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Volksbegehren Berlin Klimaneutral 2030Gutes Klima für Volksentscheid

Im Endspurt haben Ak­ti­vis­t*in­nen 260.000 Unterschriften für mehr Klimaschutz gesammelt. Abgestimmt wird wohl am 12. Februar.

Jubelstimmung bei der finalen Unterschriftenabgabe von Berlin 2030 Klimaneutral Foto: Erik Peter

Berlin taz | Viele haben lange daran gezweifelt, ob es die Un­ter­stüt­ze­r*in­nen eines Volksentscheids für radikal mehr Klimaschutz in Berlin schaffen würden, genügend Unterschriften für einen Volksentscheid zusammen zu bekommen. Nun kann als sicher gelten: Es ist gelungen. Exakt 261.968 Unterschriften sind innerhalb der vergangen vier Monate gesammelt worden, teilte Jessamine Davis, Sprecherin der Initiative Klimaneustart Berlin, am Dienstagmorgen mit. „Das ist eine unglaubliche Zahl“.

Die letzte Hürde für einen Volksentscheid in Berlin sind derzeit gut 170.000 Unterschriften. Da zuletzt allerdings etwa ein Viertel davon ungültig waren – die Un­ter­stüt­ze­r*in­nen müssen für die Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses wahlberechtigt sein, das schließt etwa alle Menschen ohne deutschen Pass aus -, hatte auch die Klimainitiative ein deutlich höheres Ziel ausgegeben. Und erreicht: „Wir haben beim Sammeln der Unterschriften auf der Straße gemerkt: Die Ber­li­ne­r*in­nen wollen mehr Klimaschutz, sie sind nicht zufrieden mit dem Stand derzeit“, sagte Rabea Koss von der Initiative.

Auch Werner Graf, Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus, zeigte sich erfreut über die große Zahl der gesammelten Stimmen. „Klimaschutz ist eine echte Herausforderung, da brauchen wir jede Unterstützung“, sagte er der taz.

Gleichwohl werden die Grünen laut Graf den bei einem Entscheid zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf der Initiative Klimaneustart nicht unterstützen. Der Entwurf sieht vor, dass Berlin bis 2030 klimaneutral sein muss. Fände das eine Mehrheit beim Entscheid, müsste das Land erheblich mehr Geld und Anstrengungen etwa in die Verkehrswende und die Dämmung aller Gebäude stecken. Laut der Initiative wäre das dringend nötig, um das Ziel, die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen, noch zu erreichen. Der rot-grün-rote Senat wie auch die Grünen selbst lehnen das Gesetz ab; das Ziel sei in dieser kurzen Zeitspanne schlicht nicht umsetzbar.

Möglich wurde das Sammelergebnis durch einen fulminanten Endspurt. Noch vor einer Woche fehlten 70.000 Unterschriften bis zum gesetzten Ziel von 240.000. Dass dieses übertroffen werden würde stand dann erst am Montag gegen 21 Uhr fest. Vor ihrem Kampagnenbüro in der ersten Etage eines Wohnhauses in der Gneisenaustraße hatten die Ak­ti­vis­t:in­nen einen Stand aufgebaut und nahmen die letzten Bögen entgegen.

Die Klimakrise ist damit endgültig wieder auf der politischen Tagesordnung angekommen

Stefan Zimmer, Initiative Klimaneustart Berlin

„Krasse Dynamik“

Je später es wurde, desto mehr Menschen kamen vorbei. Im Minutentakt schwang Niklas Schäfer mit einer Glocke – bei jeder neuen Übergabe von Unterschriftenbögen. Schäfer, bei Klimaneutral 2030 für die Politik-Kontakte zuständig, war wie beseelt: „In den letzten drei Tagen ist so eine krasse Dynamik dazugekommen“. Bis zu 40.000 Unterschriften sind es wohl allein am letzten Tag. Vor den Tischen umarmen sich Menschen mit und ohne pinkfarbene Sammelwesten, immer wieder sind Jubelschreie zu hören.

Für ein Jubelbild mit zwei Aktivisten in ihren Westen posiert auch Antonella Wewerka. Die Abiturientin aus dem Westend hörte erst am Morgen davon, dass dem Volksbegehren nur noch wenige Tausend Unterschriften fehlten. Sie habe sich gedacht: „Dieser Tag wird investiert. Das ist eine Investition für die nächsten 50 Jahre.“

Zwei Freunde beteiligen sie schließlich auf ihrer stundenlangen Sammeltour vom Westen über Schöneberg bis nach Kreuzberg. „Es wurde immer besser. Das ist so beglückend“, sagt sie strahlend. Polittisch aktiv seien sie und ihre Freunde noch nicht. Aber das „kann man für die Zukunft überlegen“, so ihr Begleiter Ilja Treu.

