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Schwarzbuch über PushbacksGewalt statt Menschenrecht

An EU-Außengrenzen weisen Behörden illegal Menschen ab, zeigen Berichte. Das Ausmaß sogenannter Pushbacks stellt ein neues Schwarzbuch dar.

Immer wieder in illegale Pushbacks verwickelt: Griechischer Grenzer im Auftrag von Frontex Foto: Nicolas Economou/NurPhoto/imago

Berlin taz | Während die EU-Innenminister am Donnerstag in Brüssel über die Erweiterung der Schengen-Zone und Verschärfungen des Asylrechts berieten, legten NGOs, Jour­na­lis­t:in­nen und die Linken-Fraktion im EU-Parlament neue Belege für die massenhaften Pushbacks an den EU-Außengrenzen vor.

Die Fraktion präsentierte gemeinsam mit dem Border Violence Monitoring Network eine neue Ausgabe des „Schwarzbuchs Pushbacks“. Darin sind 1.635 Zeugenaussagen zu Pushbacks gesammelt, die insgesamt fast 25.000 Menschen in 15 Ländern betreffen. Es ist die umfassendste Dokumentation einer Praxis, die vor allem in den vergangenen fünf Jahren immer öfter nackte Gewalt an die Stelle des Rechts treten ließ.

Die verschiedenen Formen der im Schwarzbuch beschriebenen Misshandlungen sind kaum überschaubar. Menschen berichten, wie sie geschlagen, getreten, beleidigt, gedemütigt und willkürlich festgehalten wurden.

Zu lesen ist von unterschiedlichen Foltermethoden, von Vergewaltigungen, sexuellem Missbrauch, exzessiven Schlägen, Tasern. Ankommende wurden in Flüsse geworfen, manchmal mit zusammengebundenen Händen, oder es wurde von Grenzbehörden auf sie geschossen.

Zunehmend härterer Grenzschutz

„Die neue Ausgabe des Schwarzbuchs zeigt wieder einmal deutlich die strukturelle Gewalt, der Kinder, Frauen und Männer an den Außen- und Binnengrenzen der EU noch immer tagtäglich ausgesetzt sind“, sagte die Linken-MEP Cornelia Ernst. Die Untätigkeit der EU und die Straflosigkeit der Verantwortlichen seien „beschämend und ein Schlag ins Gesicht der unzähligen Betroffenen“.

Cornelia Ernst glaubt, das Recht auf Asyl sei „zum Abschuss freigegeben“. Die EU finanziere immer mehr Grenzschutz und Kooperationen mit Drittstaaten. Mitgliedstaaten wie Polen, Litauen und Lettland verabschiedeten Gesetze, die darauf abzielten, Pushbacks zu legalisieren.

Ebenfalls am Donnerstag präsentierte ein Verbund aus dem ARD-Magazin „Monitor“, der Recherche-NGO Lighthouse Reports, dem Spiegel und anderen Medien eine Recherche dazu, wie in Bulgarien, Ungarn und Kroatien „gefängnisartige Verschläge“ genutzt würden, um Flüchtlinge gefangenzuhalten. „Oft werden die Schutzsuchenden dabei misshandelt, bevor sie über die Grenze zurückgezwungen werden“, steht im Bericht.

Auf Aufnahmen ist unter anderem zu sehen, wie mehrere Menschen von Abfall umgeben auf dem Boden ausharren, bis sie dann in Autos gebracht und weggefahren werden. Aussagen von Flüchtlingen zufolge würden Asylsuchende hier teilweise mehrere Tage lang ohne Wasser und Essen eingesperrt. Im Anschluss bringe die Polizei die Menschen wieder zurück an die Grenze und zwinge sie, in die Türkei zurückzukehren.

Gesetzte verabschiedet, die Pushbacks quasi legalisieren, Kleidung eines Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze Foto: Robert Pastryk/imago

Besonders brisant: Laut Recherche finden diese illegalen Inhaftierungen offenbar direkt unter den Augen der EU-Agentur Frontex statt. Interne Dokumente zeigten etwa, dass an einem Standort der bulgarischen Grenzpolizei, die in die Pushbacks verwickelt sei, auch zehn Frontex-Beamte stationiert sind. Wegen anhaltender Berichte über die Verstrickung von Frontex in illegale Pushbacks musste der Frontex-Direktor Fabrice Leggeri im April zurücktreten.

Mehr Pushbacks seit den Taliban

Erst vor Kurzem hatte die NGO Human Rights Watch (HRW) einen Bericht über Pushbacks aus der Türkei veröffentlicht. Alle der dabei befragten Männer und Jungen, die ohne weibliche Familienangehörige reisten, erlebten demnach selbst oder beobachteten, wie türkische Behörden sie oder andere Flüchtlinge misshandelten.

Viele berichteten, dass die türkischen Grenzbeamten in ihre Richtung schossen – manchmal sogar gezielt auf sie, wenn sie sich der Grenze näherten oder versuchten, diese zu überqueren.

Der Bericht „No One Asked Me Why I Left Afghanistan“ zeigt zudem, dass die Flucht nicht erst an der EU-Außengrenze schwer wird. Ihm zufolge dränge die Türkei vor allem seit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 „routinemäßig Zehntausende Afghanen an ihrer Landgrenze zu Iran zurück oder schiebt sie direkt nach Afghanistan ab, ohne ihre Ansprüche auf internationalen Schutz zu prüfen“.

Für 2022 meldeten die türkischen Behörden bisher 238.448 „irreguläre Migranten, deren Einreise in unser Land verhindert wurde“. Die meisten von ihnen kamen aus Afghanistan. Das Land habe von Januar bis August 44.768 Menschen aus Afghanistan auf dem Luftweg nach Kabul abgeschoben – 150 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, vor der Talibanregierung.

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1 Kommentar

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  • Systematische, komplett straffreie, anhaltende, schwerste staatliche Gewalt (bis hin zum mittelbaren Tötungsdelikt), ein Ausmaß an Gewalt, was allen Märchenerzähler:innen der "westlichen Werte" oder gar einer "feministischen Außenpolitik" das Wasser im Munde erfrieren lassen müsste. Wie können sich nur diejenigen weiterhin auf Menschenrechte berufen und wie gehen ihre Apologet:innen damit um, wenn so schwere Verbrechen, die mit solch ungeheuerlichem menschlichen Leid einhergehen, gerade auch jetzt in diesem Augenblick durch die EU-Staaten verübt werden? Ich denke, es sind die gleichen Prozesse des Ausblendens, Ignorierens und Nicht-Wahrhaben-Wollens, die viele Russ:innen gegenüber den in und durch ihr Land verübten Verbrechen anwenden. Die Systematik, Dauerhaftigkeit und äußerste Brutalität der Verbrechen an den EU-Außengrenzen werden unserer Generation vielleicht einmal die Frage stellen, wie wir bei solchen Verbrechen schweigen und zur Tagesordnung übergehen konnten.