bildung in Thüringen sein. Die Pläne der Landesregierung würden die Regelschulen erneut erheblich schwächen“, teilte der Verband mit. Darüber hinaus seien die Schulen für niemanden ein wirklicher Gewinn. „Dort sitzen unter Umständen Kinder mit sonderpädagogischem Fördergutachten neben hochbegabten künftigen Abiturienten. Auf diese Weise kann weder angemessen gefördert noch gefordert werden.“

Die Landeselternvertretung hält ein längeres gemeinsames Lernen zwar generell für vorteilhaft. Nur mache der gravierende Leh­rer:­in­nen­man­gel die Umsetzung schwierig, erklärte Sprecherin Claudia Koch der taz: „Der Personalschlüssel an Gemeinschaftsschulen ist noch mal höher als an Regelschulen.“ Vor diesem Hintergrund sehe der Verband das rot-rot-grüne Vorhaben kritisch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.