Eine andere, die an diesem Tag bis zuletzt Unterschriften sammelte, ist Marit Schatzmann, aktiv bei den Eltern gegen die Fossilindustrie. Sie sagt: „Es ist schwer, ehrenamtlich nach Feierabend die Welt zu retten, während sie andere hauptamtlich zerstören.“

Eine Etage höher geht es zu wie auf einer WG-Party. Menschen wuseln aufgeregt durch die mit Materialien vollgestellten Zimmer. Nur in einem herrscht Konzentration. Hier sitzen etwa ein Dutzend Ak­ti­vis­t:in­nen an einer langen Tafel – und zählen die Unterschriften. An einer Tafel werden die Zwischenstände notiert. Als es schon über 260.000 sind, tanzen einige zu „I Just can’t get enough“ durch den Raum.

Mit dem Rad zur Innenverwaltung

Gegen 23 Uhr setzt sich dann ein Fahrradkorso zur Innenverwaltung an der Klosterstraße in Bewegung. Auf Lastenrädern werden die Kartons mit den Listen transportiert, begleitet von Dutzenden Aktivist:innen, die noch eine lange Feiernacht vor sich hatten.

Damit das Gesetz angenommen wird, muss in einem Volksentscheid eine Mehrheit dafür stimmen, und diese Mehrheit muss aus mindestens einem Viertel der Wahlberechtigten bestehen. Da der Klimaentscheid wohl parallel zu einer Wahl stattfinden wird, dürfte dieses Quorum aber keine Hürde sein. „Die Neuwahl ist für uns ein großer Joker“, so Aktivist Niklas Schäfer. Vorbereitet auf den Wahlkampf, bei dem sich alle Parteien des Abgeordnetenhauses gegen die Initiative aussprechen, sei man allerdings noch nicht.

Am morgigen Mittwoch entscheidet das Berliner Verfassungsgericht, ob die Abgeordnetenhauswahl vom September 2021 wiederholt werden muss. Alle Parteien in Berlin rechnen mit dieser Wahlwiederholung, die dann innerhalb von 90 Tagen stattfinden muss. Termin für Wahl wie Entscheid wird wohl der 12. Februar.

„Der Wahlkampf wird im Zeichen unseres Klimaentscheids stehen“, prognostiziert Stefan Zimmer auf der Pressekonferenz am Dienstagmorgen. „Die Klimakrise ist damit endgültig wieder auf der politischen Tagesordnung angekommen, nachdem das Thema durch die vielen anderen Krisen teilweise überdeckt worden war.“

Zugleich weist Zimmer darauf hin, dass Berlin keineswegs die einzige Stadt sei, in der über solche radikale Schritte für mehr Klimaschutz diskutiert werde. „In Europa gibt es 100 Städte, die sich 2030 oder 2035 als Ziel vorgenommen haben.“ Zudem gebe es in Deutschland in mehr als 80 Städten Anläufe für Bürgerentscheide zu mehr Klimaschutz. Zimmer: „Wir sind eine bundesweite Bewegung.“

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2 Kommentare

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  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Ist nicht so schnell zu schaffen, wie die Senatsparteien meinen, ist. natürlich Unsinn. Aber dirigistische Einschränkungen und das drastische Drehen an der Gebühren- und Abgabenschraube sind dann unumgänglich. Nur mal so:



    - teure ökologische Modernisierung der Häuser würden Eigentümer und Mieter sicher nicht klaglos hinnehmen



    - Sozialwohnungen (90qm für 4 Personen) müssten wegen des zu großen Flächenverbrauchs deutlich kleiner werden



    - der Zuzug gebremst (neue Einwohner weiterer Umweltverbrauch)



    - neue wirtschaftliche Aktivität könnte primär im Umland entstehen, wo das Gesetz nicht greift (Zersiedelung ahoi)



    - City-Maut einführen und flächendeckende Parkraumbewirtschaftung (ohne soziale Spirenzchen, um wirklich C02 im großen Umfang zu senken)



    . Sondersteuern für DHL, UPS etc. Anlieferungen (zur Reduzierung der Verkehre)



    usw.



    Dazu kommen juristische Fallstricke (Boris Palmer wurde mit einer Verpackungssteuer juristisch ausgebremst) auch wegen der zwangsläufigen Insellösungen.



    Redlich wäre nur, wenn die Befürworter des Volksentscheides das dann auch so kommunizieren.

    • @658767 (Profil gelöscht):

      Ihre Argumente sind schon nachvollziehbar, was mir in dieser Debatte fehlt ist vor allem die Umgestaltung öffentlicher Gebäude. Landesweit gibt es tausende von Schulen, Kitas, Amtsgebäude , Sportstätten usw. Warum werden diese denn nicht Saniert, besser gedämmt, mit PV Anlagen versehen , es fehlen Blockheizkraftwerke, auch auf Wasserstoffbasis . Ist natürlich viel einfacher die Allgemeinheit zu Innovationen zu verpflichten als hier Bund, Länder und Kommunen ebenfalls in die Pflicht zu nehmen