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Türkei greift Ziele in Syrien und Irak an

Nach dem Anschlag in Istanbul hat die Türkei den Beginn eines neuen Militäreinsatzes in Nordsyrien und Irak verkündet. 31 Menschen wurden bei Luftangriffen getötet

Ziel von türkischen Angriffen: Kobani, hier in einer Aufnahme von 2015, nachdem kurdische Kräfte den IS zurückgeschlagen hatten Foto: Antonio Pampliega/ picture alliance

Von Wolf Wittenfeld

Die türkische Luftwaffe hat in der Nacht auf Sonntag mehrere Ziele in Nordsyrien und im Nord­irak angegriffen. Laut einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums sind die Angriffe als Vergeltung für den Terroranschlag in Istanbul am vergangenen Sonntag gedacht. „Die Terror-Angreifer werden zur Rechenschaft gezogen“, twitterte das türkische Militär; jetzt sei „Rechenschaftszeit“. Offiziell rechtfertigt die türkische Regierung sich mit Verweis auf Artikel 51 der UN-Charta, in der das Selbstverteidigungsrecht eines Landes geregelt ist.

Nach offiziellen Angaben waren die Ziele der Angriffe Stellungen der syrischen Kurdenmiliz YPG rund um die Stadt Kobani und Bunker und Höhlen der PKK im Sindschargebirge im Nordirak. Türkische Medien berichten, dass die Luftangriffe in zwei Wellen mit jeweils zehn Kampfbombern vom Luftwaffenstützpunkt Diyarbakır ausgingen. Hauptziel sei es gewesen, dass Hauptquartier der YPG in Kobani zu vernichten. Im Anschluss an das Bombenattentat in der Istanbuler Fußgängerzone am letzten Sonntag hatte die Polizei berichtet, die mutmaßliche Attentäterin hätte ihre Anweisungen „aus Kobani“ erhalten.

Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle in London sind bei den Angriffen mindestens 31 Menschen getötet worden. Nach Angaben der YPG wurden zwei Dörfer bei Kobani bombardiert. Auch ein Posten der syrischen Armee soll getroffen worden sein. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar rühmte dagegen nach dem Angriff die präzise Trefferquote auf „terroristische Stellungen“. In martialischer Rhetorik betonte er, dass bei allen terroristischen Angriffen auf die Türkei auch die Drahtzieher zur Rechenschaft gezogen würden.

Mit den Luftangriffen scheint der Angriff in Nordsyrien zumindest vorerst beendet zu sein. Es gibt momentan keinen Hinweis, dass auch ein Einmarsch von Bodentruppen vorbereitet wird. Das Hauptziel der Luftangriffe war Kobani, das unmittelbar an der Grenze zur Türkei liegt. Die Stadt ist durch ihren Kampf gegen den IS im Winter 2014/15 bekannt geworden. Kobani gehört zu den Orten, die schon länger im Visier der türkischen Militärplaner ist. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der den jüngsten Angriffsbefehl nach seiner Rückkehr vom G20-Gipfel auf Bali gab, hatte schon im Sommer angekündigt, die Türkei wolle die YPG aus einer 30 Kilometer tiefen Sicherheitszone entlang der türkischen Grenze vertreiben. Kobani ist die größte Stadt in diesem Gebiet. Gegen einen türkischen Einmarsch hatten aber Russland und die USA Einspruch erhoben, so dass Erdoğan das Projekt zunächst auf Eis legte.

„Die Terror-Angreifer werden zur Rechen- schaft gezogen“

Türkische Armee

Den jetzigen „Vergeltungsangriff“ hatte Erdoğan offenbar bereits auf Bali US-Präsident Joe Biden angekündigt. Einen Tag vor dem Angriff waren jedenfalls US-Bürger aufgefordert worden, Nordsyrien und den Nordirak zu meiden. In einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Freitag hatte Erdoğan den Angriff vermutlich ebenfalls angekündigt.

Bei Ermittlungen im Anschluss an das Attentat in Istanbul waren 51 Personen festgenommen worden, zuletzt noch mehrere Verdächtige in Bulgarien. Am Freitag ordnete ein Richter für insgesamt 17 Personen U-Haft an. Türkische Medien berichteten, dass aktuell noch nach einem Mann gefahndet werde, der der mutmaßlichen Attentäterin angeblich Anweisungen gegeben habe, wo sie die Bombe platzieren soll. Angeblich habe die Frau nicht gewusst, dass in dem Paket, das sie in der Fußgängerzone abstellte, eine Bombe sei.

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